Erdoğans Besuch bei Alijew:Der Sieger gibt sich die Ehre

Lesezeit: 3 min

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (links) und sein aserbaidschanischer Kollege Ilham Alijew. (Foto: AFP)

Während Tausende Armenier ihre Heimat Bergkarabach verlassen, fliegt der türkische Präsident Erdoğan zu seinem aserbaidschanischen Kollegen Alijew.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Recep Tayyip Erdoğan mag es, wenn sich Politik mit einem Bauvorhaben überschneidet. Die Betonung liegt auf Vorhaben, denn oft steht noch nicht viel, wenn der Präsident anreist. Er wohnt dann, wie am Montag in Aserbaidschan, der Grundsteinlegung bei. Allerdings verrät er mit solchen Auftritten häufig etwas darüber, was er in Zukunft vorhat. Auch das war am Montag so.

Erdoğan, gerade zurück von der UN-Generalversammlung in New York, reiste nach Nachitschewan, eine Exklave von Aserbaidschan, eingeklemmt zwischen Armenien, Iran und Türkei. Dort traf der türkische Präsident auf seinen aserbaidschanischen Kollegen Ilham Alijew, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verbindet. Erdoğan und Alijew legten den Grundstein für eine Gaspipeline, die Nachitschewan mit der Türkei verbinden soll.

"Bergkarabach ist aserbaidschanischer Boden", sagt Erdoğan

Neben der Grundsteinlegung war schon das Timing des Besuchs symbolhaft. Erdoğan kam nur wenige Tage, nachdem Aserbaidschan mit seiner Militäroperation die Armenier in der eingeschlossenen Region Bergkarabach in ein Friedensabkommen gezwungen hatte. Während Ilham Alijew den Gast aus Ankara auf dem Flughafen von Nachitschewan begrüßte, flüchteten etwas weiter nordöstlich gerade Tausende Armenier aus ihrer Heimat. Erdoğan störte das nicht, im Gegenteil. Wo die Türkei in dem Konflikt steht, war nie ein Geheimnis, vor wenigen Tagen erst machte es der Präsident noch einmal deutlich. "Bergkarabach ist aserbaidschanischer Boden", sagte Erdoğan.

Am Montag, beim gemeinsamen Auftritt mit Alijew, sagte Erdoğan, die Aserbaidschaner hätten eine Operation "in ihrem eigenen Land" ausgeführt, weil ihre Forderungen unerhört geblieben seien. Die Operation sei so schnell und erfolgreich verlaufen, dass "sie uns alle stolz gemacht haben". Erdoğan ging so weit, "unseren verletzten Soldaten" eine schnelle Genesung zu wünschen. Aserbaidschan und die Türkei, sagte Erdoğan, verbinde "eine einzigartige Beziehung". Alijew wiederum bedankte sich bei seinem "lieben Bruder" Erdoğan dafür, dass dieser sich vor den Vereinten Nationen in New York für Aserbaidschan starkgemacht habe. "Für unsere gerechte Sache", wie es Alijew formuliert. "Wir werden die Unterstützung nie vergessen."

Die Türkei und Aserbaidschan verbinden gemeinsame Interessen

Jetzt wird es den brüderlichen Freunden aus Ankara und Baku darum gehen, was auf den Sieg folgt. Die Türkei arbeitet mit Aserbaidschan eng zusammen, teils aus ethnischer Verbundenheit - in der Türkei heißt es oft, die beiden Völker seien eine Nation in zwei Staaten. Die türkische Regierung unterstützt Aserbaidschan militärisch, zum Beispiel mit ihren TB2-Drohnen, die im letzten Krieg um Bergkarabach vor drei Jahren eine wichtige Rolle spielten. In der Freundschaft mit Erdoğan dürfte es auch nicht unwichtig sein, dass Alijew Türkisch spricht. Beide regieren seit 2003, sie kennen und schätzen sich seit Langem.

Daneben aber verbinden die Türkei und Aserbaidschan schlicht gemeinsame Interessen, gerade in der Energiepolitik. Armenien habe die Menschen in Nachitschewan zuletzt von der Außenwelt abgeschnitten, beklagte Ilham Alijew am Montag. Aserbaidschan verfügt über Öl und Gas, von beidem über viel. Doch Nachitschewan, die Exklave, kann Baku bisher nur über Iran versorgen, es fehlt die Landverbindung. Die Türkei ihrerseits will ein "Energiehub" werden, so jedenfalls plant es Erdoğan, mit einem LNG-Terminal für Gas aus Russland, aber auch mit Pipelines aus dem Kaspischen Meer und Zentralasien. Über die Pipeline nach Nachitschewan, deren Bau nun beginnt, kann Gas aus der Türkei direkt dorthin fließen, der Umweg über Iran entfällt.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Erdoğan und Alijew schwächen mit der Pipeline also das Regime in Teheran. Und sie zeigen, was sie sich für die Zukunft vorstellen: Die beiden wollen, dass Armenien den versprochenen Landweg nach Nachitschewan öffnet, den Sangeschur-Korridor. Der soll das aserbaidschanische Staatsgebiet und Nachitschewan verbinden, entlang der armenisch-iranischen Grenze. Damit bekäme nicht nur Baku einen Landweg nach Nachitschewan und weiter in die Türkei. Auch die Türkei hätte dann, in der anderen Richtung, eine direkte Handelsverbindung zum Kaspischen Meer und weiter zu den Turkstaaten in Zentralasien.

Erdoğan würde durch den Sangeschur-Korridor hindurch gern eine Eisenbahntrasse bauen, die, so die Hoffnung, von China in die "Belt and Road"-Initiative aufgenommen werden könnte, also in die neue Seidenstraße. Die Türkei als Tor nach Europa, für Russland, für China, für die Turkstaaten, unter Umgehung Armeniens und Irans, das ist Erdoğans Idee. Jetzt, nach Armeniens Niederlage, erscheint ihm die Zeit dafür wohl günstig. Er wünsche sich, so Erdoğan am Montag, dass Armenien seinem Nachbarn Aserbaidschan nun "die Hand reicht".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Waffenruhe im Kaukasus
:EU und Russland besorgt über Sicherheit der Karabach-Einwohner

Aserbaidschan hat mit Angriffen die Kontrolle über Bergkarabach zurückgewonnen. Jetzt wird verhandelt, wie es für die armenische Bevölkerung dort weitergeht - bleiben oder ausreisen?

Von Frank Nienhuysen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: