Energiekrise:Streit um den Zeitplan

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"You'll never walk alone", versprach Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag den Deutschen, die sich wegen der steigenden Energiekosten sorgen. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Der Kanzler versprach den Deutschen am Freitag: "You'll never walk alone." Doch Sozialverbände fürchten, dass viele Deutsche mit den Folgen der Ukraine-Krise erst mal allein bleiben - und mahnen mehr Tempo an.

Von Markus Balser, Berlin

Was gerade auf die Deutschen an Belastungen zukommt? Viele Stromkunden erhalten eine erste Antwort gerade per Post. "Kündigung ihres Strombezugsvertrags", schreibt etwa der Anbieter Schweiz Strom derzeit an Kunden in Deutschland. Der Krieg in der Ukraine und die hohen eigenen Kosten verhinderten "das Fortsetzen unseres Vertragsverhältnisses", heißt es mit der "Bitte um Verständnis". Das allerdings dürfte sich in Grenzen halten. Denn wer jetzt einen neuen Vertrag abschließen muss, zahlt mindestens 50 Prozent mehr. Jährlich kommen so für Familien Hunderte Euro Zusatzkosten zusammen. Für Gaskunden können die Preise im Herbst noch drastischer steigen.

Zwar hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Deutschen am Freitag mit den Worten "You'll never walk alone" weitere Entlastungen versprochen. Vor allem Bedürftige sollen zusätzliche Hilfen bekommen, das Wohngeld soll auf mehr Bezieher ausgeweitet und ein Schutzschirm für säumige Mieter, Strom- oder Gaskunden geschaffen werden. Zudem wollen Gewerkschaften, Politik und Wirtschaftsverbände Mitte September über ein weiteres Hilfspaket beraten. Doch kaum etwas dürfte davon vor dem 1. Januar wirksam werden. Zu spät, heißt es nun im Lager der Sozialverbände.

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Der Paritätische Gesamtverband mahnte am Sonntag eine sofortige Reaktion der Bundesregierung an. "Wir können es uns einfach nicht leisten, mit Entscheidungen noch Monate zu warten", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der Süddeutschen Zeitung. "Die Preise für Strom und Gas steigen jetzt und in den nächsten Wochen an. Zugleich liefen Ende August Entlastungen wie der Tankrabatt aus. Wir müssen die Menschen schnell entlasten - und nicht erst zum 1. Januar", forderte der Verbandschef. "Der bisherige Zeitplan der Bundesregierung geht völlig an der Dynamik und Dramatik der Lage vorbei ", warnte Schneider.

Die Wünsche der Parteien gehen weit auseinander

Der Verband fordert wegen vielfacher Preissteigerungen etwa eine sofortige und unbürokratische Erhöhung der Grundsicherung um 200 Euro monatlich auf 649 Euro. Nur so lasse sich das Existenzminimum absichern, sagte Schneider. Bis zum Jahreswechsel müsse dann der exakte Bedarf ermittelt und von Januar an ausgezahlt werden, der dem Verband zufolge noch etwas höher sein könnte. Auch Scholz hatte zwar eine Reform der Grundsicherung bis zum Jahresende angekündigt. Über deren künftige Höhe aber streitet die Regierung jedoch noch immer. Die FDP lehnt eine Erhöhung über den Inflationsausgleich hinaus bislang ab.

Es ist nicht der einzige Streitpunkt bei den Entlastungen. Die Wünsche der Parteien gehen bislang weit auseinander. Begonnen hat ein Milliardenpoker um politische Prestigeprojekte. Während die FDP etwa Autofahrer über eine höhere Pendlerpauschale entlasten und Steuern senken will, wollen die Grünen ein Anschlussprojekt für das Neun-Euro-Ticket im Nahverkehr, ein höheres Kindergeld und eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse.

Doch alles lässt sich nicht realisieren. Der Bundeshaushalt gibt zusätzliche Milliardenausgaben nicht her. Und Finanzminister Christian Lindner kündigte am Wochenende an, trotz der für Anfang kommenden Jahres geplanten Entlastungen an der Schuldenbremse festzuhalten. "Wir werden innerhalb des von der Verfassung vorgegebenen Rahmens wirtschaften und wirtschaften müssen", sagte der FDP-Chef. "Manche spekulieren geradezu darauf, dass es wieder eine Ausnahme von der Schuldenbremse gibt." Das sei aber ausgeschlossen.

Zuvor hatte Arbeitsminister Hubertus Heil die geplante Rückkehr zur Schuldenbremse von 2023 an unter den Vorbehalt der wirtschaftlichen Lage gestellt. Die seit 2011 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zielt darauf ab, dass die Haushalte von Bund und Ländern ohne Einnahmen aus Krediten auskommen. Für den Bund ist die Nettokreditaufnahme auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Nur in "außergewöhnlichen Notsituationen" kann die Schuldenbremse vom Bundestag aber ausgesetzt werden, so wie in den Jahren 2021 und 2022 wegen der Corona-Krise.

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