Muss der Kanzler sich Sorgen machen um seine Autorität? Fast auf den Tag genau vier Monate ist es her, da griff Olaf Scholz zu seiner ultimativen Waffe: der Richtlinienkompetenz. Per Machtwort beendete er den Streit um längere AKW-Laufzeiten, in den sich seine Koalitionspartner FDP und Grüne verstrickt hatten. Doch nicht nur zur Atomkraft fand der Kanzler klare Worte. "Es wird ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt", schrieb er Mitte Oktober an Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Auf die Erfüllung der Ansage wartet der Kanzler bis heute.
Stattdessen hat sich rund um das "Energieeffizienzgesetz" längst der nächste Streit in der Koalition entwickelt, das Ergebnis ist mittlerweile vertraut: Nichts geht voran, nichts geht zurück. Schon am Tag nach dem Machtwort des Kanzlers hatte Habecks Ministerium einen neuen Referentenentwurf vorgelegt, da gärte der Konflikt bereits seit Wochen. Demnach soll das Gesetz die Ziele, die diverse Bundesregierungen schon auf Energiegipfeln und in Sofortprogrammen proklamiert hatten, verbindlich festlegen: Bis 2030 soll der Endenergiebedarf in Deutschland um 24 Prozent unter den Wert von 2008 fallen, bis 2045 um 45 Prozent. "Mit dem Energieeffizienzgesetz wird erstmals ein sektorübergreifender rechtlicher Rahmen zur Steigerung der Energieeffizienz geschaffen", lobt der Entwurf. Wenn es denn so weit kommt.
Das Wirtschaftswachstum fraß Effizienzfortschritte auf
Nötig wäre es. Zwar beschwören Regierungen seit einem halben Jahrhundert die Vorteile des Energiesparens, doch die Fortschritte halten sich in Grenzen. So lag der Endenergiebedarf nach Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen 2021 nur um 5,4 Prozent unter dem von 2008. Selbst verglichen mit dem Wiedervereinigungsjahr 1990 ist das Verbrauchsminus mit 8,5 Prozent bescheiden. Das Wirtschaftswachstum fraß viele Effizienzfortschritte auf. Ein Gesetz aber, das feste Ziele für den Verbrauch vorschrieb, gab es nie. Beliebter als staatliche Vorschriften waren stets Förderprogramme. "Wir waren nicht mutig genug, die Standards zu verschärfen", sagt Andreas Kuhlmann, der Chef der Deutschen Energie-Agentur. "Und Energie war lange Zeit zu billig."
Ob sich die Mutlosigkeit in der Ampelkoalition wiederholt? Das Energieeffizienzgesetz jedenfalls hängt mittlerweile in einer Art Endlosschleife aus Nachforderungen und Abschwächungen fest. Dem SPD-geführten Bauministerium gingen ausgerechnet Vorgaben zu weit, die "vorrangig" den sozialen Wohnungsbau in die Pflicht genommen hätten, zugunsten der dort heizenden Mieter. Sie verschwanden wieder.
Das Verkehrsministerium, das auch für die digitale Infrastruktur zuständig ist, verlangt Änderungen an Vorschriften rund um Rechenzentren - ein eigener Abschnitt des Gesetzes widmet sich diesem stark wachsenden Geschäft, das dummerweise auch den Energieverbrauch hochtreibt. Nichts gegen Effizienz, heißt es aus dem Haus von FDP-Minister Volker Wissing. Aber es brauche die richtige Balance, um nicht die Server aus Deutschland zu vertreiben. So sieht es auch die Branche selbst.
Über all dem schwebt eine offene koalitionsphilosophische Frage, die zunehmend die Regierungsarbeit erschwert: Wie viel Staat soll, muss oder darf es sein? Das Effizienzgesetz legt nicht nur Ziele für Bund und Länder fest, wobei es sie für die Länder bis zur dritten Stelle hinter dem Komma ausbuchstabiert. Es verpflichtet auch große Energieverbraucher der Industrie, dem eigenen Verbrauch systematisch auf die Spur zu gehen und anschließend Verschwendung einzudämmen, flankiert von Prüfung, stichprobenartiger Kontrolle und schlimmstenfalls Bußgeldern.
Der Entwurf trägt die grüne Handschrift
Wenn in der Koalition die Grünen eher für Vorgaben und Ordnungsrecht stehen, während die FDP Marktkräfte wirken lassen will, dann liegt dieser Entwurf eindeutig auf der grünen Seite. "Die Ziele erreichen sich schließlich nicht von selbst", sagt Christian Noll, Chef der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz. "Und wer alles schon gemacht hat, hat eigentlich nichts zu befürchten."
Allein, das Gesetz hängt fest. Die Gespräche liefen noch, heißt es aus Habecks Wirtschaftsministerium. Dabei hatte der Minister selbst schon Mitte Januar bekundet, die Sache sei "eigentlich entschlussreif für das Kabinett". Aber: "Ob wir es durch das Kabinett bekommen, das kann ich im Moment noch nicht sicher sagen." Daran hat sich zwischenzeitlich nichts geändert, Kanzlermachtwort hin oder her. Gut möglich, dass die letzten drei Atomkraftwerke Mitte April abgeschaltet sind, noch ehe dem Kabinett das Effizienzgesetz vorgelegt wurde. Gut möglich auch, dass die entsprechende EU-Richtlinie das Gesetz noch überholt. Dabei sollte das diesmal explizit andersherum laufen, um auf neue Brüsseler Vorgaben schnell reagieren zu können.
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Umweltschützer wähnen hinter der Verzögerung die FDP. Die Liberalen stünden in "grundsätzlicher Opposition" zu dem Gesetz, sagt Constantin Zerger, Energieexperte der Deutschen Umwelthilfe. "Sie versucht, das Gesetz als Verhandlungsmasse einzusetzen." Und zu verhandeln gibt es einiges, vor allem zwischen Grünen und FDP: vom Autobahnneubau über Klimaschutzziele bis hin zu den Eckwerten für den nächsten Haushalt, zu denen sich Habeck und Lindner neuerdings spitze Briefe schreiben. So ist ein Knäuel entstanden, das sich nur noch schwer entwirren lässt. Nur eines scheint gewiss zu sein: Die machtvollen Worte des Kanzlers lassen Teile seines Kabinetts kalt. Bislang lässt er es so geschehen.