Sie gingen auf die Straße, um ihr Entsetzen auszudrücken: Tausende Menschen haben am Wochenende in Arizonas Hauptstadt Phoenix gegen ein am Freitag unterzeichnetes Gesetz demonstriert. Fassungslos sagte der Abgeordnete Bill Konopnicki in der New York Times: "Das Gesetz lässt uns aussehen wie das Alabama der sechziger Jahre."
Er hat recht. Wie in den Sechzigern diskutiert Amerika wieder hitzig über Rassismus. Auslöser ist das neue Einwanderungsgesetz von Arizona, die strengste Regelung dieser Art in den USA. Einwanderer müssen demnach künftig zu jeder Zeit ihre Papiere mit sich führen. Ohne Dokumente unterwegs zu sein, gilt in Zukunft als Straftat.
Die Polizei wiederum ist angehalten, Personen, die illegal sein könnten, zu kontrollieren - auch wenn diese weiter nicht auffällig sind. Falls Bürger glauben, ihre Gemeinde setze die neuen Bestimmungen nicht scharf genug durch, können sie klagen.
Normalerweise ist es in den USA - anders als in Deutschland oder Frankreich - nicht verpflichtend, sich jederzeit ausweisen zu können. Dass dies nun nur von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verlangt wird, hat einen Sturm der Entrüstung entfacht. Kritiker glauben, dass das Gesetz durch die Hintertür das racial profiling erlaubt, die Fahndung nach Personen unter bestimmten ethnischen Kriterien.
Sie seien eine offene Einladung, dunkelhäutige Menschen unabhängig von ihrem Status zu diskriminieren, heißt es von Bürgerrechtsgruppen und Einwanderungsanwälten. Die auflagenstärkste spanischsprachige Zeitung der USA, La Opinion, fordert einen Wirtschaftsboykott. Schon am Wochenende stornierten Medienberichten zufolge Dutzende Gäste ihre Hotelbuchungen in Arizonas Hauptstadt Phoenix.
Die Stadträte von San Francisco und Los Angeles wollen alle geschäftlichen Verbindungen zu Arizona kappen. Und das Nachbarland Mexiko hat seinen Bürgern von Reisen in den Wüstenstaat abgeraten.
Der mexikanische Präsident Felipe Calderon sprach von "Rassendiskriminierung" und prophezeite, dass Gesetz werde die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Nachbarländern beschädigen. Auch Vertreter der US-Justiz hegen tiefe Bedenken gegen die Neuregelung. Der zuständige Minister Eric Holder kündigte bereits an, im Rahmen seiner Möglichkeiten dagegen vorzugehen.
Schon vor der Unterzeichnung hatte Präsident Barack Obama den Entwurf als fehlgeleitet kritisiert - was als bedeutsam zu bewerten ist, denn das Weiße Haus äußert sich nur selten zu Gesetzen von Bundesstaaten. Obama kündigte eine bundesweite Reform der Einwanderungsgesetze an, um solche Alleingänge künftig zu verhindern.
Immigration steht schon seit seinem Amtsantritt auf Obamas Agenda - ist aber von Wirtschaftskrise, Finanzmarktregulation, den Kriegen in Irak und Afghanistan, der Gesundheitsreform und vielen anderen Baustellen nach hinten gedrängt worden. Bisher galt es als unwahrscheinlich, dass der Präsident dieses heiße Eisen noch vor den nächsten Wahlen im Herbst anfasst, da er die republikanische Basis nicht anstacheln will. Durch das Gesetz aus Phoenix wird er nun möglicherweise dazu gezwungen.
Warum Arizona beim Thema Einwanderung so hysterisch ist und wer Pearce, der Brandstifter, ist, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Arizona ist der von illegaler Einwanderung am härtesten betroffene Staat der USA. Der Wüstenstaat ist das Einfallstor in die Vereinigten Staaten, hier werden die meisten Festnahmen wegen gesetzwidriger Grenzüberschreitung und Drogenschmuggel gezählt. Fast eine halbe Million Illegale sollen sich Schätzungen zufolge dort aufhalten - bei einer Einwohnerzahl von ungefähr 6,5 Millionen.
Die lokalen Fernsehnachrichten sind voller Berichte über Razzien in Flüchtlingshäusern, über Schießereien im Drogenmilieu, Vergewaltigungen und anderen Verbrechen. Oft sind die Täter Dunkelhäutige, häufig ohne Aufenthaltsberechtigung - insofern ist es kein Wunder, dass viele Bürger Arizonas bei dem Thema hysterisch reagieren. Dass Latinos (legale wie illegale) in Wirklichkeit nicht überdurchschnittlich kriminell sind, interessiert nur wenige.
Ein wenig erinnert die Situation an die achtziger Jahre, als der Staat sich weigerte, den Martin-Luther-King-Tag anzuerkennen. Erst ein Wirtschaftsboykott konnte den Gedenktag durchsetzen. Auch diesmal kommt die Kritik an dem Gesetz nur von außen.
Der Senator des Bundesstaats, John McCain, sagte der New York Times, er halte die neuen Bestimmungen für "ein gutes Instrument." Der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird derzeit in den republikanischen Vorwahlen von einem Gegenkandidaten herausgefordert, der vor allem mit dem Thema Einwanderung Stimmung gegen McCain macht.
Umstrittener Initiator
Vater des umstrittenen Gesetzes ist der Republikaner Russell Pearce, der seine moderaten Parteifreunde immer wieder mit politisch inkorrekten Aktionen in Wallung bringt. Er beschreibt es als seine Mission, den Bundesstaat Arizona von illegalen Einwanderern zu befreien und weitere Zuwanderung zu verhindern.
Seine Anhänger scheint es nicht zu stören, dass Pearce öfter gefährlich nah White Supremacists-Gruppen heranrückt, jene Amerikaner, die an eine weiße Herrenrasse glauben. Zum Beispiel trat er 2007 mit einem bekannten Neonazi auf - er habe über dessen Verbindungen nichts gewusst, sagte er danach. Ein Jahr zuvor sprach er bewundernd von in den USA der fünfziger Jahre durchgeführten Massenabschiebungen von Mexikanern. Angeblich aus Versehen leitete er eine E-Mail weiter, die einen Anhang von einer rassistischen Vereinigung enthielt.
Möglicherweise erklärt sich sein Eifer gegen Immigranten auch aus seiner persönlichen Geschichte. Sein Sohn, ein Polizist, wurde 2004 von einem illegalen Einwanderer angeschossen. Auch Pearce selbst, früher als stellvertretender Sherriff tätig, erlitt vor 20 Jahren Schusswunden bei einem Gangstreit. Seit Jahren gewinnt der Senator seine Wahlen fast ausschließlich mit dem Thema Immigration. Vorwürfen, er sei ein Rassist, entgegnet er: "Hier geht es nicht um Ethnien, hier geht es im illegale Aktivitäten."
Anders als in Kalifornien, New Mexico und Texas sind die Latinos in Arizona zum großen Teil nicht eingebürgert, weswegen sie keine mächtige Wählergruppe darstellen. Wahlkampf wird hier nicht um sie, sondern gegen sie gemacht. Um Arizona dazu zu bringen, das scharfe Immigrationsgesetz zurückzudrehen, braucht es daher Druck von außen - entweder ein Bundesgesetz oder wirtschaftliche Reaktionen.