Ein Bild und seine Geschichte:Wie die Nazis den 1. Mai vereinnahmten

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Eintritt statt Randale: Ticketverkauf am Leipziger Platz für die Maikundgebung auf dem Tempelhofer Feld 1933. (Foto: SZ Photo)

Im Jahr 1933 machen die Nationalsozialisten den Tag der Arbeit offiziell zum Feiertag. Doch statt um Klassenkampf soll es künftig um die Feier der "Volksgemeinschaft" gehen, Feuerwerk und Eintrittskarten inklusive.

Von Barbara Galaktionow

"Der große Tag des deutschen Volkes ist angebrochen", notiert Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 1. Mai 1933 in sein Tagebuch. Und freut sich über den Sonnenschein: "Richtiges Hitlerwetter." Das können die Nationalsozialisten gut gebrauchen. Denn sie planen, den bisherigen Kampftag der Arbeiterklasse zu einem gigantischen Spektakel mit Volksfestcharakter umzuformen.

Im April 1933 macht Adolf Hitler den 1. Mai offiziell zum Feiertag (zuvor war er das nur einmal kurzzeitig im Jahr 1919). Es ist ein erster Schritt, um die Arbeiter vom neuen Regime zu überzeugen. Noch sind die meisten von ihnen SPD- und KPD-Anhänger. Quasi e n passant wird dem 1. Mai damit ein anderer Sinn untergeschoben. Der "Tag der Arbeit" mutiert zum "Tag der nationalen Arbeit".

Der Coup folgt am 2. Mai

In ganz Deutschland sind Aufmärsche und Kundgebungen geplant - groß sollen sie vor allem in der Hauptstadt werden. Am Morgen ziehen Hunderttausende Kinder und Jugendliche zur Jugendkundgebung im Lustgarten beim Berliner Stadtschloss. Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg fahren im offenen Wagen zur Versammlung. Vor ihnen hat dort bereits Goebbels gesprochen.

Doch das eigentliche Großereignis des Feiertags soll erst noch folgen. Bereits zwei Tage zuvor sind an verschiedenen Orten Berlins Verkaufsstände aufgebaut worden. Das Foto oben zeigt einen solchen Stand am Leipziger Platz. Hier können die Bürger Eintrittskarten erwerben für die "Kundgebung auf dem Tempelhofer Felde" um 19:30 Uhr, wie ein Schild daneben wissen lässt. Zwei SA-Männer sind am Verkaufsstand postiert.

Am Tag nach der großen Maifeier wird der SA eine weniger friedfertige Aufgabe zukommen. Denn den eigentlichen Coup hat Reichspropagandaminister Goebbels für den Tag nach der "grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens" geplant: die Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften. Doch davon wissen die Berliner noch nichts, als sie ihre Tickets für das abendliche Massenspektakel am Tag der Arbeit kaufen.

Zwei Mark koste der Eintritt für individuelle Besucher, berichtet der Berliner Tagesspiegel. Doch die meisten Teilnehmer kommen nicht als zahlende Freiwillige, sondern werden von den Nazis aufs Feld verfrachtet. Aus ganz Deutschland bringt das NS-Regime Arbeiterdelegationen nach Berlin. Zusammen mit den Beschäftigten großer Berliner Betriebe ziehen sie in Kolonnen auf das Tempelhofer Feld.

Die Straßen sind mit Fahnen und Spruchbändern geschmückt, die die künftige Marschrichtung des Deutschen Reiches vorgeben. "Dem deutschen Menschen kann nur ein starkes Deutschland Arbeit geben", heißt es auf einem Transparent, das auf der Prachtstraße "Unter den Linden" befestigt ist.

Am Abend hält Hitler vor Hunderttausenden Arbeitern, die in zehn Blöcken auf dem Tempelhofer Feld aufmarschiert sind, seine erste große Rede. Die von Albert Speer entworfene Kulisse ist imposant. Sechs riesige Hakenkreuz-Banner und drei Banner mit den Farben der Reichsflagge ragen hinter der Rednerkanzel bis zu 20 Meter hoch in die Luft. Große Scheinwerfer tauchen alles in ein atmosphärisches Licht.

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"Deutsches Volk, du bist stark, wenn du eins wirst"

An die Stelle des Klassenkampfs rückt Hitler die Idee der Volksgemeinschaft: "Deutsches Volk, du bist stark, wenn du eins wirst", ruft er den Arbeitern zu. Zum ersten Mal wird eine seiner Reden auch im Radio übertragen. Noch in den letzten Winkeln des Landes können die Menschen sie mitverfolgen.

Der Reichskanzler kündigt ein großangelegtes Arbeitsbeschaffungsprojekt an - den Autobahnbau. "Eine gigantische Aufgabe, wir werden sie groß beginnen und die Widerstände dagegen aus dem Weg räumen." Die Kundgebung endet gegen Mitternacht mit einem Feuerwerk und der Nationalhymne.

"Überwältigend", befindet Goebbels später am Abend in seinem Tagebuch. Dem kommenden Tag blickt er entspannt entgegen: "Morgen werden wir nun die Gewerkschaftshäuser besetzen. Widerstand ist nirgends zu erwarten." Er wird recht behalten.

Am 2. Mai besetzen Truppen von SA und SS in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Die Arbeitervertretungen werden zerschlagen, ihre Vermögen beschlagnahmt, ihre Anführer verhaftet, viele landen im KZ. Die Gewerkschaftsmitglieder werden zwangseingegliedert in die Deutsche Arbeitsfront (DAF), einen Einheitsverband von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der einen Monat später gegründet wird. Das Streikrecht wird abgeschafft.

Mit dem weitreichenden Verlust ihrer Rechte verändert sich auch die Art wie die Arbeiter den 1. Mai künftig begehen: Statt zu protestieren, müssen sie im Dritten Reich bei Großkundgebungen in Reih und Glied aufmarschieren oder auf Feiern auftanzen, die von NS-Musterbetrieben organisiert werden.

Außerdem bleibt ihnen noch, am Tag nach der Feier den zurückgebliebenen Unrat aufzukehren.

Aufräumarbeiten nach dem 1. Mai 1933 Am Morgen nach dem 1. Mai 1933 wird auf dem Tempelhofer Feld liegengebliebenes Papier zusammengefegt und verbrannt. Nie veröffentlichte Fotographie (Foto: SZ Photo)
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