Geostrategie:Wem gehört Diego Garcia?

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Die Militärbasis Diego Garcia ist der einzige maßgebliche US-Posten im Indischen Ozean. (Foto: picture alliance)

Großbritannien und Mauritius verhandeln über die Zukunft des Chagos-Archipels im Indischen Ozean, wo sich auch eine US-Militärbasis befindet. Es geht um koloniales Unrecht - und um die Rivalität zwischen Washington und Peking.

Von Arne Perras

Als Weltmacht beanspruchen die USA ein weltumspannendes Netz aus Militärstützpunkten. Solche strategischen Brückenköpfe und Versorgungsstationen hat Washington seit dem Zweiten Weltkrieg vielerorts systematisch aufgebaut und erweitert. Kaum eine Basis hat allerdings eine so verzwickte Geschichte wie das tropische Atoll Diego Garcia im Indischen Ozean, das zum Chagos-Archipel gehört. Nun haben Verhandlungen über die Zukunft der Inselgruppe begonnen, wie der Premier von Mauritius, Pravind Jugnauth, zu Beginn des neuen Jahres bestätigte.

In Diego Garcia verbinden sich imperiale Ansprüche des Westens mit den Abgründen einer verschleppten Dekolonisierung. Diese toxische Mischung hat vor allem Großbritannien zu verantworten. Denn London hat in den 1960er-Jahren den sogenannten Chagos-Archipel samt Diego Garcia einfach weiterhin für sich reklamiert, während es Mauritius, das mit den Chagos-Inseln als koloniales Territorium verbunden war, in die Unabhängigkeit entließ.

Der Grund: Washington war damals auf der Suche nach einer geeigneten Basis im Indischen Ozean. Der Blick der Militärstrategen fiel auf das entlegene Atoll Diego Garcia - und London kam eilfertig zu Hilfe. Ein Deal wurde besiegelt, die USA pachteten das Gebiet für ihre Streitkräfte. Die Einheimischen auf den Inseln wurden dann in den Bäuchen alter Kähne verschifft, die ansonsten Vogelkot als Dünger transportierten. Man brachte sie auf die Seychellen und nach Mauritius.

Die Zahl der Entrechteten schien den Imperialisten überschaubar genug zu sein, um kaum aufzufallen - was das individuelle Leid der etwa 1000 Betroffenen nicht minderte. Armut und Elend bestimmten das Leben vieler Entwurzelter. Und es schien niemanden sonst besonders zu kümmern.

"Es fühlt sich an, als wiederhole sich die Geschichte"

Bis heute empfinden noch lebende Betroffene und deren Familien ein tiefes Misstrauen. Manche befällt das Gefühl, dass sie - damals wie heute - nicht mitzureden haben über ihre eigene Zukunft. Rosy Leveque von der Lobby-Gruppe Chagos Islanders klagte in der britischen Presse, dass ihre Familie schon damals wie Fracht fortgebracht wurde - und dass nun wieder verhandelt werde ohne die Betroffenen. "Es fühlt sich an, als wiederhole sich die Geschichte", sagte sie dem Daily Express.

Dass die britische Regierung nun "konstruktive Verhandlungen" mit Mauritius über die Zukunft von Chagos führen möchte, wie es in London heißt, könnte dennoch weitreichende Folgen haben. Zum einen für die Familien früherer Bewohner, die zurückkehren möchten in ihre Heimat. Aber auch für die Planungen der USA, die ein gewaltiges Interesse daran haben, Diego Garcia als Stützpunkt zu halten. Er ist, wie Sicherheitsexperten betonen, der einzige maßgebliche US-Posten im Indischen Ozean. Unter strategischen Gesichtspunkten gilt er als schwer ersetzbar.

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Großbritannien hatte im November 2022 erste Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ehemalige Bewohner von Diego Garcia hatten zuvor einiges Aufsehen erregt mit einer von Mauritius gesponserten Expedition in ihre frühere Heimat, samt einer - allerdings sehr kurzen - Landung. Bleiben durften sie damals nicht.

Lange Zeit war die einstige Zwangsumsiedlung ein Tabuthema in London, doch die Zeiten haben sich gewandelt. Schon 2019 befand ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, dass Großbritannien mit seinem Anspruch auf Chagos gegen internationales Recht verstoße. Damit stieg indirekt auch der Druck auf den Pächter, die USA. Sowohl London als auch Washington betonen oft, dass sie eine "auf Regeln basierende Weltordnung" befürworten, da passen politische Manipulationen und eine verschleppte Dekolonisierung nicht ins Bild.

Indien wird nervös

In indischen Sicherheitskreisen wurden unterdessen Sorgen laut, dass Mauritius die Chagos-Inseln künftig auch für Peking öffnen könnte, etwa um mit einem solchen Deal einen Teil chinesischer Schulden loszuwerden. Das Schreckgespenst einer chinesischen Expansion südlich von Indien scheint auch einige britische Tory-Abgeordnete zu beschäftigen. Der Politologe Peter Harris von der Colorado State University in den USA sieht allerdings noch keine belastbaren Belege für diese Mutmaßungen, zumal Mauritius angeboten hat, die Pacht von Diego Garcia an die USA künftig auf 99 Jahre festzuschreiben.

Manche nennen das Atoll den "unsinkbaren Flugzeugträger" der USA. Hier starteten jene Flugzeuge, die nach dem 11. September Afghanistan bombardierten und später im Golfkrieg im Einsatz waren. Auch für die amerikanische U-Boot-Flotte gilt das Atoll als wichtige Versorgungsstation.

Offiziell äußern die USA, dass sie den Streit um Chagos als bilaterale Angelegenheit zwischen Mauritius und London betrachten. Aber natürlich wissen alle: Das größte Gewicht in diesen Verhandlungen haben die USA, obgleich sie formal gar nicht am Tisch sitzen.

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