Gewerkschaften:"Wir wollen Brot und Rosen"

Lesezeit: 3 min

Die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi lässt sich nach ihrer Wahl von den Delegierten und ihrem Vorgänger Reiner Hoffmann feiern. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Erstmals steht eine Frau an der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Yasmin Fahimi hat schon gleich nach ihrer Wahl zwei wichtige Botschaften an ihren Parteifreund Olaf Scholz.

Von Roland Preuß, Berlin

Es hätte kaum besser laufen können. Als das Ergebnis da ist, steht Yasmin Fahimi auf, legt die Hand aufs Herz, lächelt breit, ehe sie sich umdreht und den Delegierten hinter ihr mit einer kleinen Verbeugung dankt. Mit 93,2 Prozent Zustimmung wird die SPD-Bundestagsabgeordnete am Montag zur neuen DGB-Chefin gewählt. Fahimi freut sich über die "großartige Unterstützung", dann drückt sie auch schon der erste Gratulant, der bisherige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Er hatte 2014 zu seinem Start 93,1 Prozent erhalten, nun hat Fahimi hauchdünne 0,1 Prozent mehr geholt. Für regulär vier Jahre wird die 54-Jährige nun die prominenteste Position der deutschen Gewerkschaften besetzen.

Fahimi ist die erste Frau an der DGB-Spitze. Was hat sie vor? Frisch gestärkt vom Wahlergebnis geht sie wenig später an das Rednerpult des DGB-Bundeskongresses in Berlin, um ihre Pläne vorzustellen. Es wird ein Auftritt mit klarer Stimme, entschiedenen Botschaften und einer neuen Vorsitzenden, die immer wieder mal vom Redemanuskript abweicht, ohne sich am Satzende zu verirren.

SZ PlusExklusivKünftige DGB-Chefin Yasmin Fahimi
:"Scholz weiß, dass er keinen Schmusekurs kriegt"

Im Mai wird Yasmin Fahimi als erste Frau Chefin des mächtigen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Was sie von der Bundesregierung fordert - und wie sie verhindern will, dass massenhaft gut bezahlte Jobs verschwinden.

Interview von Alexander Hagelüken und Benedikt Peters

Mit ihr an der Spitze, daran lässt sie keinen Zweifel, wird es mehr noch als bisher um die Rechte von Frauen gehen. Sie wolle eine "überfällige Gleichstellung der Geschlechter voranbringen", ihre Vielfalt, in der sie auch Migranten, Homosexuelle und andere einschließt, müssten die Gewerkschaften "sichtbarer ins Schaufenster stellen. "Wir Frauen sind frei", ruft Fahimi. Und: "Wir wollen Brot und Rosen!"

Es geht um ein moderneres Erscheinungsbild des DGB, für das schon Fahimi selbst als Chefin stehen soll. Es geht aber auch um ein Mittel gegen eines der größten Probleme der DGB-Gewerkschaften, den chronischen Mitgliederschwund. Mehr Frauen könnten diesen aufhalten oder zumindest abmildern, so die Hoffnung. Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Bildungsgewerkschaft GEW stellten Frauen schon jetzt die Mehrheit, sagt Fahimi bereits bei ihrer Bewerbungsrede am Morgen. Und: Sie werde sich nicht mit dem "Symbolwert" der Entscheidung abfinden, als erste Frau an die DGB-Spitze gewählt zu werden.

Die Gewerkschaften verlieren an Macht

Die schwindende Schlagkraft der Gewerkschaften hängt jedoch auch mit einer anderen, langjährigen Entwicklung zusammen. Für immer weniger Beschäftigte gelten noch Tarifverträgen. Zudem erodiert die Mitbestimmung durch Betriebsräte in den Unternehmen. Die DGB-Gewerkschaften verlieren auch deshalb an Macht.

Wie sehr das die Gewerkschafter umtreibt, merkt man am Applaus, den Fahimi für ihre Redepassagen zum Thema erntet. "Es muss Schluss sein mit der Mitbestimmungsflucht innerhalb Europas", sagt sie - und bezieht sich dabei auf eine Umgehung der bisherigen Regeln durch neue Rechtsformen für Unternehmen, etwa die Europäische Aktiengesellschaft, von denen laut DGB 80 Prozent keinen mitbestimmten Aufsichtsrat mehr haben. 300 000 Beschäftigte seien davon betroffen. "Ich nenne das einen offenen Angriff", sagt Fahimi. Sie fordert zudem mehr allgemein verbindliche Tarifverträge, um auch diejenigen Arbeitgeber zu erfassen, die aus der Tarifbindung ausgestiegen sind.

Für ihren Parteifreund Olaf Scholz, der bald nach ihr sprechen wird, hat die neue Vorsitzende zwei wichtige Botschaften. Erstens sei die sogenannte Schuldenbremse aus der Zeit gefallen. "Sie ist nichts anderes als eine ideologische Bremse gegen einen aktiven Staat und gegen eine soziale Politik." FDP-Finanzminister Christian Lindner will indes 2023 wieder zu einem Haushalt ohne größere Schuldenaufnahme zurückkehren.

Und zweitens bleibe der DGB trotz des Ukraine-Krieges "ein tragender Teil der Friedensbewegung". Man sehe Aufrüstung weiter skeptisch - und doch befürwortet Fahimi Waffenlieferungen an die Ukraine und gesteht zu, "dass diese Zeit neue Antworten braucht". Sie kündigt eine Debatte im DGB mit Fachleuten zur Friedenspolitik an. Fahimi sieht also Handlungsbedarf - und bewegt sich so langsam auf Olaf Scholz und dessen Politik der "Zeitenwende" zu.

Der Kanzler kommt mit Zumutungen und einer beruhigenden Nachricht

Der Kanzler wirbt wenig später für eben dies: Waffenlieferungen an die Ukraine und mehr Geld für die Bundeswehr. "Putin lässt uns keine andere Wahl", sagt Scholz in die Stille des Saales hinein. Auch Willy Brandt sei nicht um bedingungslosen Frieden gegangen, sondern immer auch um Freiheit, sagt er.

Doch Scholz hat nicht nur Zumutungen für die Gewerkschafter mitgebracht, sondern auch eine beruhigende Botschaft. Man werde trotz der Krise und all der Ausgaben für Rüstung die Projekte für Reformen und soziale Gerechtigkeit nicht einstellen, man werde keines der Vorhaben liegen lassen. "Sie werden jetzt erst Recht nötig sein", sagt Scholz. Es sind die Sätze, bei denen die DGB-Delegierten dann doch lauter zustimmen als nur mit einem höflichen Applaus.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDGB-Chef Reiner Hoffmann
:"Es fühlt sich komisch an, ausgerechnet jetzt zu gehen"

Der Sohn eines Maurers und einer Putzfrau brachte es bis zum Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Jetzt geht Reiner Hoffmann in den Ruhestand. Eine Abschiedsfahrt mit der Wuppertaler Schwebebahn.

Von Benedikt Peters

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: