Öffentlicher Nahverkehr:Kein Ticket für Umsteiger

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Fahrgäste steigen am frühen Morgen aus einer Regionalbahn am Hamburger Hauptbahnhof. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Nach einem halben Jahr Deutschlandticket fällt die Bilanz gemischt aus: Mehr als zehn Millionen Menschen haben die Flatrate-Fahrkarte abonniert, doch weniger als die Hälfte lassen dafür ihr Auto stehen.

Von Martin Tofern, München

Es könnte so schön sein: Immer mehr Menschen lassen das Auto stehen und steigen auf die Bahn um, weil sie mit dem Deutschlandticket weder auf Tarifzonen noch Gültigkeitsbereiche achten müssen. Noch nie war es so einfach, von A nach B zu fahren. Seit Mai dieses Jahres können Fahrgäste für 49 Euro im Monat mit Bussen und Regionalbahnen so weit und so viel fahren, wie sie wollen. Die Zwischenbilanz nach einem halben Jahr Deutschlandticket fällt aber eher gemischt aus.

"Das Deutschlandticket ist ein Erfolg", sagt Alexander Möller, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Wir haben Kundenzahlen wie vor Corona, binden Kunden wie noch nie." Nach Angaben des Verbands nutzen inzwischen zehn Millionen Menschen das 49-Euro-Abo. Das klingt erst einmal nach viel, doch nüchtern betrachtet nutzt das Ticket nur jeder achte Bürger. Und mehr als die Hälfte der Kunden hatte zuvor schon ein anderes, teureres Abo, sie sind also keine neuen Kunden des öffentlichen Nahverkehrs, sondern fahren jetzt einfach nur billiger.

Ökologisch ein Misserfolg?

Was also hat die Flatrate-Fahrkarte wirklich gebracht? Nach einer Umfrage des Yougov-Instituts hatte fast ein Viertel der Bundesbürger das Deutschlandticket mindestens einen Monat lang. Und die meisten Nutzer änderten auch ihr Mobilitätsverhalten. So ist ein Drittel der Befragten insgesamt mehr unterwegs als zuvor. Fast ebenso viele lassen öfter das Auto stehen, seit sie das Deutschlandticket besitzen. Nach Angaben des VDV sind acht bis zehn Prozent der Abo-Besitzer echte Einsteiger in den öffentlichen Nahverkehr, sind also zuvor meist mit dem Auto gefahren. Die Menschen auf dem Land tun das im Übrigen auch weiterhin, denn dort gilt nach wie vor: Es fährt kein Zug nach Nirgendwo.

Als regelrechten Misserfolg betrachtet der Verkehrsforscher Christian Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft das Ticket - und zwar im Hinblick auf die Umwelt. So sprach das Verkehrsministerium von drei bis vier Millionen Tonnen CO₂, die eingespart werden sollten. "Geht man davon aus, dass 80 Prozent aller Fahrten im öffentlichen Verkehr mit dem Deutschlandticket erfolgt sind, dann kommt man nur auf 0,4 Millionen Tonnen Einsparung", sagt Böttger. Er meint, dass mit dem Ticket nur "die Mittelschicht im Speckgürtel" subventioniert wird. Zwar sei die Vereinfachung der Tarife in verschiedenen Städten gut, diese lasse sich aber auch auf andere Weise erreichen.

Bund und Länder streiten ums Geld

Aus Sicht Böttgers braucht es eine Diskussion darüber, wie das Ticket weiterentwickelt werden könnte. Es fehle eine Regelung für Studenten und die Möglichkeit, Familienmitglieder, Freunde oder Haustiere mitzunehmen.

Doch Bund und Länder streiten mehr über Geld als über Verbesserungsvorschläge. Für dieses Jahr teilen sie sich die Mehrkosten je zur Hälfte, für das Jahr 2024 haben sie die Frage offengelassen. Die Länder wollen, dass sich der Bund weiter zur Hälfte beteiligt, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat das rundweg abgelehnt. Der VDV geht davon aus, dass die Verluste für den Personenverkehr in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro betragen werden, und errechnet für 2024 ein Defizit von 4,1 Milliarden Euro.

Marode Infrastruktur verhindert Erfolg

Am 6. November will Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Länderchefs darüber beraten, wie es mit dem Ticket weitergehen soll. Möglich, dass sich die Runde auf eine Erhöhung des Preises einigt. Das würde zwar die öffentlichen Kassen entlasten, aber womöglich die mühsam gewonnenen Bahnkunden wieder vergraulen. Bundesverkehrsminister Wissing will das Ticket ebenfalls behalten. "Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass das Ticket weiter Bestand haben wird, denn es ist sehr erfolgreich", sagte er im Bundestag.

Weitere Bahnkunden ließen sich für einen Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel aber auch gewinnen, wenn die Bahn ihre Infrastruktur so weit ertüchtigen und ausbauen würde, dass der Zugverkehr pünktlich und reibungslos funktionieren und auch mit steigenden Fahrgastzahlen fertig werden würde. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Wer im Sommer etwa in eine Urlaubsregion fahren wollte, musste sich in überfüllte Züge quälen oder konnte gar nicht erst einsteigen, weil für das Fahrrad kein Platz mehr war. Hinzu kamen Zugausfälle, Signalstörungen oder fehlendes Personal. Ob im Urlaubs- oder Berufsverkehr: Bleiben die Probleme bei der Bahn bestehen, schreckt das mögliche Interessenten an einem Abo-Angebot ab. Sie fahren dann doch lieber Auto - sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, wo in Sachen öffentlicher Nahverkehr ohnehin ein noch größerer Nachholbedarf besteht.

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