Deutsche Waffen für Kurden:Quälendes Ringen

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"Wir haben die Chance, weitere Massenmorde zu verhindern", begründete Kanzlerin Merkel den Schritt, Waffen an die Kurden im Irak zu liefern. Vielen Abgeordneten fällt es schwer, diese Entscheidung zu akzeptieren.

Von Stefan Braun, Berlin

Ob er dazu noch mal was sagen wird? Zu seinem Ja, aus dem dann ein Nein wurde? Es ist ja nicht so, dass bei der Frage, ob man den Kurden im Nordirak Waffen liefern sollte, nur die Regierung mit sich gekämpft hätte. Gregor Gysi hat auch mit sich gerungen. Und wie. So sehr sogar, dass der Chef der Linksfraktion in seiner ersten Reaktion dafür gewesen ist - und dann dagegen. Was freilich auch damit zu tun hatte, dass seine Linkspartei ganz anderer Meinung gewesen ist. Spannend also, ob Gysi jetzt, im Bundestag, in der Sondersitzung, die auch er gefordert hat, ein paar Worte dazu verlieren wird.

Um es kurz zu fassen: Er wird es nicht. Kein Wort dazu, dass es da ein Suchen und Ringen gegeben hat. Nicht zuletzt bei ihm. Stattdessen hat er sich, wie so oft, für den frontalen Angriff entschieden. Stillos sei es, ausgerechnet an diesem 1. September über Waffenlieferungen zu reden. Der 1. September, das ist der Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. Er ist zum Weltfriedenstag erklärt worden. Natürlich nutzt Gysi diese Gelegenheit, um den Tag als falschen Tag für eine solche Debatte zu geißeln.

Und nicht nur das. Gysi attackiert auch die Tatsache, dass die Regierung längst Beschlüsse gefasst habe. "Wir, das Parlament, hätten das entscheiden müssen." Das ärgere ihn gewaltig. Überhaupt müsse Deutschland endlich aufhören, Waffen zu exportieren. "Wir sind drittgrößter Waffenexporteur der Welt", schimpft der Fraktionschef der Linken. "Wenn man das ist, verdient man an jedem Krieg." Klare Worte sind das, herrlich schön und ohne jede Last der Abwägung. Dass es diesmal gar nicht um Waffenexporte geht, also nicht ums Geldverdienen, nun ja, das wird nicht ausgesprochen. Könnte ja die Wucht des eigenen Arguments schwächen.

Die Grünen haben sich für einen anderen Weg entschieden

Und um die Wucht geht es ihm. Also kritisiert er, dass man mit Wladimir Putin nicht mehr rede und deshalb offenbar auch auf eine stärkere Befassung des UN-Sicherheitsrats verzichte. Er kritisiert, dass man sich nicht um die Millionen hungernden Kinder auf der Welt kümmern würde. Er verlangt, die PKK von der Liste der Terrororganisationen zu streichen (siehe rechts). Gysi schimpft so viel und so kompromisslos, dass sein Rundumschlag am Ende wie ein Versuch wirkt, die eigenen Unzulänglichkeiten vergessen zu machen.

Die Grünen haben sich da für einen anderen, nicht ganz so einfachen Weg entschieden. Was auch daran liegen könnte, dass in ihren Reihen mancher durchaus für Waffenlieferungen eintritt. Auch am Morgen hat Parteichef Cem Özdemir noch einmal erklärt, der IS dürfe niemals erfolgreich sein, sonst drohe ein Terrorstaat schlimmster Prägung. Deshalb müssten die IS-Terrormilizen auf alle Fälle zurückgedrängt werden.

Özdemir sagt nicht, was er vor drei Wochen erklärt hat. Damals betonte er, die Kurden könnten sich nicht "mit Yogamatten" der IS-Milizen erwehren. Trotzdem ist klar, dass er Waffenlieferungen unterstützen würde.

Und doch, die Mehrheit bei den Grünen denkt anders. Und Anton Hofreiter, ihr Fraktionschef, bemüht sich, das nicht als klare, kühle, nüchterne, ja emotionslose Entscheidung erscheinen zu lassen. Im Gegenteil. Selten dürfte dieser Anton Hofreiter sich so viel Mühe gegeben haben, Verständnis für die Entscheidung der Regierung zu signalisieren, auch wenn er und seine Fraktion sie am Ende nicht teilen. Er sagt nicht nur, dass die amerikanischen Luftschläge gegen den IS "richtig und notwendig" gewesen seien (Gysi sagte dazu kein Wort).

Hofreiter erklärt auch, dass der Einsatz von militärischer Gewalt manchmal unverzichtbar sein kann, das müsse man bei jedem Einzelfall gesondert prüfen. Und er betont, dass es in seinen Reihen manchen gibt, der die Sorgen der Regierung teile. Spätestens an der Stelle gibt es auf der Regierungsbank manchen bis hin zur Kanzlerin persönlich, die staunend zuhören, statt in ihren Akten zu lesen.

Am Ende freilich kommt Hofreiter im Namen seiner Truppe trotzdem zu dem Ergebnis, dass im Fall von Waffenlieferungen "die Risiken aus unserer Sicht den kurzfristigen Nutzen überragen". Seine Begründung: Niemand könne man Gewissheit sagen, ob die Waffen dauerhaft in den richtigen Händen verbleiben würden und am Ende nicht doch neuen Treibstoff für innerirakische Konflikte liefern könnten. Trotzdem betont Hofreiter am Ende noch einmal, was ihm offenkundig besonders wichtig ist: "Wir halten Ihren konkreten Vorschlag für falsch, nicht Ihre Intension."

Ein Satz, mit dem die Kanzlerin gut leben dürfte. Zumal auch sie bei ihrer Rede sehr darum bemüht ist, die Abwägungen der Regierung einigermaßen offenzulegen. Wie schwer das freilich sein muss, zeigt die Tatsache, dass die Kanzlerin weit ausholt, bis sie beim eigentlichen Thema, den Waffenlieferungen, ankommt. Zuvor erinnert auch sie an diesem 1. September natürlich an den Beginn des Zweiten Weltkriegs und seine schrecklichen Folgen. "Das werden wir Deutschen niemals vergessen."

Sie erinnert an die friedensstiftenden Erfolge der EU und die Krise in der Ukraine, sie kündigt neue Sanktionen gegen Russland an und verweist darauf, dass auf dem Nato-Gipfel Ende der Woche auch Afghanistan eine Rolle spielen wird. Ja, Angela Merkel zeigt auf viele andere Krisen, bis sie auf die Krise im Irak kommt. Die Kurden, die Waffen, die Abwägungen werden eingereiht in ein großes Gemälde.

So kann die Kanzlerin offenkundig leichter darüber reden, wie oft eine Regierung heikle Alternativen abwägen muss und wie schwierig diese Abwägungen mitunter sein können. Im Nordirak gehe es um eine Terrormiliz, die "unfassbare Gräueltaten" begehe. Es gehe darum, Massenmorde zu verhindern. Es gehe um Millionen Flüchtlinge, denen eine "humanitäre Katastrophe" drohe. Ethnische und religiöse Säuberungen würden begangen. Merkels klare Ansage: Das "kann uns auf keinen Fall kaltlassen".

Natürlich habe man alle Fragen sorgsam abgewogen, auch die Frage, ob die Waffen am Ende in falsche Hände geraten könnten. Natürlich habe man "sämtliche sicherheitspolitischen Aspekte" geprüft und abgemessen. "Uns sind die Risiken bewusst", lautet ihre Botschaft. Trotzdem sei die Regierung zu einem Ergebnis gekommen: "Das, was ist, wiegt in diesem Fall schwerer als das, was sein könnte."

© SZ vom 02.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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