Der Kandidat:Profi der Macht

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Der alte und der neue Bundespräsident: Joachim Gauck (links) und Frank-Walter Steinmeier schütteln sich die Hände, nachdem Steinmeier sein Amt als Außenminister offiziell niedergelegt hat. (Foto: AFP)

Kanzleramtschef, Außenminister, Fraktionsvorsitzender: Frank-Walter Steinmeier ist schon seit 30 Jahren Politiker. Als Präsident wird er sich neu erfinden müssen.

Von Stefan Braun

Die Menschen sind plötzlich ganz nah. Als Frank-Walter Steinmeier sich auf den verstaubten Teppich setzt, vor die wackelige Wand dieser kleinen Baracke, helfen ihm keine Diplomatie und keine wohlziselierten Worte. Hier, in dem winzigen Unterschlupf, trifft er eine neunköpfige Flüchtlingsfamilie. Und die erzählt stockend, bescheiden, etwas schüchtern, von ihrem prekären Leben. Draußen schüttet es seit Tagen; die Temperaturen an der syrisch-libanesischen Grenze schwanken um den Gefrierpunkt. Drinnen steht die Luft; das Öl des Bollerofens beißt in der Nase. Und der deutsche Außenminister? Er fragt nach dem Essen, nach den Kindern, nach dem Schlaf und den Hoffnungen dieser Menschen. Er trägt keinen Schlips und keinen Anzug, sondern Cordhose, offenes Hemd, warme Jacke. Und er fremdelt, nicht nur ein bisschen.

Was verständlich ist für einen, der die allermeiste Zeit etwas anderes tut, als sich in solche Situationen zu stürzen. Hier vermittelt Steinmeier nicht; hier schüttelt er keine Hände vermeintlich wichtiger Leute. Hier trifft er auf Flüchtlinge, die seit fast fünf Jahren in diesem Mist festhängen, fast alle Ersparnisse verbraucht haben und um ihre Zukunft fürchten, weil keine Rettung in Sicht ist. Ihnen muss er keine Rede halten, er muss ihnen zuhören.

Steinmeier ist drei Jahre lang viel um die Welt gereist; er hat Dutzende Male den amerikanischen und den russischen Außenminister getroffen. Aber Begegnungen wie diese sind selten dabei gewesen. Mal in Afrika, mal im Gazastreifen, zuletzt in einem ehemaligen Rebellen-Camp in Kolumbien - nur selten gehörten diese Realitäten zu seinen Reisen als Außenminister.

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Außerdem bleiben sie fast immer Sekundenaufnahmen. Er fliegt ein, sagt guten Tag, stellt ein paar Fragen, wiegt verstehend sein Haupt. Und nach zwanzig Minuten folgt, was immer kommt: abdampfen, umziehen, den nächsten Politiker treffen und danach vielleicht ein paar ausgleichende Worte sagen. Nichts macht deutlicher, welche Veränderung für Steinmeier ansteht. Sollte er, wie erwartet, am Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt werden, wird er sich - auch nach Einschätzung künftiger Berater - neu erfinden müssen.

Andere kämpften mit dem Protokoll - er muss sich davon auch mal lösen

Er selbst hat zum Abschied als Außenminister gesagt, im neuen Amt werde "die öffentliche Rede nicht das einzige Instrument" sein, um zu wirken. Das lässt sich schärfer ausdrücken: Steinmeier wird künftig mehr als ein guter Redner sein müssen. Gerade weil er bislang einen guten Ruf genießt und international bekannt ist, wird es bei ihm weit mehr darum gehen, den Menschen jenseits der Politik und der protokollarischen Pflichten zu begegnen. Viele seiner Vorgänger mussten sich ans enge Korsett des Protokolls gewöhnen. Er muss lernen, sich davon auch mal zu lösen. "Durchs Land reisen, auch dorthin, wo es den Menschen nicht gut geht, wo Spannung herrscht und die Leute unglücklich sind - das steht an", sagt einer, der mit dabei sein wird. Den Menschen sein Gehör schenken, das werde seine Aufgabe.

Nun hat Steinmeier in Wahlkämpfen auch solche Reisen gemacht. Er kennt sein Zuhause, seine Herkunft und seinen brandenburgischen Wahlkreis. Aber andere Ecken und Regionen, auch die schwierigen, wo die Zuwanderung den Leuten viel abverlangt oder wo Rechtsradikale um die Vorherrschaft im öffentlichen Raum kämpfen, muss Steinmeier neu studieren. Nicht als Jurist, nicht als Vertreter der Macht, der er nun bald 30 Jahre lang ist. Sondern als Mensch, zugewandt, mit Zeit, geduldig, ohne die Brille des Politikers, der die Welt stets auf pragmatische Möglichkeiten hin vorsortiert hat.

Macht und Mensch - das ist für Steinmeier ohnehin ein besonderes Kapitel. Über beides mag er selten reden, vor allem wenn es konkret wird. Das dürfte daran liegen, dass er die Kälte und die Wärme dieses Wortpaars auch selbst verkörpert. Hier der Kanzleramtsminister, der in Zeiten des Terrors hart blieb, auch gegenüber dem Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo einsaß; dort der Ehemann, der seiner Frau im August 2010 mit einer Nierenspende das Leben gerettet hat. Bei einer zufälligen Begegnung Wochen nach der Operation hat er erzählt, wie viel wichtiger dieses Leben sei im Vergleich zu allem, was Politik einem biete. Es klang ehrlich, und es klang für einen Moment sogar so, als könnte er aufhören - obwohl er später wieder sehr gerne Außenminister wurde. Der Fall Kurnaz und die Nierenspende sind die Pole, die Steinmeier als Person und Politiker ausmachen.

Vielleicht ist er auch deshalb nicht von Anfang an ein begeisterter Kandidat gewesen. Er ahnte, dass sich der Blick wieder auf seine ganze Geschichte, nicht nur die der Diplomatie, richten würde. Als Sigmar Gabriel seinen Namen vor zwei Jahren erstmals ins Spiel brachte, reagierte Steinmeier deshalb angesäuert. Damals steckte er mittendrin in der Rolle des Außenministers, kämpfte um das Atomabkommen mit Iran, verhandelte in Minsk zur Rettung der Ukraine, warb in Teheran und Riad für internationale Syriengespräche. Es war Steinmeiers Blütezeit: Er war überall dabei und - noch - fragte niemand, ob er irgendwas erreichen würde.

Spätestens im Sommer 2016 drehte sich dann seine Stimmung. In Syrien blieb es schrecklich, in der Ukraine wurde es nicht besser. Der deutsche Wahlkampf kam in Sichtweite, und Steinmeier begann, auf tausend Hochzeiten gleichzeitig aufzutreten. Ganz so, als wolle er zeigen, dass die Experten auf dem Historikerkongress ihn genauso beklatschen wie die Honoratioren, die ihm den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie in Tutzing verliehen haben. Je schlechter die Perspektiven auf dem diplomatischen Parkett, desto stärker nahm er Termine wahr, die darüber hinauszielten. Das wirkte wie eine Bewerbung, auch wenn es keine sein sollte.

Eines war damals nicht klar und zeigt sich jetzt umso mehr: dass Steinmeier auf keinen Fall alleine ins Schloss Bellevue umziehen wird. Längst steht fest, dass ein Staatssekretär, der Planungschef, der Redenschreiber, die Parlamentsexpertin und sehr wahrscheinlich der Leiter der Kulturabteilung mitgehen werden. Nicht nur der künftige Präsident, auch seine Leute müssen sich auf viel Neues einstellen.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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