Köln:Experten warnen vor rechter Unterwanderung der Proteste

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Nach den Berliner Protesten gegen Corona- Beschränkungen und der Besetzung der Reichstagstreppe sehen Fachleute einen wachsenden Einfluss von Rechtsextremisten...

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Berlin (dpa) - Nach den Berliner Protesten gegen Corona- Beschränkungen und der Besetzung der Reichstagstreppe sehen Fachleute einen wachsenden Einfluss von Rechtsextremisten auf die Demonstrationen. „Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Protestbewegung“, sagte der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstag). „Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern.“ Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich besorgt.

Der Verfassungsschutz beobachtete bei den Protesten am Wochenende „eine starke rechtsextremistische Komponente, die aggressiv und gewalttätig durch Störaktionen auftrat“. Die Befürchtungen der Behörde hätten sich bestätigt, sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang der Deutschen Presse-Agentur. „Rechtsextremisten und Reichsbürgern ist es gelungen, einen Resonanzraum zu besetzen, wirkmächtige Bilder zu erzeugen und so das heterogene Protestgeschehen zu instrumentalisieren.“

Am Samstag hatten nach Angaben der Polizei 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags unter anderem schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen auch mit Pfefferspray zurück. Zuvor hatten nach Polizeischätzungen annähernd 40 000 Menschen in Berlin weitgehend friedlich gegen die Corona-Politik demonstriert. Am Rande kam es zu Stein- und Flaschenwürfen von „Reichsbürgern“ und Rechtsextremen auf Polizisten.

Die CDU fordert als Konsequenz aus den Vorkommnissen härtere Strafen für Angriffe auf Polizisten. „Um diejenigen besser zu schützen, die uns schützen, wollen wir bei tätlichen Angriffen die Mindeststrafe auf sechs Monate Haft anheben“, heißt es in einer am Dienstag verbreiteten Erklärung des CDU-Präsidiums. Bislang sieht das Strafgesetzbuch als Untergrenze lediglich drei Monate vor.

Die Berliner Polizei hatte versucht, verschiedene Demonstrationen zu verbieten, war damit aber vor Gerichten gescheitert. Ein Argument war der Infektionsschutz, der durch mangelnden Abstand und den Verzicht auf Masken nicht gewährleistet sei.

Vor diesem Hintergrund führt Berlin ab nächsten Samstag eine Maskenpflicht bei Demonstrationen mit mehr als 100 Teilnehmern ein. Bei Aktionen mit weniger Teilnehmern soll nur dann eine solche Pflicht greifen, wenn die Demonstranten Parolen skandieren oder singen, beschloss der Senat. Keine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gilt für Autokorsos und Fahrrademos.

Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang sagte, vor den Demonstrationen am Wochenende habe seine Behörde „eine verstärkte Mobilisierung durch Rechtsextremisten“ festgestellt. Sowohl dabei als auch bei den Demonstrationen selbst habe seine Behörde Vertreter verschiedenster Bereiche des Rechtsextremismus gesehen: „Aus rechtsextremistischen Parteien und Organisationen, der Neuen Rechten, den AfD-Teilorganisationen Junge Alternative und Flügel sowie der Reichsbürgerszene“. Der „Flügel“ der AfD hat sich mittlerweile offiziell aufgelöst.

„Insbesondere an den spontanen Aktionen haben relativ viele Anhänger der Reichsbürger-Ideologie teilgenommen“, so Haldenwang weiter. „Wir beobachten genau, ob die Gefahr einer rechtsextremistischen Vereinnahmung eine noch größere Dimension annimmt und es diesen Akteuren gelingt, eine Anschlussfähigkeit herzustellen.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits am Montag Kritiker und Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen davor gewarnt, sich bei Demonstrationen „vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen zu lassen“. Polizeigewerkschafter Radek sagte, seit vergangenem Wochenende habe die Corona-Protestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren. „Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabei bleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemein machen will und seine persönlichen Sorgen in der Corona-Krise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will.“

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag): „Rechtsextreme suchen auf diesen Demonstrationen Anschluss ins bürgerliche Lager. Und sie werden offen geduldet, man streckt ihnen sogar die Hand aus. Das macht mich fassungslos.“ Voraussichtlich am Donnerstag wird sich der Ältestenrat des Bundestags mit den Vorfällen am Reichstagsgebäude befassen.

Zentralratspräsident Schuster kritisierte in der „Bild“-Zeitung (Dienstag): „Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt.“ Dafür machte er unter anderem „sehr rechte und rechtsextreme Gruppen“ verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten.

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