Demonstration:Proteste gegen Flüchtlingsunterkunft laufen aus dem Ruder

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"Angst um Upahl" steht auf einem Schild vor dem Ortseingang. Nach den tumultartigen Protesten hat die Polizei vier Strafverfahren eingeleitet. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Ein Protest gegen den Beschluss zum Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg führt zu Tumulten. Die Kreistagssitzung muss von der Polizei geschützt werden. Beobachter sehen Rechtsextreme am Werk.

Von Sebastian Schug, dpa

Grevesmühlen/Upahl (dpa) - Mit Trillerpfeifen und Megafon machen Demonstranten ihrem Protest gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in einem Mecklenburger 500-Seelendorf Luft. Es fliegt Pyrotechnik, Nebeltöpfe werden gezündet. Nur mit einem Großaufgebot kann die Polizei verhindern, dass sich die Menschen Zugang zum Kreistags-Gebäude in Grevesmühlen verschaffen, in dem über den Bau beraten wird. Die Fernsehbilder von der Protestaktion, an der sich am Donnerstag Behördenangaben zufolge zwischenzeitlich bis zu 700 Menschen beteiligten, wirken bedrohlich. Die Polizei hatte ihre Kräfte vor Ort kurzfristig von 60 auf 120 verdoppelt, um die Lage unter Kontrolle halten zu können. Es gelang ihr - mit Mühe.

Wie in Nordwestmecklenburg mehren sich auch in anderen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns die Proteste. In vielen Kommunen sind die Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen erschöpft. Wohnungen sind Mangelware. Nun sollen Container-Dörfer errichtet werde, unter anderem in Upahl zwischen Wismar und Grevesmühlen. 400 Menschen sollen dort Zuflucht finden. Das Dorf zählt wenig mehr als 500 Bewohner.

„Ich habe auch großes Verständnis für die Sorgen und Ängste der Einwohnerinnen und Einwohner von Upahl. Und wir werden alles tun, um diese zu lindern und entstehende Problemlagen mit der temporären Unterkunft zu lösen“, sagte CDU-Landrat Tino Schomann am Freitag. Der Bau der Flüchtlingsunterkunft sei eine Notlösung, geschuldet den nicht nachlassenden hohen Zuweisungszahlen. „Ich bin seit Monaten dabei, das Land und den Bund auf die Zuspitzung der Lage hinzuweisen, und ich bin längst nicht der Einzige“, erklärte er die Situation.

Die Container-Unterkunft soll im März fertig werden. Dann will der Landkreis Asylsuchende aus kurzzeitig als Unterkünfte genutzten Sporthallen in Wismar dorthin bringen.

Auch Björn Griese, der für die Linke im Kreistag sitzt, kann die Bedenken nachvollziehen: „Für ein Dorf mit gut 500 Einwohnern, ist das schon ein schwieriges Verhältnis. Zumal, wenn man bedenkt, dass es dort kaum eine Infrastruktur gibt und der Weg in die nächste größere Stadt weit ist“. Zudem sei die Entscheidung des Landratsamtes auch für die Kreistagsmitglieder sehr kurzfristig gekommen. „Wir konnten nur noch über die Finanzierung abstimmen. Das war alles keine Sternstunde für die Demokratie“, sagte Griese.

Zwar kam nach Einschätzung der Polizei der Großteil der Demonstranten in Grevesmühlen aus der bürgerlichen Mitte. Doch seien auch Rechtsextreme sowie Angehörige der Fußballfan- und der Reichsbürgerszene unter den Teilnehmern gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Diese sorgten aus Sicht der Sicherheitskräfte aber maßgeblich dafür, dass sich die Stimmung am Abend vor dem Kreistagsgebäude immer mehr aufheizte.

Laut dem Verfassungsschutz im Land haben Rechte über einschlägige Kanäle in den sozialen Medien zu einer Teilnahme an der Demo in Grevesmühlen aufgerufen und waren auch selbst vor Ort. Die Mobilisierung gegen Geflüchtete sei verbunden „mit der Hoffnung, aus der Szene, ihre Anschlussfähigkeit in der Mitte der Gesellschaft zu erhöhen“, hieß es. Gleiches gelte für Reichsbürger und sogenannte Deligitimierer.

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) betonte, dass Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zentrale Grundrechte einer Demokratie seien, er verurteilte die Eskalation aber. Dass bekannte Rechtsradikale und Rechtsextreme versuchten, solche Veranstaltungen für sich zu okkupieren, sei nicht hinnehmbar. „Wenn dies einhergeht mit Störungen von Demonstrationen und dem Versuch, gewaltsam in Tagungsorte demokratisch gewählter kommunaler Entscheidungsgremien einzudringen, ist dies klar demokratiefeindlich“, sagte Pegel am Freitag. Die Vorgänge würden strafrechtlich aufgearbeitet. Vier Strafverfahren - unter anderem wegen schweren Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz - wurden eingeleitet.

Das Internationale Auschwitz Komitee reagierte ebenfalls auf den Tumult am Vorabend des internationalen Holocaust-Gedenktages. „Die gestrige Demonstration in Grevesmühlen belegt einmal mehr, wie derzeit Rechtsextreme versuchen, zum Hass aufzurufen und die Demokratie zu attackieren“, sagte der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner. Die Bilder erinnerten ihn an die versuchte Erstürmung des Reichstagsgebäudes in Berlin oder den Angriff auf das Kapitol in Washington.

Der Schweriner AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm kritisierte die Tumulte in Grevesmühlen, er hält den Protest jedoch für gerechtfertigt. Er rief zu „friedlichem Protest gegen die irrsinnige Migrationspolitik“ auf. Er sehe die Aufnahmekapazität für Geflüchtete am Limit, die Obergrenze sei erreicht, so Holm.

Mobilisierung aus dem rechten Spektrum ist der Region nicht fremd. Im nur eine Viertelstunde von Upahl entfernten Ort Jamel gibt es seit langem eine bekannte rechtsextreme Gemeinschaft, der sich ein dort lebendes Künstlerpaar mit dem Anti-Rechts-Festivals „Jamel rockt den Förster“ widersetzt. Mitte Januar wurden im vorpommerschen Loitz Tür und Fenster einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge eingeschlagen. Eine politisch motivierte Tat wird von den Ermittlungsbehörden nicht ausgeschlossen.

Dass der Neubau in Upahl nötig ist, hat auch mit einer Brandserie zu tun. In dem kleinen Ort Groß Strömkendorf bei Wismar brannte Ende 2022 eine von Ukrainern bewohnte Unterkunft ab. Obwohl nur noch wenige Menschen dort untergebracht waren, bot sie als Reserve 150 Plätze. Ein Feuerwehrmann aus der Region wird dieser und anderer Taten verdächtigt, er sitzt in Untersuchungshaft. Eine politische Motivation hatte der Mann nach bisherigen Erkenntnissen nicht.

Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rund 5000 Asylsuchende nach Mecklenburg-Vorpommern, fast eine Verdopplung im Vergleich zum Jahr davor. Doch ist die Zahl weit entfernt von denen der Jahre 2015 oder 2016. Der erhöhte Platzbedarf liegt begründet im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Mecklenburg-Vorpommern nahm laut Innenministerium im Vorjahr auch mehr als 22 000 Flüchtlinge aus Ukraine auf. Wegen der erwarteten Ausweitung der Kämpfe in der Ukraine im Frühjahr könnten dann weitere Menschen zur Flucht gezwungen sein. Darauf bereitet sich auch Mecklenburg-Vorpommern vor.

© dpa-infocom, dpa:230127-99-381355/5

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