Demonstrationen:Berlin setzt ein Zeichen gegen Antisemitismus

Lesezeit: 4 min

Teilnehmer der Kundgebung „Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus – in Solidarität und Mitgefühl mit Israel“ vor dem Brandenburger Tor schwenken israelische Flaggen. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Tausende von Menschen demonstrieren am Brandenburger Tor gegen Antisemitismus. Am Sonntagabend brennen Kerzen am Bebelplatz. Aber in Neukölln war es erneut nicht durchgehend friedlich.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa/bb) - Tausende Menschen haben am Sonntag in Berlin auf einer emotionalen Großkundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel demonstriert. Mit eindringlichen Worten schilderten Angehörige von Geiseln der Hamas ihren Schmerz und forderten die Befreiung der Verschleppten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief auf der Demonstration zum Schutz des jüdischen Lebens in ganz Deutschland auf.

Aufruf von Steinmeier

Steinmeier sagte, der Schutz jüdischen Lebens sei Staatsaufgabe - „aber er ist auch Bürgerpflicht“. Ausdrücklich bat Steinmeier „alle Menschen in unserem Land, diese Bürgerpflicht auch anzunehmen“. Angesichts antisemitischer Ausschreitungen der vergangenen Tage nannte er es „unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder Angst haben - ausgerechnet in diesem Land“.

Geburtstagslied für Geisel

Viele Demonstrierende hatten Tränen in den Augen, als die Angehörige Roni Roman ein Geburtstagslied für ihre Schwester anstimmte, die mit ihrem Kind von der Hamas entführt worden war. „Heute ist der Geburtstag meiner Schwester, ich stehe hier vor Ihnen alleine, ich weiß nicht, wo sie ist, ich kann sie nicht in die Arme nehmen“, sagte die Frau. „Die Zeit läuft ab für meine Schwester und mehr als 200 Menschen, die in Gaza gefangen gehalten werden.“

Yoni Asher, dessen Töchter und Frau entführt wurden, sagte: „Ich möchte meiner Tochter und meiner Frau sagen: Haltet durch bitte, Euer Vater liebt Euch, habt keine Angst, umarmt einander. Unsere Liebe wird gewinnen und Ihr werdet wieder in meine Arme zurückkehren.“

Steinmeier rief den Angehörigen der Geiseln zu: „Wir Deutschen leiden, wir beten, wir flehen mit Euch.“ Die Deutschen wollten alles für die Freilassung der Geiseln tun. An die Geiselnehmer appellierte Steinmeier, die unschuldigen Menschen freizulassen.

Viele israelische Fahnen

Zahlreiche Demonstrierende schwenkten israelische Flaggen, zu sehen waren auch iranische und kurdische Fahnen, auch Transparente mit Aufschriften wie „Schluss mit dem Terror gegen Juden!“. Einige Teilnehmer hielten Fotos von Geiseln hoch. Die Veranstalter sprachen von 25 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Berliner Polizei, die mit einem massiven Aufgebot vor Ort war, von 10 000.

Wegner: Jüdisches Leben in Berlin ist ein großes Glück

Berlins Regierender Bürgermeisters Kai Wegner sicherte zu, alles für den Schutz von Jüdinnen und Juden in Berlin zu tun. Es habe ihn sehr bewegt, als eine junge Mutter ihn vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in der Synagoge in der Brunnenstraße gefragt habe, ob er versprechen könne, dass ihr Kind wieder sicher nach Hause komme, wenn es am nächsten Tag in die Schule gehe, sagte Wegner. „Wir dürfen es nie wieder zulassen, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland, in Berlin Angst haben müssen“, sagte der CDU-Politiker. Er werde alles dafür tun.

„Ich als Regierender Bürgermeister empfinde es als großes Glück, dass wir wieder wachsendes jüdisches Leben in unserer Stadt haben. Aber das ist nicht nur Glück, sondern es ist für uns gemeinsam auch eine Verantwortung.“ Er wolle, dass dieses jüdische Leben in Berlin weiter wachsen könne. Deutliche Worte fand er auch zu den gewaltsamen Ausschreitungen in den vergangenen zwei Wochen: „Brandanschläge auf Synagogen, Angriffe auf Jüdinnen und Juden - das sind Brandanschläge und Angriffe mitten ins Herz unserer Stadt, und das werden wir nicht zulassen“, sagte er.

Botschafter warnt vor Ausbreitung des Terrors

Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, warnte vor einer Ausbreitung des Terrors. Oft werde vor einem Flächenbrand durch den Nahostkonflikt gewarnt, sagte Prosor. Aber auch in Deutschland müsse ein Flächenbrand verhindert werden, „sonst kommt der Terror aus dem Gazastreifen auch in Deutschland an“, sagte Prosor angesichts der antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland der vergangenen Tage.

Prosor kündigte an: „Wir müssen jetzt im Gazastreifen die gesamte Infrastruktur des Terrors beseitigen - und wenn wir das tun, möchte ich wirklich kein „Ja, aber“ mehr hören.“ Prosor sagte: „Diesmal müssen wir bis zum Ende gehen.“ Steinmeier betonte: „Israel hat das Recht, sich gegen diesen Terror zu verteidigen. Und Deutschland steht dabei fest an Israels Seite.“ Gleichzeitig treffe der Terror auch Menschen in Gaza.

Gedenkveranstaltung am Bebelplatz

Bei einer Gedenkveranstaltung am Bebelplatz in Berlin-Mitte wurden Kerzen für die israelischen Opfer des Hamas-Terrors entzündet. Das Gedenken für die rund 1400 Menschen, die von den Terroristen ermordet und den rund 200, die entführt wurden, stand unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ Auch der israelische Botschafter Prosor war anwesend. Wie schon am Brandenburger Tor hatten eine Reihe der Teilnehmer eine israelische Flagge dabei, manche trugen sie über den Schultern. Zwei Frauen verlasen mit tränenerstickter Stimme die Namen der Geiseln und deren Alter.

Während des Wochenendes gab es in Berlin zumindest kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs. Nach einem Demonstrationszug kam es am späten Samstagabend in Berlin-Neukölln zu Protesten mit Glaswürfen und Böllern. Die Polizei habe in 55 Fällen Menschen festgenommen oder ihre Identität festgestellt, teilte sie am Sonntag mit.

Polizeifahrzeug wird mit Pyrotechnik beschossen

Aus einem Wohnhaus in der Sonnenallee seien Gläser auf Polizisten geworfen, aber niemand getroffen worden. Außerdem sei Pyrotechnik auf ein Polizeifahrzeug geschossen worden. Die Berliner Polizei war nach eigenen Angaben von Samstagnachmittag bis in die vergangene Nacht mit knapp 900 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.

Der Demonstrationszug, bei dem auch zahlreiche Palästinenser-Fahnen zu sehen waren, war am späten Nachmittag gestartet. Angemeldet war die Demonstration als Protest gegen globale Unterdrückung mit 500 Teilnehmern. In der Spitze waren es Polizeiangaben zufolge 3500.

Polizei zieht Lautsprecherwagen aus dem Verkehr

Die Polizei hat nach eigenen Angaben während des Demonstrationszugs den Lautsprecherwagen aus dem Demonstrationszug entfernt. Grund sei ein Verstoß gegen die genannten Auflagen gewesen, so die Polizeisprecherin - es habe auf Arabisch gewaltverherrlichende Rufe gegeben. Bei der Demonstration von Kreuzberg nach Neukölln seien in elf Fällen Menschen festgenommen oder deren Identität festgestellt worden.

© dpa-infocom, dpa:231022-99-662112/2

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: