Kriege und Hunger:Die Kette des Kollapses fängt bei den Schwächsten an

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Medizinisches Personal bereitet eine Coronavirus-Quarantänestation in einem jemenitischen Krankenhaus vor. (Foto: dpa)

Während Europa mit Corona kämpft, braut sich das eigentliche Unheil erst zusammen. Sobald die Krise die ärmere Staaten erreicht, wird sie in neuer Form zu uns zurückkehren.

Kommentar von Stefan Kornelius

Das potenzielle Ausmaß der Corona-Pandemie für den Rest der Welt schält sich wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe erst nach und nach heraus, Schale für Schale, Land für Land. Während die hoch entwickelten Staaten in großer Genauigkeit die Fieberkurve in ihren eigenen Gesellschaften messen und mit gewaltigen Rettungsplänen die Volkswirtschaften vor dem Kollaps bewahren wollen, geraten jene Staaten aus dem Blick, die in Vor-Corona-Zeiten die Schlagzeilen beherrschten: die Länder in den Kriegszonen, Hungergebieten, die Unruheherde und Bürgerkriegsschauplätze. Es ist gut möglich, dass sich die eigentliche Corona-Apokalypse genau dort abspielen wird, wo nun niemand hinschaut.

Eine Katastrophe mit Ansage, die von den Umständen begünstigt wird: Schwache oder gar kriegszerstörte Staaten wie Jemen haben kaum eine Möglichkeit, den Verlauf der Pandemie zu messen, geschweige denn ihre Gesellschaften zu schützen. In Pakistan warnte der Premier, dass eine Ausgangssperre die Menschen eher in den Hungertod treibe, als sie vor dem Virus zu bewahren.

Die Überlebenschancen mit einer Erkrankung wachsen dort mit dem Kontostand

Hygiene und Gesundheitsfürsorge sind in Krisenländern schon längst Triebfeder der alltäglichen Katastrophe. Dazu kommen große Teile der Bevölkerung, die geschwächt und damit besonders ansteckungsgefährdet sind - sei es durch Hunger, Vertreibung, fehlenden Zugang zu Wasser oder durch Krieg. Gesundheitssysteme existieren nicht oder sind keinesfalls auf eine Pandemie vorbereitet. Die Überlebenschancen mit einer Erkrankung wachsen dort mit dem Kontostand, Privatkliniken sind gerade in aufstrebenden Volkswirtschaften weit verbreitet, an der Grundversorgung für die Armen aber mangelt es.

Das Virus trifft zwar auf eine deutlich jüngere Gesellschaft, aber auch die ist durch die Lebensumstände häufig gesundheitlich vorbelastet. Die Zahl der Atemwegserkrankten in den smoggeplagten Megastädten Indiens ist exorbitant groß - etwa ein Drittel der weltweit registrierten Fälle kommt vom Subkontinent. 2,8 der global 10,8 Millionen Tuberkulose-Patienten sind ebenfalls Inder.

Krisenländer sind zudem häufig intransparente Länder, mit autokratischen oder vom Militär geführten Regierungen. Offenheit und Kommunikation sind gefährlich, Medien werden an der Aufklärung gehindert, wie gerade in Ägypten oder Marokko. Die Pandemie wird den eisernen Griff also eher verstärken als lockern - zu beobachten ist das bereits in weiten Teilen der arabischen Welt.

All das mag europäischen Gesellschaften angesichts ihrer eigenen Probleme zweitrangig erscheinen, aber die Krise der Krisenländer wird früher oder später auch ihre eigene Krise sein: durch Flüchtlinge, neue Kriege, eine Zunahme von Autoritarismus oder weil sie längst in der Abhängigkeit stehen. In Malaysia kann einer der weltweit größten Hersteller von Einweghandschuhen nicht produzieren - weil ihm die Billigarbeiter aus Myanmar fehlen. Die Kette des Kollapses fängt bei den Schwächsten an und endet auch in deutschen Krankenhäusern.

Der Papst ruft in dieser Lage nach einem globalen Waffenstillstand, Hilfsorganisationen trommeln gegen das Vergessen. Es wird, so steht zu befürchten, weitgehend nutzlos sein. Die Kosten für die Pandemie werden die reichen Staaten doppelt zu begleichen haben.

© SZ vom 30.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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