Einreisebeschränkung in Dänemark:"Es ist surreal, was hier gerade geschieht"

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Der Flughafen Kopenhagen-Kastrup im Tårnbyer Ortsteil Kastrup ist der internationale Verkehrsflughafen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. (Foto: via REUTERS)
  • Der am Öresund liegende Flughafen Kastrup ist eine doppelte Grenze: oben für die ankommenden Fluggäste, unten im Tiefgeschoss für die einrollenden Züge aus Schweden.
  • Seit Samstagmittag kommen nur noch dänische Staatsbürger nach Dänemark und, mit Ausnahmegenehmigung, jene Ausländer, die dort leben und arbeiten.
  • Der Öresund wird damit zur Grenze zwischen zwei gegensätzlichen Strategien der Coronavirus-Bekämpfung.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Der Flughafen Kastrup liegt eine Viertelstunde mit der Metro vom Zentrum der dänischen Hauptstadt entfernt. Es ist der größte Flughafen Skandinaviens. Die "Lebensader Kopenhagens" nannte eine große Zeitung ihn am Wochenende noch, und man kann nur hoffen, dass das nicht stimmt, denn was hier fehlt an diesem Montag ist: Leben. So sieht das aus, wenn ein Land die Verbindungen zur Welt kappt. Draußen haben sie eine der Startbahnen am Sonntag stillgelegt - und zum Flugzeugparkplatz gemacht: Fürs erste stehen dort 50 Flieger, die keiner mehr braucht im Moment.

Die Ankunftshalle ist verwaist. Ein paar Menschen mit Dänemarkflaggen warten auf die letzten Rückkehrer aus dem Ausland. Seit Samstagmittag kommen nur noch dänische Staatsbürger hinein nach Dänemark und, mit Ausnahmegenehmigung, jene Ausländer, die hier leben und arbeiten. Der am Öresund liegende Flughafen Kastrup ist gleich doppelt Grenze: oben für die ankommenden Fluggäste, unten im Tiefgeschoss für die einrollenden Züge aus Schweden. Grenzpolizei und Militär haben sich auf Bahnsteig 2 eingerichtet und dort, wo die Waggons aus Malmö ankommen, mit Metallgittern notdürftig Gänge gebaut: "Dänische Staatsbürger links", hört man sie rufen, Schweden rechts. Durchgewinkt wird nur noch, wer eine Bescheinigung vom dänischen Arbeitgeber dabei hat. Schweden, die nach Kastrup wollen, um einen Flug anzutreten, werden umgehend zurückgeschickt.

"Es ist surreal, was hier gerade geschieht", sagt einer der Ankommenden, ein junger Däne, der in Malmö wohnt und in einem Kopenhagener Architekturbüro arbeitet. "Das ist nicht das, was uns versprochen wurde." Die Öresundregion, das war einmal eine Vision: Als die Brücke über den Sund eröffnet wurde im Jahr 2000, da träumte man vom Zusammenwachsen der Großräume Kopenhagen und Malmö beiderseits des Wassers, von einem dänisch-schwedischen Nachbarschaftsmodell.

Und auch wenn sich die ganz großen Hoffnungen nicht erfüllten, so wurde für viele Bürgern ein Traum doch Wirklichkeit: Tausende Dänen etwa zogen wegen der billigeren Wohnungspreise nach Malmö und pendeln Tag für Tag nach Kopenhagen. Jeder zehnte Gehaltsempfänger in Malmö, sagt die südschwedische Handelskammer, verdient heute sein Geld in Kopenhagen. Der Flughafen in Kastrup wurde für viele Südschweden zum Heimatflughafen. 20 Minuten braucht der Zug vom schwedischen Malmö nach Kastrup. Jetzt aber zeigt die Öresundregion beispielhaft, wie das Virus Europa auseinanderreißt.

Zudem wird der Öresund nun zur Grenze zwischen zwei gegensätzlichen Strategien der Coronavirus-Bekämpfung. Hier Dänemark, dessen Premierministerin Mette Frederiksen die sich mit der Verkündigung einer drastischen Maßnahme nach der anderen den Titel "Oberbefehlshaberin" der Nation erwarb. Schul- und Grenzschließungen gab es hier schon mehrere Tage vor Deutschland. Und dort Schweden, wo bis heute die Schulen und Universitäten offen sind, und überhaupt das Leben noch relativ entspannt seinen Gang geht. Auch den Schweden wird von Auslandsreisen und Menschenansammlungen abgeraten, und am Montag rief Anders Tegnell, der oberste Epidemiologe der schwedischen Gesundheitsbehörde, die Arbeitnehmer dringend zum Home Office auf. Schulschließungen aber hält Tegnell, der selbst zu dem Thema geforscht hat, noch immer für kontraproduktiv, unter anderem weil sie Personalmangel in Krankenhäusern zur Folge haben könnten.

In Schweden sind es bislang Experten wie Anders Tegnell, die die Richtung vorgeben, Schwedens Premierminister Stefan Löfven hält sich an ihre Ratschläge. Viele Schweden scheinen das gutzuheißen, die Zurückhaltung hat Löfven aber auch Kritik eingebracht, nicht nur von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die sich eine starke Hand wünschen. Die Tageszeitung Dagens Nyheter veröffentlicht seit Tagen Meinungsbeiträge, in denen die Regierung zu drastischeren Maßnahmen aufgefordert wird. "Mach Schweden dicht, um Schweden zu beschützen", forderte der Chefredakteur in einem Leitartikel, in dem er sich eine Mette Frederiksen für Schweden wünschte. Der Artikel brachte der Zeitung wiederum eine scharfe Replik des Konkurrenzblattes Svenska Dagbladet ein, wo ein prominenter Mediziner der Zeitung Panikmache und die Missachtung von Wissenschaft und Fakten vorwarf.

Schweden hat jedenfalls seine Grenzen bislang nicht geschlossen. Und zumindest bei diesem Thema waren sich bis zum Wochenende die Epidemiologen auf beiden Seiten einig: Die Grenzschließung durch Dänemark sei epidemiologisch "völlig nutzlos", so das Urteil des Schweden Anders Tegnell. Søren Brostrøm, Leiter des nationalen Gesundheitsamtes Dänemarks, schien ihm beizupflichten: Das sei eine "rein politische Entscheidung" ohne wissenschaftliche Begründung.

"Das Virus beraubt uns eines der wertvollsten Güter der modernen Welt", schreibt die dänische Zeitung Berlingske, nämlich "der Möglichkeit, uns frei von Land zu Land zu bewegen." Die Fahrten über die Öresundbrücke waren eigentlich schon viel mehr: Es waren Fahrten von Nachbarschaft zu Nachbarschaft, zumindest bis zum vergangenen Samstag um 12 Uhr.

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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