Corona-Maßnahmen:Auf Tuchfühlung mit dem Virus

Lesezeit: 3 min

Der Politiker als Mediziner: Gesundheitsminister Lauterbach empfiehlt Infizierten "dringend", trotz der Lockerung zu Hause zu bleiben. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Schon vom kommenden Monat an werden sich mit Corona infizierte Menschen nicht mehr von anderen fernhalten müssen. Was das im Detail bedeutet und warum die neue Regel umstritten ist.

Von Christina Berndt, München

Bald ist eine Corona-Infektion offiziell kein Grund mehr, sich von anderen fernzuhalten. Vom 1. Mai an fällt die Pflicht zur Isolation, selbst dann, wenn man nachgewiesenermaßen das Coronavirus in sich trägt. Wie kam es zu dieser Entscheidung und was bedeutet sie genau? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Regeln gelten ab 1. Mai?

Von diesem Tag an müssen sich Infizierte nicht mehr in Isolation und Kontaktpersonen nicht mehr in Quarantäne begeben. Sinnvoll seien die beiden Maßnahmen aber trotzdem, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Infizierten werde weiterhin "dringend empfohlen", zu Hause zu bleiben und sich von anderen fernzuhalten. Auch Kontaktpersonen sollten Kontakte vermeiden. Fünf Tage reichten allerdings. Bislang mussten sich Infizierte zehn Tage isolieren oder konnten sich sieben Tage nach Symptombeginn freitesten. Auch für Kontaktpersonen, Schulkinder ausgenommen, galt eine Mindestfrist von sieben Tagen.

Fällt die Isolationspflicht für alle weg?

Nein, Angehörige von Pflege- und Gesundheitsberufen müssen sich weiterhin isolieren, für mindestens fünf Tage. Sie haben ihrer Arbeitsstätte fernzubleiben und sich auch privat zu isolieren. Manche Gesundheitspolitiker, etwa Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), forderten jedoch, die Isolationspflicht für Angehörige von Gesundheitsberufen von der Infektionsgefahr abhängig zu machen, die von ihnen ausgeht. Diese lasse sich etwa mit dem Ct-Wert des PCR-Tests ermitteln. Bei einem Wert über 30 tragen Menschen so wenige Viren in sich, dass sie als nicht mehr infektiös gelten. Mit einer solchen Regelung will Holetschek verhindern, dass zu viel Klinikpersonal ausfällt.

Weshalb wird die Pflicht aufgehoben?

Hintergrund ist die Sorge, dass bei hohen Infektionszahlen durch zu viele ausfallende Arbeitskräfte die Industrie Schaden nimmt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat die Lockerung dennoch heftig kritisiert. "Ein Ende der Isolationspflicht riskiert, dass die Betriebe selbst zu Infektionsbeschleunigern werden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Arbeitgeber müssten auch weiterhin den Schutz vor Corona-Infektionen am Arbeitsplatz sicherstellen. Schon allein deshalb müsse verhindert werden, dass nachweislich Infizierte zur Arbeit erscheinen und Kollegen anstecken. Piel forderte den Bund auf, weiter für Verdienstausfälle zu bezahlen, die den Beschäftigten durch Isolation entstehen. Wie dies bei einer freiwilligen Isolation gehen soll, ist bislang völlig unklar.

Wie bewerten Ärzte- und Patientenvertreter das Ende der Maßnahmen?

Überwiegend kritisch. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warnt vor Risiken für besonders gefährdete Menschen. "Für die Hochrisikogruppe wird es immer gefährlicher. Diese Menschen leben mitten unter uns", sagte Brysch. "Gleich den Corona-Leugnern wird die Infektion verharmlost." Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warf der Politik mangelnden Risikogruppenschutz vor. Gefährdete müssten sich zunehmend isolieren; es werde immer wahrscheinlicher, dass das Virus in Pflegeeinrichtungen hineingetragen werde. "Diese Politik gefährdet Menschenleben", so Bentele. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßte die Pläne aber. Vorstandschef Andreas Gassen sagte, die Omikron-Welle bringe "zwar sehr viele Ansteckungen mit sich, die aber weit überwiegend leicht verlaufen". Deshalb komme der Vorschlag für neue Quarantäneregeln zur rechten Zeit. "Wir würden ansonsten Gefahr laufen, dass wichtige Infrastruktur in Deutschland lahmgelegt würde."

Was sind die politischen Reaktionen?

Der gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), sieht sich bestätigt. "Wir haben als Union schon vor einigen Tagen gesagt, wir müssen genau hinschauen, dass wir uns Überlastungssituationen in vielen Bereichen nicht dadurch quasi produzieren, dass die Menschen durch starre Quarantäneregelungen zu Hause bleiben", sagte er. Dagegen kritisierte der Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger (CSU), es sei nicht sinnvoll, dass Infizierte herumlaufen und andere anstecken könnten. Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warnte. Nicht zuletzt durch den Wegfall der Maskenpflicht erwecke die Abschaffung der Quarantänepflicht "den falschen Eindruck, dass eine Virusweitergabe medizinisch unproblematisch sei".

Bleiben Corona-Tests kostenlos?

Minister Lauterbach hat das Angebot bis zum 29. Juni verlängert. Damit haben alle Bürger auch ohne Symptome weiter Anspruch auf mindestens einen Schnelltest pro Woche durch geschultes Personal.

Wie steht es mit den PCR-Tests?

Sie sollen kostenlos für all jene bleiben, die Covid-19-spezifische Symptome oder ein positives Ergebnis beim Selbst- oder Antigenschnelltest haben. Jedoch nehmen viele Menschen das Virus offenbar schon jetzt nicht mehr so ernst - oder wollen nicht, dass das Gesundheitsamt von ihrer Infektion erfährt. Jedenfalls sank die Zahl der PCR-Tests zuletzt deutlich. Nach Angaben des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) wurden in der vergangenen Woche nur noch 1,86 Millionen Tests vorgenommen, rund 350 000 weniger als in der Woche zuvor. Weil mehr als jeder zweite Test positiv ausfällt, geht der ALM davon aus, dass sehr viele Infizierte nicht getestet werden. In die offizielle Corona-Statistik gehen aber nur positive PCR-Tests ein.

Wird dann nur noch in Schulen und Kitas umfassend getestet?

Das ist je nach Bundesland unterschiedlich, aber es gibt einen Trend zum Aussetzen. So wurde am Dienstag beschlossen, die Testungen an bayerischen Schulen und Kitas vom 1. Mai an einzustellen. Damit werde den neuen Empfehlungen Rechnung getragen, es solle aber auch "die Eigenverantwortung des Personals, der Schülerinnen und Schüler sowie der Familien gestärkt" werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Corona-Maßnahmen
:Das Ende der Maskenpflicht

Was vor Kurzem noch undenkbar war, ist nun in vielen Bereichen erlaubt: ohne Maske einkaufen. Viele Menschen tragen sie trotzdem. Die neue Regelung ist umstritten.

Von Michael Kläsgen und Paulina Würminghausen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: