Corona-Pandemie:Ärzte gegen Impfzentren

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Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts haben bislang erst 2,1 Millionen Menschen eine Booster-Impfung erhalten. (Foto: dpa-tmn)

Der Bundesgesundheitsminister will Booster-Spritzen für alle - und das möglichst zentral organisiert. Mediziner und Länder sind wenig begeistert. Sie haben andere Vorschläge.

Von Peter Burghardt, Hamburg, und Henrike Roßbach, Berlin, Berlin/Hamburg

Bis Ende Dezember müssten hierzulande aus medizinischer Sicht etwa 15 Millionen Menschen eine Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 bekommen. Dieser Ansicht ist der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, wie er am Dienstag in einer Pressekonferenz mit weiteren Gesundheitsexperten deutlich machte. Die Ständige Impfkommission (Stiko) spricht sich derzeit für eine sogenannte Booster-Impfung für alle über 70-Jährigen aus, für Menschen mit geschwächtem Immunsystem und für das medizinisch-pflegerische Personal. Auch wer mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft wurde, soll eine Auffrischungsimpfung bekommen. Stiko-Chef Thomas Mertens verteidigte diese Empfehlungen am Dienstag und sagte, grundimmunisierte Menschen im mittleren Alter könnten davon ausgehen, dass sie noch genug Schutz vor einer schweren Erkrankung hätten.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts haben bislang 2,1 Millionen Menschen eine Booster-Impfung erhalten. Laut Gassen wären die niedergelassenen Ärzte durchaus in der Lage, die notwendigen 15 Millionen Impfungen bis Jahresende zu schaffen. Allerdings wäre es dafür "gut und hilfreich", wenn diese Menschen "in einem geordneten Einladungsverfahren erfahren würden, dass sie zur Zielgruppe gehören". Dann könne man auch mehr Geschwindigkeit hinkriegen. Seiner Meinung nach sollte für die Auffrischung des Immunschutzes auf Arztpraxen und mobile Impfteams gesetzt werden; eine Wiedereröffnung der Impfzentren lehnt die KBV ab.

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Das Bundesgesundheitsministerium sieht das anders. In einem Beschlussentwurf für die nächste Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 4. und 5. November schlägt es vor, Auffrischungsimpfungen nicht nur durch niedergelassene Ärzte und mobile Impfteams anzubieten, sondern auch in Impfzentren, die von den Ländern dafür wieder aktiviert werden sollten.

Die Begeisterung ebendieser Länder aber hält sich stark in Grenzen. Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) zum Beispiel ist "höchst irritiert" von Jens Spahns (CDU) Forderung. "Es war schließlich der gleiche Minister, der die Finanzierung der Impfzentren und die Belieferung der Länder mit Impfstoff zum 30. September eingestellt hat." Sie wünsche sich von Noch-Minister Spahn "weniger Hyperaktivität, dafür mehr Seriosität, Verlässlichkeit und gute Abstimmung mit Ländern und Ärzteverband", twitterte sie. "Fokus der Impfkampagne muss auf Ungeimpfte und Auffrischung der Älteren liegen."

Mit den mobilen Impfteams habe Niedersachsen in den vergangenen Wochen eine neue Struktur geschaffen, die könne bei Bedarf noch ausgebaut werden. Die Hauptlast der Impfkampagne liege nach der Schließung der großen Impfzentren aber bei den Praxen, dort wünscht sie sich eine größere Impfdynamik. Auch Hamburg, wo die Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstag bei fast 124 lag, will von einer Wiedereröffnung des Impfzentrums nichts wissen. Es gebe in den Arztpraxen und Kliniken ausreichend Kapazitäten, so die Hamburger Sozialbehörde.

Baden-Württemberg und Sachsen sehen angesichts dezentraler Angebote ebenfalls keinen Bedarf für eine Reaktivierung. Am Dienstagabend rief die Stuttgarter Landesregierung die Corona-Warnstufe aus: Den zweiten Werktag in Folge überstieg die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen den Wert von 250, damit gelten künftig strengere Regeln vor allem für Ungeimpfte. Die Dresdner Landesregierung will ab Montag eine 2-G-Regel einführen. Schleswig-Holstein verweist auf seine temporären Impfstellen an wechselnden Orten. In Bayern sind mit reduzierter Kapazität noch 81 Impfzentren als Basisstationen in Betrieb, in Berlin zwei.

Neben der Causa Impfzentren kritisierte KBV-Chef Gassen am Dienstag auch politische Wortmeldungen zur Auffrischungsimpfung, die von der Stiko-Empfehlung abweichen. Während letztere die Drittimpfung aktuell gerade nicht für jeden empfiehlt, hatte unter anderem Bundesgesundheitsminister Spahn betont, es sei genug Impfstoff da, sodass jeder, der wolle, eine Booster-Impfung bekommen könne. Auch im GMK-Papier seines Hauses heißt es, dass im Rahmen der Kapazitäten und sechs Monate nach der ersten Impfserie Booster-Impfungen "grundsätzlich allen Personen" angeboten werden könnten; die Länder sollen zudem alle über 60-Jährigen über die Auffrischung informieren. Gassen sprach von "Empfehlungen aus einer Bauch-Evidenz heraus"; die seien wenig hilfreich.

Mit Blick auf den bevorstehenden Winter nannte Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, den Schutz der Alten- und Pflegeheime "absolut prioritär". "Das müssen wir besser machen als letztes Jahr." Nach der zweiten Welle seien 30 000 der 70 000 Verstorbenen in Alten- und Pflegeheimen zu beklagen gewesen.

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