Krisenmanagement:Wer in der Coronavirus-Krise was zu sagen hat

Lesezeit: 3 min

Veranstaltungsverbote auszusprechen oder gar die Bewegungsfreiheit einzuschränken ist in Deutschland Sache der Länder - Patienten in der Abklärungsstelle für Corona-Verdachtsfälle im Berliner Bezirk Tempelhof. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Der Bundesgesundheitsminister kann nicht viel mehr als appellieren. Anders als in Italien müssen die Länder über Absagen von Veranstaltungen oder weitergehende Verbote entscheiden.

Von Constanze von Bullion, Berlin, und Detlef Esslinger

Das ganze Land quasi stilllegen, so wie in Italien - ginge das hierzulande? Nicht nur Schulen schließen, sondern auch Universitäten? Alle öffentlichen Versammlungen verbieten und sogar Spazierengehen im Nachbarort?

Die Bundesregierung hätte juristisch gar nicht die Möglichkeit dazu; das ist der Grund, warum Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich aufs Appellieren beschränken muss. Der nationale Pandemieplan seines Robert-Koch-Instituts liefert vor allem Empfehlungen und dient der Synchronisierung. Das föderale System überlässt die Ausführung des Krisenmanagements weitgehend den Ländern.

Coronavirus
:Ganz Italien eine Sperrzone: Was bedeutet das?

Die Regierung in Rom verstärkt den Kampf gegen das Virus und verbietet den Bürgern, ihre Häuser zu verlassen. Auch für Touristen hat das Folgen.

Von Xaver Bitz

Direkt eingreifen könnte der Bund lediglich an den Grenzen. "Nach dem Schengener Abkommen können Kontrollen eingeführt werden, wenn das für Sicherheit und Ordnung nötig ist", sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Ähnlich wie Österreich, das Einreisen aus Italien nur noch mit ärztlichem Attest erlaubt, könnte auch Deutschland zusätzliche Dokumente bei der Einreise verlangen - theoretisch. Geplant sei dies derzeit aber nicht. "Das würde sehr viel Aufwand bedeuten", sagt der Sprecher. In Deutschland gebe es bisher nur eine "mäßige Ansteckungsgefahr".

"Grundsätzlich haben wir alle Instrumente, um die Krise zu beherrschen."

Auch die Notstandsregelungen des Grundgesetzes würden im Gesundheitskatastrophenfall nicht greifen. Sie erlauben eine Einschränkung von Grundrechten - aber nur bei Krieg, inneren Unruhen oder einer Naturkatastrophe. "Für eine Pandemie sind die Gesetze nicht ausgelegt", heißt es im Bundesinnenministerium. Einen Grund, das ändern zu müssen, sehe man nicht. Eine Großdebatte über Änderungen des Grundgesetzes wäre wohl auch das letzte, wofür Politiker gerade Zeit haben. "Grundsätzlich haben wir alle Instrumente, um die Krise zu beherrschen."

Sie stehen vor allem im Infektionsschutzgesetz. Gemäß Paragraf 28 können "Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen" beschränkt werden. Auf der Grundlage haben im brandenburgischen Kreis Ostprignitz-Ruppin das Gesundheits- und das Schulamt mehrere Schulen für eine Woche geschlossen.

Darüber hinaus gibt Paragraf 32 dieses Gesetzes den Landesregierungen die Möglichkeit, per Rechtsverordnung An- und Versammlungen komplett zu verbieten. Dieses Mittel haben Bayern und Nordrhein-Westfalen am Dienstag gewählt. Paragraf 32 erlaubt es den Landesregierungen darüber hinaus, auch das Grundrecht der Freizügigkeit landesweit einzuschränken (also sich frei bewegen zu dürfen). Könnte folglich zum Beispiel zumindest Bayern so vorgehen wie Italiens Regierung: die Unis schließen sowie Fahrten von München nach Regensburg verbieten?

Thorsten Kingreen, Professor für öffentliches Recht und Gesundheitsrecht in Regensburg, will das zumindest nicht pauschal bejahen. Das Infektionsschutzgesetz verlangt von den Regierungen nämlich ausdrücklich auch, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; also zu prüfen: Ist das, was sie beschließen, überhaupt geeignet, um das Ziel zu erreichen? Was wiederum als allererstes heißt: Sind die Gebote und Verbote in sich stimmig? Spazierengehen in der Nachbarstadt verbieten, aber die Flughäfen offen lassen, so wie in Italien? Klänge nicht stimmig, sagt Kingreen. Und wer Fahrten von einer Stadt zur anderen verbietet, wie regelt er die Mobilität innerhalb einer Stadt?

Das Land Berlin verzichtet bisher darauf, Veranstaltungen pauschal zu verbieten

Das alles sind unbeantwortete Fragen. Das Bundesinnenministerium schreibt auf seiner Webseite, "die Notwendigkeit, aber auch die Verhältnismäßigkeit der Abriegelung ganzer Gemeinden" sei "derzeit nicht gegeben" - und weist darauf hin, dass dies in den Ländern entschieden werden müsste. Bayerns Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage nur vage mit: Bevor über die Abriegelung einer Stadt entschieden wird, "sollte zunächst auf andere Lösungsschritte gesetzt werden". Bei den Kollegen in Nordrhein-Westfalen wird darauf hingewiesen, dass die ersten Sperrmaßnahmen in Italien zu einer großen Nord-Süd-Flucht beigetragen hätten. "Damit haben sie die weitere Ausbreitung nicht verhindern können." Zugleich gilt jedoch wohl, was der Jura-Professor Kingreen sagt. Weil es kaum juristische Literatur und Rechtsprechung zu einem bisher selten angewandten Gesetz gibt, könnte ein Ministerpräsident daraus den Schluss ziehen: "Das Instrumentarium für drastische Schritte ist in Form dieses Gesetzes da." Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wer es ausschöpfen wird, wer zögerlich ist und dadurch Mal-so-mal-so-Entscheidungen seiner Behörden zulässt. Das Land Berlin zum Beispiel hat nun Theater-, Opern- und Konzertveranstaltungen in den "Großen Sälen" bis 19. April pauschal gestrichen. Und das Bezirksamt Treptow-Köpenick hat das Nachbarschaftsfest des Kinderbauernhofs Waslala abgesagt. Aber das Bundesligaspiel 1. FC Union gegen den FC Bayern nächsten Samstag hat es erlaubt.

© SZ vom 11.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Sperrzone Italien
:Leben im Schwebezustand

Der betagten Mutter nur noch am Fenster zuwinken, Konzerte absagen, Lifte schließen und Plastikhandschuhe im Supermarkt tragen: Italienerinnen und Italiener berichten von ihrem Alltag im nationalen Sperrgebiet.

Von Irene Helmes, Elisa Britzelmeier, Hans Gasser, Jan Bielicki, Francesca Polistina

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: