Europäische Union:Angst vor dem Highway zur Hölle

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Fiel zuletzt durch Unauffälligkeit auf: Der sonst so wortgewaltige EU-Klimakommissar Frans Timmermans war vor der COP27 überraschend still. (Foto: Francisco Seco/picture alliance/dpa/AP)

Warum die EU-Klimapolitik bei der COP27 in Ägypten so schwer zu vermitteln ist - obwohl sie durchaus Hoffnung macht.

Von Josef Kelnberger, Brüssel/Scharm El-Scheich

Ursula von der Leyen hatte einige aufbauende Worte aus Brüssel mit nach Ägypten gebracht. Die Welt solle nicht "den Highway to Hell" nehmen, sagte sie am Dienstag in ihrer Rede bei der COP27, sondern "das saubere Ticket in den Himmel" lösen. Die Europäische Union bleibe auf Kurs, um die Klimakatastrophe zu vermeiden, und reiche dem Globalen Süden die Hand. Die Aufgabe, den schönen Worten auch Taten folgen zu lassen, darf nun ihr Stellvertreter übernehmen, Frans Timmermans.

Es ist die übliche Arbeitsteilung bei einer Klimakonferenz. Salbungsvolle Reden in der ersten Woche, in der zweiten dann die oft unerquicklichen Verhandlungen. Der niederländische Sozialdemokrat Timmermans, bekannt als Klimakommissar der EU, hat es diesmal besonders schwer. Die Mitgliedsländer haben ihn unter dem Eindruck der Energiekrise mit einem wachsweichen Mandat nach Ägypten geschickt. Eher vage werden "höhere Ambitionen" bei der Vermeidung von CO₂-Emissionen angemahnt, und was die Entschädigungszahlen für Länder betrifft, die besonders unter dem Klimawandel leiden, wird "Gesprächsbereitschaft" signalisiert, mehr nicht. Das habe sich Timmermans auch selbst zuzuschreiben, finden seine Kritiker.

Das Europaparlament hatte gefordert, die EU solle als selbsternannte Nummer eins im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel in Ägypten deutlich offensiver auftreten: die eigenen Klimaziele erhöhen, den Ländern des Globalen Südens Geld versprechen. So könne man den Rest der Welt mitziehen. Der ansonsten so wortmächtige Timmermans fiel dagegen durch Unauffälligkeit auf. "Er behauptet, er betreibe stille Diplomatie", sagt sein Landsmann Bas Eickhout, ein Grüner, der als Delegationsleiter des Europaparlaments nach Ägypten reist. "Aber sollte dabei nichts herauskommen, wird es einfach nur Stille gewesen sein." Falls die Cop zum Flop wird, was viele Europaparlamentarier befürchten, wäre das demnach auch Europas - und mithin Timmermans' - Schuld.

Tatsächlich ist die europäische Klimapolitik derzeit schwer zu verkaufen. Um das russische Erdgas zu ersetzen, wird LNG aus der ganzen Welt herbeigeschifft, Kohlekraftwerke gehen wieder in Betrieb, Klimaziele werden verschoben. Timmermans wollte gegensteuern und geriet in manchen Debatten in den Ruf, er sei ein grüner Ideologe, der Europas Industrie zerstören wolle. Von der Leyen, so wird spekuliert, habe ihren Klimakommissar daraufhin ruhiggestellt. Nun will Timmermans dem Rest der Welt in Ägypten vermitteln: Europa tritt nur einen Schritt zurück, nimmt sozusagen Anlauf, um noch höher zu springen als bislang versprochen.

Wenn alles gut geht, könnte die EU ihre selbstgesteckten Klimaziele übertreffen

Bis 2050 will Europa als erster Kontinent klimaneutral werden, den Weg dahin beschreibt ein Gesetzespaket namens Fit for 55 mit dem Ziel, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Um schnell von Wladimir Putins fossilen Energien unabhängig zu werden, ist zudem ein milliardenschweres Investitionspaket ("Repower") auf den Weg gebracht worden. Es soll den Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigen. Sollten alle Gesetze in die Tat umgesetzt werden, würde Europa bis 2030 nicht die Marke von 55, sondern fast 60 Prozent erreichen.

Um Timmermans Rückenwind für die Verhandlungen in Ägypten zu geben, werden wohl diese Woche noch zwei weitere Teile aus dem Fit-for-55-Paket verabschiedet. Es geht erstens um die Vereinbarung, welchen Beitrag jedes einzelne der 27 Mitgliedsländer bis zum Jahr 2030 zu leisten hat, der Fachbegriff dafür: Effort Sharing Regulation. Und es geht zweitens um ein Gesetz, das sich dem Thema mit dem schönen Akronym LULUCF widmet. Darin geregelt ist die Klimabilanz von Landnutzung und Forstwirtschaft. Als Ganzes betrachtet absorbiert der Sektor mehr CO₂, als er freisetzt, und dieser Anteil soll zum Beispiel durch Aufforstungen erhöht werden.

Ursprünglich sollte bis zur COP27 das ganze Fit-for-55-Paket unter Dach und Fach sein. Doch noch fehlt eine Einigung ausgerechnet beim wichtigsten Klimaschutzinstrument der EU, dem europäischen Emissionshandel (ETS). Er deckt die energieintensiven Industrien ab und soll auf Verkehr und Wohnen ausgedehnt werden. Die finalen Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedsländern über die ETS-Reform stecken jedoch fest.

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