Kriminalität:Raus mit den Clans?

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Es geht bei den Gesetzesplänen um organisiertes Verbrechen nicht um "Sippenhaft": Razzia gegen Clan-Kriminalität in Gladbeck Ende vergangenen Jahres. (Foto: Imago)

Innenministerin Faeser will ausländische Angehörige krimineller Vereinigungen ausweisen lassen - auch ohne vorheriges Urteil. Kritiker sprechen von "Sippenhaft". Was ist da dran? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Jan Bielicki

Auf 35 Seiten hat das Bundesinnenministerium ein ganzes Bündel gesetzlicher Änderungen vorgeschlagen, die es erleichtern sollen, Ausländer in ihre Heimatländer zurückzuführen. An einem Punkt entzündet sich eine heftige Debatte: Ministerin Nancy Faeser (SPD) will künftig auch Mitglieder sogenannter Clans ausweisen lassen - ohne vorherige Verurteilung. Was ist daran dran?

Was hat Faeser genau vorgeschlagen?

In der Debatte geht es um eine ins Aufenthaltsgesetz einzufügende Zeile. Künftig soll demnach das öffentliche Interesse an einer Ausweisung auch dann besonders schwer wiegen, "wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er (...) einer Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches angehört oder angehört hat".

Wen würde das also treffen?

Dieser Paragraf 129 stellt die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe. Es geht also um die Möglichkeit, "Angehörige der Organisierten Kriminalität" auszuweisen, und zwar "unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung", wie das Ministerium in seinem Diskussionspapier erklärte. Ziel sei es, "Angehörige sogenannter Clan-Strukturen künftig leichter abschieben zu können", präzisierte eine Sprecherin des Hauses auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung.

Woran hat sich die Kritik entzündet?

Kritiker fürchten, dass bei einer solchen Regelung völlig unschuldige Menschen aus dem Land gewiesen werden könnten, bloß weil sie verwandtschaftliche Beziehungen zu Mitgliedern krimineller Clans haben. "Einmal den falschen Nachnamen haben und zack Clan-Zugehörigkeit und danach Abschiebung. Kann der Rechtsstaat das noch mittragen?", twitterte Tareq Alaows, Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Wie er verwendeten viele andere das Wort "Sippenhaft" für Faesers Vorhaben - nicht selten unter Verweis auf die Praxis des NS-Regimes, auch Familienangehörige seiner Gegner einzusperren. Im Kurznachrichtendienst "X" trendete der Begriff.

Sie will Regeln, die dem Kampf gegen politischen Extremismus dienen, auch bei Organisierter Kriminalität anwenden: Bundesinnenministerin Nancy Faeser. (Foto: Paul Zinken/DPA)

Auch die Grünen stellten sich gegen den Vorschlag der SPD-Ministerin Faeser: Es sei "klar, dass außerhalb des Rechtsstaats stehende Regelungen für uns Grüne niemals zur Debatte stehen. Das gilt auch für Maßnahmen, die nicht strafrechtlich verurteilte Verwandte von Kriminellen genauso behandeln wie Kriminelle", sagte Irene Mihalic, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Müssten also künftig völlig unschuldige Familienangehörige sogenannter Clans eine Ausweisung fürchten?

Wohl kaum. Es geht in dem Vorschlag eben nicht um verwandtschaftliche Beziehungen, sondern um die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Daran, was eine strafbare Mitgliedschaft ist, knüpft die Rechtsprechung gewisse Mindestanforderungen: Es reiche "nicht aus, bloß rein passives Mitglied in einer Vereinigung zu sein", urteilte der Bundesgerichtshof zum Paragrafen 129a, der analog zum Paragrafen 129 die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Gefordert sei "vielmehr eine Beteiligung als Mitglied, also eine Förderung, in der sich die Eingliederung des Täters in die Organisation manifestiert". Bloß Onkel oder Tante zu sein, langt da nicht.

Muss ein Ausländer nicht erst verurteilt sein, bevor er ausgewiesen werden kann?

Nein. Generell wiegt zwar das Interesse des Staates an einer Ausweisung schwer, wenn ein Ausländer zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurde, und besonders schwer, wenn es mehr als zwei Jahre, bei bestimmten Taten auch nur mehr als ein Jahr waren.

Aber Paragraf 54 des Aufenthaltsgesetzes führt schon jetzt etliche Punkte auf, die eine Ausweisung auch ohne strafrechtliches Urteil begründen. Dazu gehört etwa der Konsum von Heroin oder Kokain, vor allem aber extremistisches Auftreten wie das Billigen von und das Werben für Kriegsverbrechen und Terrortaten. Auch zählt der Verdacht, Mitglied in einer terroristischen Vereinigung zu sein, längst zu diesen Ausweisungsgründen.

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Genau das will Faeser künftig auch auf Ausländer ausweiten, die im Verdacht stehen, einer kriminellen Vereinigung anzugehören. Neu ist, dass sie damit Regeln, die bislang lediglich dem Kampf gegen politischen Extremismus dienten, auch gegen die Organisierte Kriminalität anwenden will.

Könnten Ausländerämter künftig Menschen also nach eigenem Ermessen und auf einen bloßen Verdacht hin ausweisen?

Nein. Bei Ausweisungen müssen die Behörden immer im Einzelfall abwägen zwischen den Interessen des Ausländers, im Land bleiben zu dürfen, und denen der Bundesrepublik, ihn nicht hier haben zu wollen. Gegen den entsprechenden Bescheid kann ein Auszuweisender vor das Verwaltungsgericht ziehen. Zwar sind die Beweishürden dort niedriger als im Strafrecht, aber spätestens hier wird die Behörde eine Ausweisung gut begründen müssen.

Wie viele sogenannte Clan-Angehörige könnten mit der neuen Regel tatsächlich abgeschoben werden?

Wohl nur sehr wenige. Mitglieder mit deutschem Pass trifft die neue Regel ohnehin nicht. Und ob sich eine Ausweisung von Ausländern tatsächlich durchsetzen lässt, hängt stark davon ab, ob es überhaupt möglich ist, sie in das Land abzuschieben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Das ist es aber wegen Krieg, Menschenrechtslage oder Bürokratie allzu oft eben nicht.

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