Proteste in China:Wie Xi Jinping die Chinesen vergrault

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Chinas "weiße Garden", die die erbarmungslose Null-Covid-Strategie von Xi Jinping durchsetzen müssen, sind zum Symbol des Staatsversagens geworden. (Foto: Kevin Frayer/Getty)

Kontrolle um jeden Preis, ob in der Wirtschaft, bei Corona-Maßnahmen oder Straßenprotesten: Mit dieser Strategie macht sich Chinas Staatspräsident zunehmend unbeliebt. Seiner Macht schadet das schon jetzt.

Von Lea Sahay

Auch wenn China unter Staatspräsident Xi Jinping deutlich restriktiver wurde und ein Bürgerrechtler nach dem anderen in Haft wanderte: Der kommunistische Parteichef war beim Volk populär. Vor allem für seinen Kampf gegen die Korruption genoss er großen Rückhalt, aber auch für seinen Anspruch, China zur dominierenden Weltmacht auszubauen. Doch was gilt davon noch, seit im ganzen Land Menschen auf offener Straße gegen die Null-Covid-Strategie protestieren? Gegen eine Politik, die untrennbar mit Xi Jinping verbunden ist?

Zum ersten Mal seit 1989 sind in dieser Woche in mehr als einem Dutzend Städten und klassenübergreifend Menschen für ein gemeinsames Anliegen auf die Straße gegangen. Chinas Führung reagierte darauf, indem sie an sensiblen Orten in Peking, Guangzhou und anderen Millionenstädten Polizeieinheiten stationierte. Die Urumqi-Straße in Shanghai, auf der Demonstranten den Rücktritt von Parteichef Xi forderten, ist mit Barrikaden verrammelt. Im Netz werden alle Spuren der "Din-A4-Revolution" gelöscht, deren Symbol ein weißes Blatt Papier ist.

Xi machte aus seiner Null-Covid-Strategie eine Frage von Loyalität

Die Regierung greift zur Abschreckung, doch die erzwungene Ruhe kann über den großen Unmut der Menschen nicht hinwegtäuschen. Drei Jahre hat sich Xi als Architekt der Null-Covid-Strategie inszeniert. Weil die strengen Maßnahmen anfangs Infektionen effektiv verhinderten, stellte Chinas Führung sie als Beleg dafür dar, dass ihr sozialistisches System den Demokratien überlegen sei. Immer wieder forderte Xi, an den Maßnahmen festzuhalten, auch dann noch, als es mit Impfstoffen eine Alternative zur Isolation gab. Der Staatspräsident machte aus seiner Null-Covid-Strategie eine Frage von Loyalität.

Inzwischen ist klar: Die Zentralisierung der Viruskontrolle, die für Xis autoritäre Führung seit 2012 typisch ist, war ein schwerer politischer Fehler. Sie verhinderte, dass Behörden und Gesundheitsämter auf lokaler Ebene flexible Maßnahmen beschließen konnten. Aus politischen Gründen ließ Peking auch keine mRNA- oder Vektorimpfstoffe aus dem Ausland zu, obwohl diese im Vergleich mit chinesischen Impfstoffen als wirksamer gelten.

Die Regierung setzte lieber auf Massentests und Zwangsquarantäne. Dabei warnen selbst chinesische Experten seit Jahren vor der zu niedrigen Impfquote unter den Älteren. Die ungeschützten Senioren sind der Grund, warum Peking jetzt zwar Lockerungen bei den Quarantäneregeln beschließen kann, aber keine sofortige Öffnung.

Auch wenn ein Kurswechsel vorsichtig kommuniziert werden müsste, ausgeschlossen ist er nicht. Immer wieder haben chinesische Parteiführer bewiesen, dass sie in Krisen zu großem Pragmatismus fähig sind. Doch Xi Jinping steht jetzt unter enormem persönlichen Druck, zum ersten Mal kann er keinem anderen die Schuld zuschieben. Und schon länger gibt es Anzeichen dafür, dass sein Rückhalt in der Partei nicht grenzenlos ist. Beim Parteitag übernahm das Gremium zentrale politische Konzepte von Xi nicht in die Parteiverfassung. Wie das Magazin Nikkei Asia bemerkte, wird er seit geraumer Zeit nicht mehr als "Volksführer" bezeichnet. Beim Nationalen Volkskongress im kommenden März könnte der Parteichef zu weiteren Zugeständnissen gezwungen sein.

Die Unzufriedenheit der Chinesen geht viel tiefer

Peking weiß, dass die Unzufriedenheit vieler Chinesen über die Covid-Strategie weit hinausgeht. Die KP gründet ihren Machtanspruch auf die jahrzehntelang geschürte Erwartungshaltung, dass China immer reicher wird und der Lebensstandard aller Chinesen steigt. Doch diese Glücksformel scheint ausgereizt zu sein.

Das Land kämpft mit Problemen, wie man sie aus anderen, weiter entwickelten Wirtschaften kennt: Gehälter stagnieren, besonders in den unteren Gehaltsklassen. Die Ungleichheit nimmt zu, die soziale Mobilität ab. Ein großer Teil der 800-Millionen-Arbeiterschaft ist unzureichend ausgebildet. Gleichzeitig altert die Bevölkerung schneller als erwartet. Um die tieferliegenden sozialen und wirtschaftlichen Dilemmas zu lösen, müsste Xi grundlegende Reformen anstoßen. Das Gegenteil ist der Fall. Er schwört auf eine Wirtschaft mit starker staatlicher Kontrolle, lässt wichtige Reformen liegen.

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Wie weit sich die Proteste auch gegen das politische System wenden, wird sich noch zeigen. Eine unmittelbare Gefahr für die Partei dürfte der Sicherheitsapparat abwenden. Doch neben der Popularität von Xi ist auch das Vertrauen in zentrale Instrumente der kommunistischen Regierungsführung erschüttert.

Im "Volkskampf" gegen das Virus setzte die Partei auf eine Armee von Corona-Wächtern - einfache Sicherheitsleute, Parteivertreter und Freiwillige der Nachbarschaftskomitees, die auch vor der Pandemie als wichtigstes Instrument sozialer Kontrolle dienten. Doch je länger die Maßnahmen andauerten, desto heftigere Gewalt mussten die Helfer in den weißen Schutzanzügen anwenden. Die kollektiven Exzesse erinnern an die dunklen Kapitel unter Mao, der die Massen mit brutaler Gewalt für seine politischen Ziele mobilisierte. Ausgelaugt und überfordert sind Chinas "weiße Garden" zum Symbol des Staatsversagens geworden.

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