Geheimdokumente:Die wichtigsten Fakten zu den China Cables

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Die Türme gehören mutmaßlich zu einem Lager, in dem Uiguren festgehalten werden. Das Bild entstand im Mai 2019 nahe der Stadt Hotan. (Foto: Greg Baker/AFP)

Worum geht es in den geheimen Dokumenten? Wie reagiert China und was hat die Lage der Uiguren mit Deutschland zu tun? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Worum geht es bei den China Cables?

Vertrauliche Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas belegen deren geheime Vorgaben für die massenhafte Internierung von Uiguren, einer überwiegend muslimischen Minderheit. Die Inhaftierten sollen ihrer Religion abschwören und sich der Ideologie der Kommunistischen Partei unterwerfen. Nach Schätzungen von Experten sind derzeit mehr als eine Million Uiguren im Nordwesten Chinas interniert.

Die Dokumente, die dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zugespielt wurden, sind von großer Bedeutung, weil sie in den Worten der Kommunistischen Partei unmissverständlich bezeugen, dass Menschen eingesperrt werden und die Lager nicht verlassen dürfen. Die zentrale Verteidigungslinie der chinesischen Regierung hatte bislang gelautet, es handle sich bei den Lagern um "Berufsbildungszentren", der Aufenthalt sei freiwillig. Tatsächlich aber, das zeigen die China Cables, werden die Lagerinsassen in der Regel mindestens ein Jahr inhaftiert. Die Unterlagen legen zudem nahe, dass China seine Botschaften und Konsulate nutzt, um Uiguren im Ausland zu überwachen.

Zusammen mit Regierungsdokumenten, die die New York Times vor wenigen Tagen veröffentlicht hat, zeichnen die China Cables das Bild eines Lager- und Überwachungsstaates, den die chinesische Regierung in der Region Xinjiang errichtet hat.

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Wer sind die Uiguren?

Die Uiguren sind im Nordwesten Chinas beheimatet, in der autonomen Region Xinjiang. Sie zählen zu den sogenannten Turkvölkern. Die meisten Uiguren sind Muslime - sie bilden eine Minderheit in der Volksrepublik. Seit einigen Jahren versucht die Regierung in Peking, die Volksgruppe zu assimilieren. Muslimische Gebräuche wurden verboten, Moscheen und Friedhöfe zerstört. Zudem werden immer mehr Han-Chinesen - sie stellen die größte Volksgruppe in China dar - nach Xinjiang umgesiedelt. Dadurch sind heute nur noch weniger als die Hälfte der Einwohner Xinjiangs Uiguren. Als die Volksrepublik China 1949 gegründet wurde, waren es noch weit mehr als 70 Prozent.

Woher stammen die China-Cables-Dokumente?

Die Papiere wurden dem ICIJ von Exil-Uiguren zugespielt. Die ursprüngliche Quelle ist aber offenbar eine Person in Xinjiang, deren Identität dem ICIJ nach eigenen Angaben nicht bekannt ist. Für die Informationen hat das ICIJ kein Geld bezahlt. Die Journalistenvereinigung hat die Unterlagen mit weltweit 17 Medien, etwa dem Guardian, der New York Times und der BBC geteilt und analysiert. In Deutschland waren neben der Süddeutschen Zeitung der Norddeutsche Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk beteiligt.

Wie wurde die Echtheit der Informationen überprüft?

Mehrere der Dokumente sind vom damaligen stellvertretenden Chef der Kommunistischen Partei in Xinjiang unterzeichnet worden - einem Mann namens Zhu Hailun. Laut Experten ist auch der Sprachduktus der Unterlagen typisch für interne Verlautbarungen der Kommunistischen Partei. Nach SZ-Informationen liegen die Dokumente auch mindestens einem westlichen Geheimdienst vor, der sie für authentisch befunden hat. Auch der China-Experte Adrian Zenz, dem die Dokumente unabhängig vom ICIJ zugespielt worden sind, hält sie nach eingehender Untersuchung für echt. Auf eine detaillierte Anfrage zu den Dokumenten antwortete die chinesische Botschaft in Berlin knapp und verwies auf frühere Verlautbarungen, wonach es sich bei den Lagern um Maßnahmen zur "Terrorbekämpfung und Entradikalisierung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung" handele.

Um was für Dokumente handelt es sich genau?

Bei den China Cables handelt es sich um drei verschiedene Arten von Dokumenten: eine ausführliche Anleitung der Kommunistischen Partei zum Betrieb von Internierungslagern, vier interne Bekanntmachungen zu einer Überwachungsdatenbank sowie das Urteil eines chinesischen Gerichts gegen einen Uiguren aus dem Jahr 2018.

Die neunseitige Anleitung zum Unterhalt der Lager wurde 2018 von der "Kommission für politische und rechtliche Angelegenheiten" der Kommunistischen Partei in Xinjiang verfasst. Unter dem Titel "Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten" werden mehr als zwei Dutzend Regeln aufgelistet. Unter anderem heißt es wörtlich: "Es dürfen auf keinen Fall Ausbrüche vorkommen." Weiter wird erklärt, dass alle Zimmer und Gänge strengstens abgesperrt werden müssen - damit widerlegt das Dokument die bisherige Behauptung der chinesischen Behörden, die Lagerinsassen seien freiwillig dort und könnten jederzeit gehen. Das Dokument ist als "vertraulich" markiert und unterliegt der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe in China.

In vier weiteren als geheim eingestuften Dokumenten aus dem Jahr 2017 führt der Verfasser aus, wie die "Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze" genutzt werden soll. Es handelt sich um eine Überwachungsdatenbank, in die Informationen aus verschiedenen Quellen einfließen: von Verhören, von Überwachungssoftware, aber auch Informationen jener Überwachungskameras, die in Xinjiang an so gut wie jeder Straßenecke zu sehen sind. "Ziel ist es, die Bürger von Xinjiang zu transparenten Bürgern zu machen", heißt es dazu in einer Studie der Mercator-Stiftung aus dem März 2019. Die "Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze" legt fest, wer verdächtig ist und wer nicht. Aus den China Cables geht hervor, dass die Behörden innerhalb einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15.638 Uiguren aus Xinjiang festgenommen und in Lager gesteckt haben.

Die Dokumente belegen auch, dass China zudem Uiguren im Exil überwacht, chinesische Konsulate und Botschaften sammeln Informationen über sie. Sollten verdächtige Exil-Uiguren nach China einreisen, sollen sie dem Dokument zufolge in Lagern interniert werden.

Bei einem weiteren Dokument handelt es sich um das Urteil eines regionalen Gerichts in Qakilik aus dem Jahr 2018 gegen einen Uiguren. Er wurde im Sommer 2017 festgenommen und schließlich zu zehn Jahren Haft verurteilt, unter anderem weil er seine Kollegen aufgefordert haben soll, keine Pornos anzuschauen und nicht zu fluchen, da dies nicht mit dem muslimischen Glauben vereinbar sei.

Wie hat die chinesische Regierung auf die Enthüllungen reagiert?

China hat bislang darauf beharrt, dass es sich bei den Lagern um berufliche Fortbildungseinrichtungen handele. Ziele seien die Armutsbekämpfung und das Einhegen extremistischen Gedankenguts. Detaillierte Fragen zu den China Cables ließ die Regierung in Peking unbeantwortet. Dem britischen Guardian teilte die Botschaft in London mit, die Dokumente seien "reine Fälschung".

Weiß die chinesische Bevölkerung von den Lagern?

Wenn im chinesischen Staatsfernsehen über Xinjiang berichtet wird, sieht man oft Männer und Frauen beim Tanzen, sie tragen Tracht und lachen viel. Ansonsten teilt der Staat seinen Bürgern nur mit: Die Sicherheitslage sei unter Kontrolle, die starke Polizeipräsenz zahle sich aus. Viele Chinesen aus anderen Teilen des Landes haben dennoch Angst, in die Region zu fahren. In Urumqi oder Kashgar sei es doch genauso gefährlich wie in Kabul oder Bagdad, hört man immer wieder. Von den Lagern erfährt die Bevölkerung nichts. In den Zeitungen wird nicht darüber berichtet, und im Internet werden die meisten Kommentare dazu in der Regel eilig gelöscht.

Was unternimmt die internationale Gemeinschaft gegen die Internierungslager in Xinjiang?

Die Europäische Union (EU), Kanada und die US-Regierung kritisieren regelmäßig die Überwachung, Verfolgung und Internierung der Uiguren. Eine EU-Delegation reiste im Sommer 2018 nach Xinjiang und kam in einem vertraulichen Bericht zu dem Schluss, dass dort jeder von den Lagern wisse, es aber niemand wage, offen darüber zu sprechen. Die US-Regierung sanktionierte erst im vergangenen Oktober 28 chinesische Regierungsorganisationen und Unternehmen wegen "brutaler Unterdrückung" der Uiguren. Mehr als ein Dutzend UN-Sonderberichterstatter drückten Anfang November in einem offenen Brief ihre Besorgnis aus und forderten eine unabhängige Untersuchung. Zuvor hatten Deutschland und 22 weitere Nationen China in einer Erklärung vor den Vereinten Nationen "willkürliche Inhaftierungen" vorgeworfen. Die Regierung in Peking wies die Vorwürfe zurück und sprach von einer "anti-chinesischen Aufführung einer kleinen Zahl westlicher Staaten".

Öffentlich haben sich bislang mindestens 37 Länder an die Seite der Regierung in China gestellt und sich jegliche Einmischung aus dem Ausland verbeten. Unter anderem zählten dazu Nordkorea, Kuba, Saudi-Arabien und Syrien.

Was hat die Lage der Uiguren mit Deutschland zu tun?

In Deutschland leben etwa 1500 Exil-Uiguren. In München hat auch die wichtigste Exilorganisation, der "Weltkongress der Uiguren", seinen Sitz. In der Region Xinjiang sind zudem etliche deutsche Firmen tätig, etwa Volkswagen und BASF. Siemens unterhält eine strategische Partnerschaft mit jenem Unternehmen, das das Überwachungssystem "Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze" mitentwickelt haben soll. Menschenrechtler werfen den Firmen vor, die Augen vor den Missständen in der Region zu verschließen.

Was ist das ICIJ, das die China-Cables-Recherchen organisiert hat, und wie wird es finanziert?

Das ICIJ ist eine gemeinnützige Organisation, die wie eine Art internationaler Verein für investigative Journalisten zu verstehen ist. Ihm gehören weltweit etwa 250 Journalisten an, darunter auch vier SZ-Reporter (Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Hans Leyendecker und Georg Mascolo). Das ICIJ wird über Spenden finanziert, unter anderem von Stiftungen aus Australien, Großbritannien, den Niederlanden und den USA - darunter die Ford Foundation, die Adessium Foundation, die von George Soros gegründete Open Society Foundation sowie von Luminate, einer philanthropischen Organisation von Ebay-Gründer Pierre Omidyar. Die Süddeutsche Zeitung arbeitet seit 2012 mit dem ICIJ zusammen, etwa bei den Projekten Offshore Leaks, Luxemburg Leaks oder Implant Files. 2017 erhielt das ICIJ für die von der SZ initiierten Panama-Papers-Recherchen den Pulitzer-Preis.

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