Corona-Kundgebung:CDU-Wirtschaftsrat wegen Demo in Erklärungsnot

Lesezeit: 3 min

Die umstrittene Veranstaltung in Gera wirft nicht nur auf Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsident Kemmerich ein fragwürdiges Licht. Denn der Veranstalter sitzt im Landesvorstand des CDU-Wirtschaftsrats. Der Rat und die Partei distanzieren sich jetzt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es war nur eine vergleichsweise kleine Veranstaltung, aber sie bringt nach der FDP nun auch die CDU in Erklärungsnot. Am Samstag hatten in Gera Bürgerinnen und Bürger gegen die Auflagen zur Eindämmung des Corona-Virus demonstriert. Unter den Teilnehmern waren auch Rechtsradikale. Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) hatte sich trotzdem in den Protest eingereiht - und sich dabei weder an die vorgeschriebenen Abstandsregeln gehalten, noch einen Mundschutz getragen. Außerdem ließ er sich vom Veranstalter widerspruchslos als "einziger aktuell legitimer Ministerpräsident" ankündigen, dabei regiert in Thüringen längst wieder Bodo Ramelow.

In der FDP sorgte das für Entsetzen. "Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz", twitterte Parteichef Christian Lindner zum Auftritt Kemmerichs. Die CSU wurde noch deutlicher. "Bei der FDP brennen die Sicherungen durch", schimpfte CSU-Generalsekretär Markus Blume. Es sei ein Unding, dass Kemmerich zusammen mit Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern demonstriert habe. Dabei hätte Blume Grund gehabt, nicht nur die FDP anzugreifen.

Demonstrationsrecht
:Politiker sorgen sich wegen Radikalisierung der Corona-Proteste

In etlichen Städten demonstrierten Tausende gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Umfragen zeigen sie als Minderheit, viele Politiker aber sehen in einer Allianz aus Verschwörungstheoretikern und Radikalen eine gefährliche Entwicklung.

Von Detlef Esslinger und Kristiana Ludwig, Berlin

Denn der Veranstalter der Kundgebung, der in Kemmerich den eigentlichen Ministerpräsidenten sieht, sitzt im Thüringer Landesvorstand des CDU-Wirtschaftsrats. Vizepräsident des Wirtschaftsrats ist übrigens Friedrich Merz. Und Astrid Hamker, die Präsidentin des Rates, darf qua Amt an allen Sitzungen des CDU-Bundesvorstandes teilnehmen.

"Für mich ist er unser einziger aktuell legitimer Ministerpräsident: Thomas Kemmerich"

Aber zurück nach Gera. Wer sich den Videomitschnitt der Veranstaltung ansieht, fühlt sich an AfD-Kundgebungen erinnert. Erst spricht der Veranstalter. Der Mann vom Thüringer CDU-Wirtschaftsrat heißt Peter Schmidt, er ist Geschäftsführer bei dem Unternehmen Jenatec Industriemontagen. Und er beklagt in seiner Rede zunächst, dass über dem Berliner Reichstagsgebäude zwar "Dem Deutschen Volke" stehe - er aber schon seit einiger Zeit das Gefühl habe, dass dort eher stehen müsste: "Den Interessen und Karrieren korrumpierter Politiker", oder "Den Interessen internationaler Ökoprofiteure" oder "jetzt ganz aktuell: Den Interessen der Pharmalobby und undurchsichtiger Stiftungen".

Dann bittet Schmidt "einen Freund" ans Mikrofon. Und er macht das mit dem Satz, der jetzt den CDU-Wirtschaftsrat in Verlegenheit bringt. "Er war für einen Tag unser Ministerpräsident, bevor ihn ein Anruf einer machtgierigen Frau aus Südafrika gestürzt hat", sagt Peter Schmidt, "für mich ist er unser einziger aktuell legitimer Ministerpräsident: Thomas Kemmerich". Zur Erinnerung: Kemmerich ist der Mann, der sich im Februar mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen. Und mit der "machtgierigen Frau" meint Schmidt die Kanzlerin.

Starker Tobak. Doch der Wirtschaftsrat reagierte tagelang nicht öffentlich darauf. Am Dienstag teilte er dann der Süddeutschen Zeitung auf Nachfrage mit, man erwarte "von seinen Mitgliedern, dass sie sich von Extremisten von rechts und links klar distanzieren". Der Landesverband Thüringen habe "sich der Sache angenommen und eine Stellungnahme bei Herrn Schmidt angefordert". Schmidt habe "die Veranstaltung als Privatperson angemeldet und durchgeführt" - der Wirtschaftsrat distanziere sich "eindeutig von deren Inhalten und den dort getätigten Äußerungen". Schmidt selbst sagte der SZ jedoch, er habe die Äußerungen als Privatperson gemacht und "davon nichts zurückzunehmen". Er habe "an keiner Stelle mit der AfD oder deren Anhängern zusammengearbeitet". Außerdem sei er zwar im Landesvorstand des CDU-Wirtschaftsrats, aber kein CDU-Mitglied, sondern parteilos.

Der Fall zeigt die eigenartige Konstruktion des CDU-Wirtschaftsrats. Er trägt zwar die Abkürzung "CDU" im Namen, und wie wichtig die Partei den Wirtschaftsrat nimmt, zeigt sich immer wieder auf dessen "Wirtschaftstagen". Auf dem letzten Wirtschaftstag traten unter anderem CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der damalige EU-Kommissar Günther Oettinger, der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch sowie die Bundesminister Jens Spahn und Peter Altmaier auf. Außerdem wurde Merz bei der Veranstaltung zum Vizepräsidenten gewählt. Doch der Rat ist gar kein offizieller Teil der CDU, sondern ein Verein, der als Berufsverband die Interessen der Wirtschaft vertreten will.

CDU-Generalsekretär Ziemiak beklagt "das krude Denken"

Die CDU geht trotzdem nicht namensrechtlich gegen den Wirtschaftsrat vor. In der CDU-Spitze ist man der Ansicht, dass der Rat hilfreich ist. In anderen Fällen ist die Partei nicht so zurückhaltend. Im Jahr 2016 ist die CDU zum Beispiel gegen ein ehemaliges CSU-Mitglied vorgegangen, das aus Enttäuschung über die Flüchtlingspolitik der CSU zur Gründung einer "CDU-Bayern" aufgerufen hatte. Die CDU ließ dem Mann damals juristisch untersagen, den Namen "Christlich Demokratische Union Deutschlands und/oder deren Kurzbezeichnung CDU" zu verwenden. Für "jeden Fall der Zuwiderhandlung" sollte das Gericht ein Ordnungsgeld von "bis zu 250 000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten", im Wiederholungsfall gar bis zu zwei Jahren anordnen.

Auf die Frage, warum man gegen den Wirtschaftsrat nicht namensrechtlich vorgehe und Hamker sogar an den Bundesvorstandssitzungen teilnehmen lasse, sagte ein CDU-Sprecher am Dienstag: "Der Wirtschaftsrat der CDU ist seit seiner Gründung 1963 der CDU im engen Austausch verbunden - es gibt keinen Anlass, dieses Verhältnis grundsätzlich in Frage zu stellen." Die Äußerungen von Gera völlig wortlos hinnehmen wollte die Partei dann aber auch nicht. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der SZ: "Ich weiß, dass der Wirtschaftsrat sich eindeutig von den dort getätigten Äußerungen distanziert. Die Äußerungen entlarven das krude Denken dahinter von alleine, eine weitere Kommentierung ist unnötig."

© SZ vom 13.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBerlin
:Nö, einfach nö

Bei den Hygienedemos versuchen erhitzte Menschen aus komplett unterschiedlichen Welten, ihre Corona-Angst auf einen Nenner zu bringen. Begegnungen in Berlin.

Von Willi Winkler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: