CDU-Vorsitz:Warum Kramp-Karrenbauer gewann und Merz verlor

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Waren es die Parteitagsreden? War es das Netzwerk der Frauen - oder die Rolle der Parteiführung? Das Ergebnis von Hamburg hat viele Ursachen. Manche werden eine Versöhnung zwischen Siegern und Verlierern erschweren.

Von Stefan Braun, Hamburg

So knapp ist es noch nie zugegangen bei den Christdemokraten. 517 zu 482 Stimmen - so was nennt man wohl hauchdünnen Sieg. Und hauchdünne Niederlage. Schon für sich gesehen ist das ein sehr bemerkenswertes Ergebnis, zumal für die auf Stabilität ausgerichteten Christdemokraten. Wenn man bedenkt, welche mögliche Vorentscheidung bis hin zur Nachfolge im Kanzleramt damit getroffen wurde, ist die Bedeutung noch größer.

Warum ist die Wahl zum CDU-Vorsitz so knapp ausgegangen? Welche Faktoren haben dabei eine Rolle gespielt? Ein Überblick über die Entwicklungen und Prozesse, die zum Hamburger Ergebnis geführt haben.

Die Reden

Vor dem CDU-Parteitag wussten längst nicht alle Delegierten, welchem der drei Kandidaten für den Posten des Parteichefs oder der Parteichefin sie ihre Stimme geben würden. Von der ersten bis zur letzten Regionalkonferenz war deutlich geworden, dass Jens Spahn letztlich kaum eine Rolle spielen würde, die Lager der Anhänger von Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz aber ähnlich groß waren.

Umso klarer war es für Kandidaten und Delegierte, dass der persönliche Eindruck beim Bewerbungsauftritt in Hamburg eine große Rolle spielen würde.

Hier ist es Kramp-Karrenbauer gelungen, mit einer sehr persönlichen Rede offenzulegen, was sie antreibt und was sie erreichen möchte. Wichtig dabei war, dass sie nicht nur über inhaltliche Ziele redete, sondern auch über sich selbst sprach. Wer sie sein will. Und wer sie nicht sein möchte. Dass sie sich also kenntlich machte. Das Publikum spürte ihre Leidenschaft. AKK, wie sie in der Partei auch genannt wird, warf sprichwörtlich alles in diese Rede, um die Delegierten zu überzeugen.

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Die Wahl von AKK zur Merkel-Nachfolgerin ist Teil einer Entwicklung, die mit ihrer Ernennung zur Generalsekretärin begann. Ein Satz ihrer Rede könnte ihren künftigen Führungsstil beschreiben.

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Friedrich Merz dagegen tat genau das nicht. Er verzichtete damit auf das, was bei dieser Rede wahrscheinlich am wichtigsten gewesen wäre. Er wurde nicht persönlich, er sprach kaum über seine zentralen Motive, er wollte oder konnte kein Wort darüber verlieren, dass er mit dieser spektakulären Rückkehr erstmal Irritationen ausgelöst hatte. Herzblut und Sorge um die CDU waren kaum zu spüren bei seinem Auftritt.

Stattdessen sprach Merz wie ein Außenpolitiker, ein nüchterner Analytiker. Wie einer, dessen Leidenschaft plötzlich gebremst schien. Dabei wurde man plötzlich an das TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber im Jahr 2002 erinnert. Schröder galt vorher als Favorit des Fernsehduells und Stoiber als hoffnungslos unterlegen. Doch als es losging, wirkte Schröder überrascht vom authentisch mit sich kämpfenden Stoiber; plötzlich erschien Schröder übersouverän und Stoiber echt in seinem Bemühen. Sehr ähnlich war das zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer in Hamburg.

Der Dritte im Bunde

In gewisser Weise spielen Reden auch beim zweiten Punkt eine Rolle. Und zwar beim Blick auf Jens Spahn, den dritten Kandidaten. Er wurde früh in diesem Wettbewerb als vermeintlicher Partner von Merz beschrieben. Das aber stimmte nie. Auch wenn er in der oft vereinfachenden Zuschreibung als ähnlich konservativ gilt, war Spahn immer derjenige, den Merz mit seiner Kandidatur am stärksten überraschte und am schwersten traf.

Spahn müht sich seit Jahren darum, der moderne und junge Vertreter des konservativen Flügels zu werden. Mit Mut zur Provokation und größtem Einsatz. Mehr als 200 Kollegen besuchte er im Wahlkreis; wenn er davon spricht, sich mit vollem Einsatz für die Partei in den politischen Kampf zu stürzen, dann bezieht sich das nicht nur auf seinen persönlichen Ehrgeiz, sondern auch auf den Kampf für die Truppe.

Umso schmerzhafter war es für ihn, als er nach der Kandidatur von Merz erleben musste, wie sich bei manchem Mitstreiter die Magneten neu ausrichteten. Aus diesem Grund lehnte es Spahn nicht nur ab, frühzeitig aus dem Rennen zu gehen. Er verzichtete auch auf jede Unterstützung für Merz. So gesehen war es nur konsequent und folgerichtig, dass im zweiten und entscheidenden Wahlgang von Hamburg keineswegs alle Spahn-Unterstützer Merz wählten.

Für Kramp-Karrenbauer war das entscheidend. Und was Spahn selbst angeht, hat es zumindest dafür gesorgt, dass er nach dem Parteitag wieder eine Art Alleinstellungsmerkmal im konservativen Bereich der Partei haben wird.

Hier war die vielleicht größte Veränderung zu früher zu beobachten. Waren es in der Kohl-Zeit vor allem die Männer, die sich vor und hinter den Kulissen organisierten, so sind es dieses Mal vor allem die Frauen gewesen, die sich früh vernetzten und für AKK in den Kampf stürzten.

Dabei konnte man beobachten, wie sehr die Tatsache, dass die CDU seit 18 Jahren eine Frau an der Spitze hatte, die seit 13 Jahren unprätentiös und frei von Eitelkeiten regiert, die Partei verändert und die Frauen selbstbewusst gemacht hat.

Umgekehrt war bei den beiden männlichen Kandidaten das Netzwerk längst nicht so stark. Zum einen, weil sich da manche Fan-Gemeinde spaltete. Noch gravierender aber war zum anderen, dass Männer-Netzwerke durch die historischen Erfahrungen - etwa die Parteispendenaffäre - auch in der CDU diskreditiert sind.

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Am Tag nach der historischen Wahl geht es bei den Christdemokraten auch um Inhalte: Die Partei will der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit aberkennen lassen. Die Verbraucherschutzorganisation hatte die Fahrverbote vor Gericht erstritten.

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Das verknüpfte sich mit der Tatsache, dass kurz nach der Kandidatur von Merz Berichte auftauchten, er und andere Männer, womöglich choreografiert von Wolfgang Schäuble, seien jetzt zum großen letzten Rachefeldzug gegen Angela Merkel angetreten.

Beim genauen Blick stimmte daran vieles nicht. Aber der Gedanke war gesetzt - und führte auch dazu, dass das alte Schisma zwischen Merkel und Merz von Anfang an in allen Köpfen war.

Dass das so massiv polarisierend wirken konnte, lag an Merz, der in den vergangenen Jahren immer wieder mal gezeigt hatte, dass er bis heute vieles von Merkels Politik ablehnt. Gleichzeitig aber hatten seine Gegner früh und mit Verve begonnen, eben diesen Aspekt als den wichtigsten zu benennen. Der Mann gegen die Frau, Merz gegen Merkel - das setzte sich fest. Und der Rückkehrer konnte es trotz aller Erklärungen auf den Regionalkonferenzen nicht mehr abschütteln.

Der Wahlkampf und seine Wahrnehmung in den Medien

Damit war auch in vielen Medien der Ton früh gesetzt. Merz als großer Antipode Merkels - das überlagerte alle Fragen, ob die CDU in den vergangenen Monaten und Jahren wirklich den richtigen Kurs gegenüber der AfD eingeschlagen hat.

Hinzu kam, dass Kramp-Karrenbauer zwar kurz schluckte, als Merz seine Kandidatur bekannt gab. Dann aber stürzte sie sich mit Haut und Haaren in das Duell mit dem Rückkehrer. Und sie wurde nicht müde zu erwähnen, wie lange sie schon mit welchem Erfolg und welcher Loyalität für die CDU kämpft.

Merz dagegen erweckte den Eindruck, als stolpere er in diesen Wettstreit. Sein erster medialer Auftritt war nicht etwa ein Plan für Deutschland, sondern eine Debatte über sein Einkommen. Und dabei erklärte Merz, er zähle sich zur gehobenen Mittelschicht, trotz eines Einkommens von rund einer Million Euro im Jahr.

Das konnten viele nicht verstehen; Merz wirkte unsicher statt selbstbewusst; damit hatte kaum jemand gerechnet. Danach kam - als Reaktion auf eine Frage bei der zweiten Regionalkonferenz - die Botschaft, für eine europäische Vereinheitlichung müsse man über das deutsche Asylrecht nachdenken. Es sollte keine große Provokation sein, aber es wurde eine. Wieder geriet Merz in die Defensive. Wieder standen seine Anhänger vor einem Fragezeichen. Dagegen kam Merz nur schwer an und nur langsam in Fahrt.

Aber auch Kramp-Karrenbauer hatte in den fünf Wochen Wahlkampf ein paar Querschläger, die allerdings für sie ohne Auswirkungen blieben. So ihr Ruf, syrische Asylbewerber, die straffällig geworden sind, schon jetzt wieder nach Syrien abzuschieben. Hätte ein Horst Seehofer diesen Vorschlag gemacht, wäre die Aufregung groß gewesen. Bei Kramp-Karrenbauer blieb es ruhig.

Darüberhinaus forderte sie für ausländische Straftäter eine Einreisesperre nach Deutschland und Europa, und zwar für immer - und erweckte den Eindruck, als gäbe es diese nicht längst. Man könnte das Populismus nennen. Eine große Welle des Protestes und der Kritik blieb trotzdem aus; bei Kramp-Karrenbauer wurden diese Ausflüge als taktisches Manöver eingeordnet.

Die Reaktion der Parteiführung auf den Rückkehrer Merz

Die Kanzlerin hat sich öffentlich nie etwas Negatives anmerken lassen. Intern war das nicht ganz so, aber bei allen Auftritten gab sie sich alle Mühe, Merz wie jeden anderen Kandidaten einzuordnen und zu behandeln.

Anders war das mit ihren engeren Mitstreitern. Wer mit ihnen ins Gespräch kam, traf auf eine Führungsmannschaft, die die Kandidatur von Merz mehr als einmal als "absurd" bezeichnete. Und sie verbanden das stets mit der Interpretation, hier wolle einer nach 15 Jahren Rache üben. Dass Merz wegen der schwierigen Lage der CDU, der Stärke der AfD und der Frage nach der richtigen Antwort darauf in diese überraschende Kandidatur gegangen sein könnte, hielten sie für ausgeschlossen.

Dazu passte aus ihrer Sicht, dass sich Wolfgang Schäuble wenige Tage vor dem Parteitag öffentlich für Merz aussprach. Sie lasen in dem Interview eine Bestätigung ihrer Sicht auf die Dinge - und gingen so auch über Schäubles inhaltliche Argumente für sein Votum hinweg.

Die Konsequenz

Am Ende stand ein knapper Sieg für Kramp-Karrenbauer. Und das Verhindern einer Debatte, in der ausführlich und offen über die Frage diskutiert worden wäre, ob die Regierungs- und Parteispitze im Umgang mit der AfD neue Antworten geben müsste. Die Hoffnung auf eine solche Debatte hatten vor allem diejenigen gehegt, die am Merkel'schen Kurs in der Flüchtlingskrise zweifeln - sie blieb unerfüllt.

Und so ist zum Ende des Parteitags immer wieder zu hören, dass viele Delegierte mit dem Gefühl nach Hause fahren, für die Auseinandersetzung mit den Populisten und Extremisten der AfD kaum Neues mit auf den Weg bekommen zu haben. Nach der spannenden Wahl vom Freitag fiel das nicht ins Gewicht. Von Montag an aber wird es wieder ins Zentrum der Sorgen rücken.

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