Karlsruhe fällt NPD-Urteil:Völkisches Denken, Kampf gegen Freiheit und Demokratie

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die NPD trifft eine Partei, die den Absturz schon hinter sich hat. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht schließt die rechtsextreme NPD von der Parteienfinanzierung aus. Aus dem Urteil lässt sich diese Lehre ziehen: Die Verbotsidee im Falle AfD ist keineswegs abwegig.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man muss in diesen Tagen achtgeben, dass man mit den Parteikürzeln nicht durcheinandergerät. Die Partei halte am ethnischen Volksbegriff fest, verkündete Doris König am Dienstag in Karlsruhe. Die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts fuhr fort: "Die Propagierung der ethnisch definierten Volksgemeinschaft hat eine gegen die Menschenwürde und das Gebot elementarer Rechtsgleichheit verstoßende Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten zur Folge."

Gemeint war natürlich die NPD, die sich nun "Die Heimat" nennt, aber demnächst der Vergangenheit angehören dürfte, unter welchem Namen auch immer. Denn das Bundesverfassungsgericht hat erwartungsgemäß entschieden, dass der Ausschluss der rechtsextremistischen Partei von staatlicher Parteienfinanzierung und Steuervergünstigung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Abwertung von Migranten, völkische Fantasien: Der Hinweis darauf legt es nahe, das Urteil auch mit Blick auf die AfD zu lesen.

Das Urteil trifft eine Partei, die den Absturz schon hinter sich hat

Mit dem Urteil geht der gut zwei Dekaden währende Versuch zu Ende, ein zentrales Instrument der wehrhaften Demokratie zu erproben. 2003 war ein erster Anlauf gescheitert. Karlsruhe hatte den Verbotsantrag gegen die NPD abgeschmettert, weil die Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Der zweite Versuch war besser vorbereitet und endete 2017 mit der höchstrichterlichen Feststellung, dass die NPD verfassungsfeindlich sei. Einem Verbot entging sie allein deshalb, weil die Wähler sich von ihr abgewandt hatten. Das Gericht konnte in der Kleinstpartei nicht einmal mehr die Möglichkeit einer Gefahr ausmachen.

Schon damals hatte das Gericht dem Gesetzgeber freilich einen dezenten Hinweis gegeben, wie sich das Arsenal der demokratischen Selbstverteidigung komplettieren ließe - nämlich durch einen Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung. Genau dies wurde noch im selben Jahr ins Grundgesetz geschrieben, womit die Grundlage für ein drittes Verfahren gelegt war.

Das neue Urteil trifft eine Partei, die den Absturz schon hinter sich hat. Zur staatlichen Parteienfinanzierung hatte die NPD keinen Zugang mehr, weil sie auf Bundes- wie auf Landesebene unter die maßgeblichen Hürden von 0,5 beziehungsweise einem Prozent gerutscht ist. Bei der letzten Bundestagswahl lag sie bei 0,1 Prozent. Profitiert hat sie zuletzt von Steuervergünstigungen, ebenfalls ein Privileg politischer Parteien. Das brachte ihr 2020 und 2021 rund 200 000 Euro ein.

Am mangelnden Potenzial der Partei würde ein Verbot im Fall AfD nicht scheitern

Doch auch damit ist es nun vorbei, zumindest für die kommenden sechs Jahre - so lange wirkt der Richterspruch. Die Partei "missachtet nach wie vor die freiheitliche demokratische Grundordnung und ist nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger auf deren Beseitigung ausgerichtet", fasste Doris König zusammen.

Das ist auch die Formel, an der eine AfD zu messen wäre, ganz egal, ob man ihr ans Geld will oder sie ganz verbieten möchte. Denn die Voraussetzungen eines Finanzierungsausschlusses entsprechen im Prinzip jenen eines Parteiverbots, wie das Urteil noch einmal klarstellt. Der einzige Unterschied: Verboten werden darf eine Partei nur, wenn sie durch ihre Größe auch die Möglichkeit hätte, verfassungsfeindliche Ziele umzusetzen. Dieses Potenzial stünde bei der schnell wachsenden AfD nun wirklich nicht infrage.

Was also lässt sich aus dem Karlsruher NPD-Urteil für die AfD-Debatte herauslesen? Die NPD, heißt es dort, "akzeptiert die Würde des Menschen nicht als obersten und zentralen Wert der Verfassung, sondern bekennt sich zum Vorrang einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft". Und weiter: "Grundsätzlich müsse es für Fremde in Deutschland eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat geben. Dabei wird auch Eingebürgerten mit Migrationshintergrund kein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zugestanden."

Die Verfassungsfeindlichkeit müsste auf die Grundhaltung der ganzen Partei zutreffen

Wer in den vergangenen Wochen die Nachrichten verfolgt hat, wird bei diesen Sätzen unweigerlich an die Enthüllung des Recherchenetzwerks Correctiv denken, wonach Rechtsextremisten in Potsdam ebensolche Vertreibungspläne geschmiedet haben sollen, wie sie in den Konzepten der NPD zu finden sind. Mit dabei in Potsdam waren auch AfD-Politiker.

Klar, das allein reicht nicht. Finanzierungsausschluss oder Verbot kämen "erst in Betracht, wenn sich das verfassungsfeindliche Agieren von Parteianhängern nicht nur in Einzelfällen zeigt, sondern einer zugrundeliegenden Haltung entspricht, die der Partei in ihrer Gesamtheit zugerechnet werden kann", heißt es in dem Urteil. Schon sein schierer Umfang zeigt, wie mühsam die Beweisführung ist; dieses Mal sind es 129 Seiten, 2017 waren es 298 - so viel Aufwand treibt das Gericht sonst nie.

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Aber die auffälligen Parallelen im völkischen Denken von NPD und mindestens von Teilen der AfD zeigt, dass die Verbotsidee keineswegs abwegig ist. Auch Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender in Thüringen, spricht von "gewachsenen Völkern", zu denen Migranten nicht gehören dürften.

Klärend für die AfD-Diskussion könnte zudem sein, was das Gericht zum "Bekämpfen" der freiheitlichen demokratischen Ordnung schreibt, Voraussetzung eines Verbots. Dieser Kampf hat nichts mit Revolte oder Gewalt zu tun. Sondern mit Parteiveranstaltungen und Wahlteilnahme, mit Strategiekonzepten und Öffentlichkeitsarbeit. Wer die Menschenwürde aushebeln und die Demokratie bekämpfen will, der kann dies auch mit legalen Mitteln tun. Oder wie das Gericht es ausdrückt: "Dabei kann auch die Inanspruchnahme grundrechtlich geschützter Freiheiten verbotsrelevant sein."

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