Bundestagswahlkampf:Lob der Langeweile

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Früher lebten Wahlkämpfe von Gegenbildern und Gegensätzlichkeiten, sie lebten von Personen und Persönlichkeiten. Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel gelten dagegen als langweilig. Doch die Langeweile des Wahlkampfs ist ein Spiegelbild der realen Politik.

Heribert Prantl

Früher war bekanntlich alles besser, auch der Wahlkampf. Die Wahlkämpfe waren so konfrontativ, dass es krachte; sie malten so schwarz-weiß, dass es weh tat; sie waren ein Spektakel, ein Gaudium, sie waren die fünfte Jahreszeit der Demokratie, sie waren ein immerwährender politischer Aschermittwoch.

Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel: politische Geschwister (Foto: Foto: Reuters)

Aber der Original-Aschermittwoch in Passau und sonst wo ist ja auch nicht mehr das, was er einmal war. Das große Spektakel findet heutzutage bei anderen Gelegenheiten statt, am Christopher Street Day beispielsweise; dort besteht das Gaudium darin, dass sich die Menschen möglichst nackig in die Brust werfen. Das möchte man im Wahlkampf lieber nicht so gern haben; und über solche Ansätze, die es hie und da schon gibt (siehe den Wahlplakat-Busen von Vera Lengsfeld und Angela Merkel, jeweils CDU) breite man den Mantel der christlichen Nächstenliebe.

Der Wahlkampf war früher nicht besser, er war nur anders. Er war deshalb anders, weil die Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD jeweils so anders waren; diese alten Wahlkämpfe lebten von Gegenbildern und Gegensätzlichkeiten, sie lebten von Personen und Persönlichkeiten, die den Unterschied der Parteien repräsentierten.

Willy Brandt war ein Gegenbild zu Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Rainer Barzel. Helmut Schmidt war das Gegenbild zu Franz Josef Strauß und zu Helmut Kohl. Helmut Kohl war ein Gegenbild zu Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping. Gerhard Schröder war so ganz anders als Edmund Stoiber und mit Angela Merkel verband ihn nichts.

Die unterschiedlichen Politikmodelle hatten ihre Repräsentanten. Die Originalität und Unverwechselbarkeit dieser Repräsentanten wurden noch wichtiger, als die Politikmodelle von CDU/CSU und SPD sich annäherten und die großen Streitfragen der Politik verschwanden. Der Wahlkampf von 2005 lebte vom Kontrast zwischen Merkel und Schröder, und dieser Kontrast überdeckte die programmatischen Übereinstimmungen; Schröder gelang es sogar, den Eindruck großer politischer Gegensätzlichkeit zu erwecken; er verdammte den Neoliberalismus, den er vorher verfochten hatte; das war nicht ehrlich, aber doch ziemlich erfolgreich. Schröder war der Anti-Merkel, Merkel war die Anti-Schröder.

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Das ist diesmal ganz anders. Steinmeier und Merkel sind von ihrem Typus her politische Geschwister; sie sind, mehr oder weniger, Techniker der Macht. Verglichen mit ihren erfolgreichen Vorgängern Adenauer oder Kohl ist Merkel eine Unpolitikerin; wenn man Steinmeier mit Brandt, Schmidt oder Schröder vergleicht, ist es ähnlich.

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Sie haben beide mit den alten großen Machtgewächsen wenig gemein, sie haben sich in ihre jeweilige Rolle nicht hineinentwickelt, sondern sind durch eine Verkettung unglücklicher oder glücklicher Umstände hineingeraten. Als sie da hineingerieten, galten sie jeweils als erfrischend anders; heute gelten sie, weil es die politischen Rampensäue immer weniger gibt, als langweilig. Vermeintlich langweilige Leute werden vermeintlich noch langweiliger, wenn sie zu zweit erscheinen.

Ein mäßiger Redner konkurriert mit einer mäßigen Rednerin. Eine Frau, die die große Koalition am liebsten weiterführen möchte, steht neben einem Mann, der sich das auch gut vorstellen kann. Die politische Dissimulation von Union und SPD funktioniert daher diesmal besonders schlecht. Die beiden Spitzenkandidaten sind der vielleicht zufällige, aber ehrliche Ausdruck einer jahrelangen Assimilation der beiden vormals Großparteien; nur noch zusammen sind sie wirklich groß. Und sie haben beide keine großen Konzeptionen oder können diese, wie Steinmeier sein eindrucksvolles Konzept der Ökologisierung der Wirtschaft, nicht eindrucksvoll darstellen.

Keiner von beiden, weder Merkel noch Steinmeier, ist der Typus des Politikers, der so tut, als sei es seine große Gabe, Knoten zu durchhauen. Die öffentliche Lust auf eine alexandrinische, knotenzerhauende Politik ist eine undemokratische Lust. Ein Demokrat haut nicht schnell zu, sondern nestelt herum; er lässt nicht die Fetzen fliegen, sondern versucht, die Knoten zu lösen. Insofern ist der angeblich langweilige Wahlkampf ein ehrlicher Wahlkampf: Er gaukelt nicht etwas vor, was nicht funktioniert. Aber dem Wahlkampf fehlt die Leidenschaft der echten Knotenkünstler.

Wer allzusehr über Langeweile klagt, muss sich fragen, ob er nicht in Wahrheit auf unterhaltsam-betrügerische Weise genasführt und belogen werden will. Die Langeweile des Wahlkampfs der vergangenen Wochen war in Wahrheit Spiegelbild der realen Politik. So ist sie, ist sie jedenfalls immer wieder; und weil die Leute es sich aufregender wünschen, machen sie derzeit die kleineren Parteien groß.

Die Zeit der vermeintlichen Langeweile hat dem Wähler Zeit und Muße gegeben, darüber nachzudenken, was er mittelfristig wirklich will: die informelle Wiedervereinigung der Sozialdemokratie in einer Rot-Rot-Grün-Koalition oder die alte, für manche altbackene schwarz-gelbe Koalition? Nach den drei Landtagswahlen vom kommenden Sonntag wird diese Frage dem restlichen Wahlkampf die bisher vermisste Würze geben.

© SZ vom 26.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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