Linke:Türen öffnen

Susanne Hennig-Wellsow 2021-06-07 Deutschland, Berlin - Vor der Bundespressekonferenz stellt sich die Partei Die Linke

Geballte Kompromisskompetenz: Linken-Bundeschefin Susanne Hennig-Wellsow will das Bundestagsdirektmandat in Erfurt und Weimar gewinnen.

(Foto: Jürgen Heinrich/imago images)

Die Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow will das Direktmandat in ihrer Heimatstadt Erfurt erringen - und ganz nebenbei die Partei versöhnen. Szenen aus dem Hochhaus-Wahlkampf.

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Als Juri Gagarin 1963 die Stadt Erfurt besuchte, jubelten die Menschen ihm zu, einige fielen dem sowjetischen Raumfahrpionier sogar um den Hals, echte Gesten der Bewunderung am Rande der staatlichen Choreografie. Susanne Hennig-Wellsow (Linke) war damals noch nicht geboren, aber ihre Urgroßmutter hat in einem der Hochhäuser gewohnt, die heute nach dem ersten Mann im All benannt sind. Der Juri-Gagarin-Ring, eine Magistrale nach sozialistischem Vorbild, ist mit engen Fluren und vielen Briefkästen wie geschaffen für den bürgernahen Wahlkampf. "Tausend-Türen-Tag-Thüringen" - kurz: TaTüTaThü - nennt die Linke ihre Aktion. Möglichst viele Bewohner wollen sie an diesem Samstagvormittag antreffen, von der Briefwahl überzeugen und natürlich von der Direktkandidatin im Wahlkreis 193.

Groß vorstellen muss man sie nicht: Susanne Hennig-Wellsow ist die Frau, die Thomas Kemmerich (FDP) einen Blumenstrauß vor die Füße warf, nachdem dieser sich mit Hilfe der AfD zum Kurzzeitministerpräsidenten hatte wählen lassen. Als Landes- und Fraktionschefin der Thüringer Linken hat sie sich den Ruf einer leidenschaftlichen Pragmatikerin erarbeitet. Als es 2014 in Erfurt darum ging, eine Regierungskoalition zu schmieden, sorgte sie dafür, dass sich die DDR-Nostalgiker in ihrer Partei mit dem Begriff "Unrechtsstaat" arrangierten. In den langen Nächten nach der Kemmerich-Wahl handelte sie den sogenannten "Stabilitätspakt" zwischen rot-rot-grüner Minderheitsregierung und der CDU mit aus. Im Februar wurde die ehemalige Eisschnellläuferin an die Doppelspitze der Bundespartei gewählt, und für eine Weile lief es nicht mehr ganz so glatt.

Erst wusste sie im Interview mit dem Videojournalisten Tilo Jung nicht, an wie vielen Auslandseinsätzen die Bundeswehr beteiligt ist. Dann musste sie sich von Markus Lanz das Steuerkonzept der eigenen Partei erklären lassen. Inzwischen fühle sie sich angekommen in der neuen Rolle, sagt Hennig-Wellsow, höre wieder mehr auf ihren Bauch. Die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl schlug sie mit der Begründung aus, sich ganz auf den Gewinn des Direktmandats konzentrieren zu wollen, in der Vergangenheit ging das verlässlich an die CDU.

"Ihr kommt hier nicht durch", sagt der Gandalf von Erfurt-Mitte

Aber dafür müssen Hennig-Wellsow und ihr Team erst mal am Mann mit dem Gipsbein vorbei. Auf Krücken steht er vor dem Eingang, brummt: "Ihr kommt hier nicht durch". Der Gandalf von Erfurt-Mitte. Erst als eine Genossin aus dem dritten Stock den Türsummer drückt, weicht er. Sie fahren mit dem Fahrstuhl ganz nach oben. "Da hinten kann man den Glockenturm von Buchenwald sehen", sagt Hennig-Wellsow beim Blick aus dem Flurfenster.

Einfach mal die Aussicht genießen, in diesem Thüringen ist das gar nicht so leicht. Die Neuwahl des Landtages ist abgeblasen, das Zweckbündnis zwischen den Fraktionen Geschichte. "Jetzt läuft wieder alles darauf hinaus, dass CDU und FDP sich bei wichtigen Vorhaben rausärscheln", sagt Hennig-Wellsow. So ganz lässt die Landespolitik sie noch nicht los.

Im neunten Stock ist niemand zu Hause, im achten auch nicht. Wenn jemand öffnet, dann oft nur einen Spalt, breit genug immerhin, um das Wahlprogramm hindurchzuschieben. Eine ältere Dame bekennt, sie wähle schon seit Jahren links. "Auch wenn mir nicht alles gefällt." Hennig-Wellsow nickt, es geht ihr ja ähnlich.

Linke: TaTüTaThü: Susanne Hennig-Wellsow beim Haustürwahlkampf in ihrer Heimatstadt.

TaTüTaThü: Susanne Hennig-Wellsow beim Haustürwahlkampf in ihrer Heimatstadt.

(Foto: Ulrike Nimz)

Bei den Landtagswahlen lief es zuletzt nicht optimal für die Partei, selbst im Osten büßte sie ein. Den Status der "Kümmerer-Partei" hat die Linke mancherorts an die AfD verloren. Wochen vor der Bundestagswahl ist die Fünf-Prozent-Hürde gefährlich nah. Hinzu kommen interne Querelen. Das Parteiausschlussverfahren gegen Sahra Wagenknecht hat Hennig-Wellsow stets kritisiert, obwohl sie nachweislich andere Positionen vertritt als die Spitzenkandidatin aus Nordrhein-Westfalen, vor allem in der Flüchtlingspolitik. Politische Differenzen müsse man in der Diskussion lösen, sagt die Vorsitzende.

Susanne Hennig-Wellsow will die Regierungsbeteiligung im Bund, arbeitet für Grün-Rot-Rot. Kürzlich ist sie ins Saarland gefahren, um mit Oskar Lafontaine zu sprechen, Wagenknechts Ehemann und einst auch Linken-Chef. Über Details des vierstündigen Gesprächs sei Stillschweigen vereinbart worden, aber wenn am kommenden Mittwoch alle gemeinsam auf der Wahlkampfbühne in Weimar stehen, dann ist das zuallererst ein Beweis von Thüringer Kompromisskompetenz. "Es ist an der Zeit, dass wir uns aushalten, auch in der eigenen Partei, auch wenn die Positionen unterschiedlich sind", sagt Hennig-Wellsow. "Mein Ziel ist eine gesellschaftliche Mehrheit, und die erreichen wir sicher nicht durch Lagerbildung."

Nach zwei Stunden am Juri-Gagarin-Ring ist ihr niemand um den Hals gefallen, aber es sind dann doch noch einige Türen aufgegangen. Im Aufgang C nutzt ein Yorkshire Terrier namens Spikey die Chance zur Flucht, Hennig-Wellsow trägt ihn zurück über die Schwelle. Durch den Spalt dringt ein: "Danke, tschüss."

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