Seit Jahren treibt die Politik die Frage um, wie man den viel zu groß gewordenen Bundestag wieder auf Normalmaß zurechtstutzen könnte. Im aktuellen Bundestag sitzen 736 Abgeordnete - weit mehr als die ursprünglich vorgesehenen 598 Mitglieder und damit mehr als je zuvor. Die Zahl der Parlamentarier ist durch Überhang- und Ausgleichsmandate gestiegen. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Wie aber kriegt man eine Verkleinerung des Gremiums hin, ohne eine oder gar mehrere Parteien zu benachteiligen?
Die Ampelkoalition in Berlin hat sich nun auf eine Reform des Wahlrechts verständigt: Im Wesentlichen schreibt der Gesetzentwurf die Zahl der Abgeordneten auf 630 fest, Überhang- und Ausgleichsmandate sollen ganz abgeschafft werden. Außerdem soll die sogenannte Grundmandatsklausel entfallen. Sie sorgt bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmen-Ergebnisses in den Bundestag einziehen, wenn sie unter fünf Prozent liegen, aber mindestens drei Direktmandate gewinnen. Das träfe vor allem die CSU und die Linke.
Exklusiv Wahlrechtsreform:Plötzlich 33 Bundestagsabgeordnete weniger aus Bayern
Eine Beispielrechnung zeigt, welche besonderen Folgen das von der Ampelkoalition beschlossene Wahlrecht für den Freistaat haben kann.
Dieser Plan provozierte harte Kritik der Oppositionsparteien, in den Reihen der CSU gab es geradezu wütende Proteste, von einem "Anschlag auf die Demokratie" war die Rede. Doch mittlerweile gehen auch Landesverbände der Grünen auf Distanz zu der Reform. So sagte Tarek Al-Wazir, stellvertretender Ministerpräsident in Hessen, der Süddeutschen Zeitung, es sei zwar richtig und überfällig, dass die Ampel die Reform des Wahlrechts beschlossen habe, um den "Bläh-Bundestag" zu verkleinern. Das sei jahrelang an der CSU gescheitert, die immer nur an sich gedacht habe.
Aber: "Leider ist durch die kurzfristige Abschaffung der Grundmandatsklausel der falsche Eindruck entstanden, dass die Ampel insbesondere CSU und Linke schwächen will. Ich halte es daher für sinnvoll auszuloten, ob es die Möglichkeit gibt, genau in dieser Frage den Gesetzentwurf noch einmal anzupacken." Bedingung dafür müsse aber sein, dass die Reform insgesamt "nicht ausgehebelt werden darf", so Al-Wazir weiter. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vertritt nach einem Bericht von Zeit Online die Ansicht, man dürfe "mit dem Wahlrecht keine Politik machen".
Streitpunkt der Grünen: Grundmandatsklausel
Wie Zeit Online weiter schreibt, sehen inzwischen nicht nur hohe Grünenpolitiker aus den Ländern, sondern auch viele Bundesgrüne die Reform kritisch. Sie sind vor allem gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel. Damit habe sich die Ampel "politisch angreifbar" und der CSU ein Geschenk gemacht. Sie könnte im Wahlkampf argumentieren, die Ampel wolle ihre Wählerstimmen "ausradieren". Nun suchen die Grünen einen Ausweg aus dem Reform-Schlamassel.
Da das Gesetz noch im Bundesrat behandelt werden muss, gebe es die Möglichkeit, dort Einspruch gegen die Reform zu erheben und das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zu verweisen. Doch dabei stellt sich die juristische Frage, wie man das Verfahren auf die Streichung der Grundmandatsklausel beschränken könnte. Sonst würde im Raum stehen, das komplette Reformpaket wieder aufzuschnüren oder gar ganz zurückzunehmen.
Eine weitere Frage ist, ob es den Reformkritikern gelingt, im Bundesrat eine Mehrheit für den Einspruch hinzubekommen. Die Länder, in denen die Grünen mit der Union regieren und Bayern kommen zusammen auf 27 Stimmen, für eine Mehrheit sind aber 35 Stimmen nötig. Deshalb müssten sich auch Länder beteiligen, in den die SPD mitregiert. Zeit Online will erfahren haben, dass Thüringen bereit wäre, sich der Sache anzuschließen. Die nächste Sitzung des Bundesrats findet am 12. Mai statt.
Von grünen Landesvertretern gibt es bislang keine Stellungnahme zum Plan der Reform der Reform. Trotzdem ist eines sicher: Das letzte Wort ist hier noch lange nicht gesprochen.