Bundestag stimmt für drittes Kreditpaket:Friedensangebot an die Abweichler

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Die Abstimmung im Bundestag. (Foto: AP)
  • Der Bundestag billigt mit 454:113 Stimmen das dritte Griechenland-Kreditpaket - 18 Parlamentarier enthalten sich, 46 sind nicht da.
  • In der Union stimmen 63 Abgeordnete mit Nein, drei enthalten sich.
  • CDU/CSU-Fraktionschef Kauder lässt Verständnis für die Abweichler in den eigenen Reihen erkennen.
  • Erstaunlich ist, wie wenig die Union von der Opposition angegriffen wird.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Volker Kauder, der Chef der Unionsfraktion, dürfte unter gehörigem Druck stehen, als er an diesem Mittwoch an das Redner-Pult im Plenum des Bundestages tritt. Es ist die zweite Griechenland-Sondersitzung in dieser Sommerpause. Die erste hat ihm viel Ungemach bereitet. 60 Abgeordnete aus seinen Reihen stimmten im Juli mit Nein. Fünf weitere enthielten sich.

So viel Uneinigkeit hatte noch kein Unions-Fraktionsvorsitzender vor ihm zu verantworten. Und dann trat er auch noch nach, als er in einem Interview mit der Welt am Sonntag den Abweichlern drohte, diese hätten in den wichtigen Ausschüssen für Haushalt und Europa nichts zu suchen, wenn sie dort nicht die Meinung der Fraktionsmehrheit stützen würden.

46 Abgeordnete sind gar nicht erst anwesend

Der Kampf um die 60 Abweichler war damit praktisch verloren. Im Juli debattierten sie in der Fraktionssitzung der Union noch fünf Stunden. Die Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag dauerte nur noch eine Stunde. An diesem Mittwoch konnte es nur noch um Schadenbegrenzung gehen. Nur nicht noch mehr Gegenstimmen einfangen.

Ein Plan, der nicht aufgeht. Diesmal stimmen 63 Unions-Abgeordnete mit Nein, drei mehr als im Juli. Statt die Nein-Sager einzufangen hat Kauder sie noch mehr auf die Palme gebrcht. Da hilft es auch nicht, dass das Paket wie erwartet mit großer Mehrheit durchgeht: Von 585 anwesenden Abgeordneten stimmen 454 mit Ja, 113 mit Nein, 18 enthalten sich. 46 Parlamentarier sind nicht gekommen.

"Welche Konsequenzen hat eine Entscheidung?"

Kauder hatte es diesmal mit dem Samthandschuh versucht, ließ "Verständnis" dafür erkennen, wenn im Juli "einer gesagt hat, dies kann gar nicht zu einem guten Ergebnis führen". Aber jetzt, nach den entscheidenden Verhandlungen, sei doch erkennbar, der Versuch sei richtig gewesen. "Natürlich bleiben auch Fragen", sagt er. Aber jetzt gelte es abzuwägen, "welche Konsequenzen hat eine Entscheidung?"

Kauder meint diesmal sicher nicht die Konsequenzen eines Neins für den einzelnen Abgeordneten. Sondern eher die Frage, was wäre, wenn alle das Paket ablehnen würden. Es ist nur der letzte, eher halbherzige Versuch, die Nein-Sager auf Linie zu bringen.

Kauder redet ihnen ins Gewissen, es sich doch noch einmal zu überlegen. "Es gilt auch, dass wir nicht im luftleeren Raum entscheiden." Deutschland steht in Europa nicht alleine. Das dürfte auch den Abweichlern als Argument nicht neu sein. Merkel bricht der Rückhalt in der Fraktion für ihre Griechenland-Politik nachhaltig weg. Kauder hat es noch schlimmer gemacht. Das wird er beizeiten noch zu spüren bekommen.

Erstaunlich ist allerdings, wie wenig die Union im Parlament dafür angegriffen wird. Christian Kindler von der Grünen erklärt noch: In der Unions-Fraktion "brennt die Hütte". Sein Fraktionschef Anton Hofreiter greift lieber die Abweichler selbst an, deren Nein er für unverantwortlich hält. An Merkel stört ihn nur ganz grundsätzlich, dass die eine harte Haltung gegenüber Griechenland gefordert habe. Sich selbst aber erst dann positioniere, wenn sie sich vorher mithilfe von Umfragen abgesichert habe. Ob ihr das nicht selbst "peinlich" sei, fragt Hofreiter. Merkel antwortet nicht, sie spricht an diesem Tag gar nicht selbst in der Debatte.

Die Zurückhaltung gegenüber der Union hat auch etwas damit zu tun, dass es in allen Fraktionen so etwas wie Abweichler gibt. In der Linken stimmen längst nicht alle mit Nein gegen das Paket. Es gibt auch Enthaltungen, was schon eine Art revolutionäre Haltung ist. Die Grünen stimmen zwar mehrheitlich mit Ja. Aber es gibt auch dort etliche, die sich enthalten oder dagegen stimmen. Nur die SPD wird nahezu geschlossen mit Ja stimmen. Kann aber die Union kaum für ihre Uneinigkeit angreifen, will sie nicht den fragilen Koalitionsfrieden gefährden.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann arbeitet sich da lieber an Gysi ab: "Wenn Sie heute mit Nein stimmen, dann fallen Sie damit ihrer Schwesterpartei Syriza in den Rücken", erklärt er. "Sie sind ein Meister der politischen Rabulistik." Und: "Ihnen ist kein politischer Eiertanz zu schade, um am Ende mit Nein zu stimmen. Sie unterstützen die linksradikale Opposition gegen Tsipras." Bäm.

Wer aber in dieser Debatte etwas gegen die Nein-Sager vorbringt, der meint damit auch immer Teile der eigenen Fraktion - oder im Fall Oppermann der eigenen Koalition. Finanzminister Wolfgang Schäuble lässt sich auf das Spiel gar nicht erst ein. "Es gibt beachtliche Gründe für und beachtliche Gründe gegen" weitere Kredite, sagt er. Ein Einstieg, der als Friedensangebot an die Abweichler in den eigenen Reihen verstanden werden darf. Ansonsten hat er lediglich für die Regierung das dritte Kreditpaket für Griechenland zu erklären.

Schäuble analysiert Griechenland vor der Krise. Kurz zusammengefasst: Es war schlimm. Dann aber war Griechenland auf einem guten Weg, dank der Politik der Bundesregierung, sagt Schäuble. Aber die "Anpassungsleistungen" der Bevölkerung hätten es schwer gemacht, für den Kurs noch Mehrheiten zu finden. Tsipras habe falsche Versprechungen gemacht. Und jetzt müsse der "das Gegenteil von dem machen, was er versprochen hat." Natürlich gebe es nach den zurückliegenden Monaten und Jahren "keine Garantie, dass das alles funktionieren wird, und Zweifel sind immer erlaubt", sagt Schäuble. "Aber angesichts der Tatsache, dass das griechische Parlament einen Großteil der Maßnahmen bereits beschlossen hat, wäre es unverantwortlich, die Chancen für einen neuen Anfang in Griechenland jetzt nicht zu nutzen."

86 Milliarden Euro neuer Kredite soll Griechenland in den kommenden drei Jahren bekommen. Weil in diesem Jahr der Finanzbedarf besonders hoch ist, wird eine erste Auszahlung von 26 Milliarden Euro schwer sein. Deutschland haftet mit 27 Prozent. Muss sich aber von allen Euro-Ländern am wenigsten Sorgen um das Geld machen. Deutschland hat bisher nach verschiedenen Rechnungen wegen der Griechenland-Krise schon bis zu 100 Milliarden gespart. Vor allem wegen der niedrigen Zinsen.

Ein Argument, das allerdings in der ganzen Debatte nur vom Linken-Fraktionschef Gregor Gysi vorgebacht wird. Zu Beginn seiner Rede lässt Gysi jedoch nur wenig Interesse an der Griechenland-Debatte erkennen. Er nutzt die Chance lieber, die Regierung für die Affäre um Netzpolitik.org anzugreifen. Dann sagt er noch was zur Türkei und ihrem Kampf gegen die PKK und zur Flüchtlingsproblematik. "Ich weiß, Sie meinen, das gehört nicht zum Thema. Aber die Leute interessiert es. Und darauf kommt es an", kontert Gysi ein paar Thema-verfehlt-Vorwürfe aus dem Plenum.

Kauder macht den Gysi

Später wird dann auch Kauder den Gysi machen. Mehrfach macht der klar, nach der Griechenland-Frage ist vor der Flüchtlingsfrage. Ob das ein Angebot an die Nein-Sager in den eigenen Reihen ist, sich in der Flüchtlingsfrage wieder klar für ein konservatives Profil einzusetzen? Selbst wenn, dürfte es die Abweichler kaum überzeugen.

Klaus-Peter Willsch etwa, ewiger Abweichler in Sachen Griechenland. Er durfte an diesem Mittwoch für die Nein-Sager im Parlament reden. Willsch zitiert erst griechische Regierungspolitiker, die Teile des Rettungspaketes schon wieder in Frage stellen, bevor es überhaupt überall verabschiedet ist. Und positioniert sich wieder für den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro: "Wenn man mehrfach gegen die Wand gelaufen ist, sollte man mal gucken, ob es nicht irgendwo eine Tür gibt. Und die Tür heißt Grexit." Dabei wird Willsch bleiben. Drohen kann Kauder ihm ohnehin nicht mehr. Er ist von Kauder schon nach der Bundestagwahl 2013 aus dem Haushaltsausschuss des Bundestages herauskomplimentiert worden.

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