Regierungsbefragung im Bundestag:"Enteignung ist der glatt falsche Weg"

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Angela Merkel während der Befragung im Bundestag (Foto: REUTERS)
  • In der Regierungsbefragung im Bundestag wirbt Kanzlerin Merkel für einen Brexit-Aufschub. Großbritannien solle "ein vernünftiges Maß an Zeit" bekommen.
  • Beim Thema Waffenexporte solle Deutschland ein verlässlicher Teil der europäischen Rüstungspolitik sein. Es werde versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden.
  • Merkel räumt ein, dass mehr Wohnraum benötigt werde. Enteignungen hält sie aber für falsch.

Zum dritten Mal absolviert Angela Merkel die Regierungsbefragung im Bundestag. Wie erwartet, war der Brexit eines der ersten Themen, die zur Sprache kamen. Schließlich hatte Merkel sich in Berlin am Dienstag eineinhalb Stunden lang mit der britischen Regierungschefin Theresa May beraten. Merkel hatte danach in einer Sitzung der Unionsfraktion nach Angaben von Teilnehmern deutlich gemacht, dass sie eine Verschiebung des Austritts Großbritanniens aus der EU bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich hält.

Im Bundestag spricht sich Merkel am Mittwoch deutlich dafür aus, zu verhindern, dass es zu einem ungeordneten Austritt Großbritanniens kommt - wofür nur noch 59 Stunden Zeit wären. "Wir sollten Großbritannien ein vernünftiges Maß an Zeit geben", sagt sie. Premierministerin May habe die feste Absicht geäußert, einen Ausweg zu finden. Es sei um eine Verschiebung des Austrittsdatums bis zum 30. Juni gebeten worden. Auf Nachfrage erklärt Merkel, eine Verlängerung der Zeit bis zum Austritt solle so kurz wie möglich sein, aber mit möglichst viel Ruhe ablaufen. Der Austritt sollte dann schließlich so schnell wie möglich stattfinden, mit einer Übergangsphase von zwei Jahren. Am Mittwochabend entscheidet der EU-Sondergipfel in Brüssel über die mögliche Brexit-Verschiebung.

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Aus der CDU/CSU-Fraktion kommt die Frage zur weiteren Mitwirkung der Briten an "Pesco", der "Ständigen Strukturieren Zusammenarbeit" der EU-Mitglieder zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Merkel zufolge wird diese Frage im Rahmen der Verhandlungen mit den Briten besprochen. Die Frage zum Umgang mit einem "Drittstaat" stelle sich auch bei Norwegen.

Tobias Peterka von der AfD spricht das Thema Urheberrechtsreform der EU an, das ihm zufolge zur Einrichtung von Upload-Filtern führen würde. Ob Merkel dafür sorgen würde, dass die Richtlinie mit einer Enthaltung Deutschlands noch gestoppt würde, will Peterka wissen. Im entsprechenden Artikel 17, so Merkel, käme das Wort Upload-Filter gar nicht vor. "Wir sehen keine Gefahr, dass Inhalte unterdrückt werden." Derzeit würden Inhalte von Kreativen ohne Bepreisung verwendet - das wäre nicht im Sinne der Kreativwirtschaft und des geistigen Eigentums. Die Reform sei ein vertretbarer Kompromiss, durch den die großen Online-Plattformen für die Inhalte in die Verantwortung genommen würden, die sie weitertransportierten.

"Desaströse Bilanz" in der Klimapolitik

Oliver Krischer von den Grünen nutzt die Gelegenheit, Merkel persönlich eine "desaströse Bilanz" in der Klimapolitik vorzuwerfen. In den vergangenen zehn Jahren seien die Emissionen praktisch nicht reduziert worden, im Verkehrssektor seien sie sogar gestiegen. Die Kanzlerin dagegen sieht Einsparungen beim Kohlendioxid. Man könne nicht sagen, dass nichts geschehen sei, sagt Merkel, und verweist auf den Zertifikatehandel im Industriebereich und das Ergebnis der Kohlekommission. Besonders begrüßt sie, dass sich hier die Umweltverbände eingebracht hätten.

Caren Lay von den Linken wirft Merkel vor, sie habe während ihrer Amtszeit tatenlos zugesehen, wie in fast allen deutschen Städten die Mieten explodiert seien. Merkel habe hier eine "tickende Zeitbombe" ignoriert. Und nun wäre von ihr nichts zu hören, als dass sie das Volksbegehren zu Enteignungen in Berlin ablehne.

Das bestätigt Merkel. Sie verweist auf frühere Maßnahmen wie die Mietpreisbremse und das Baukindergeld, aber auch darauf, was in der Koalitionsvereinbarung steht. So sollen etwa der soziale Wohnungsbau unterstützt und Abschreibungsmöglichkeiten für den Neubau vorangebracht werden. "Wir brauchen mehr Wohnraum", räumt Merkel ein, "es müssen mehr Wohnungen entstehen" und Praktiken wie Mietwucher müssten bekämpft werden. Enteignungen aber "halten wir für den glatt falschen Weg", betont Merkel.

Sevim Dağdelen (Die Linke) kritisiert die Regierung für Waffenexporte an Länder, die im Jemen Krieg führen. "Warum stoppen Sie nicht die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, obwohl Sie wissen, dass Tornados und Euro-Fighter im Jemen eingesetzt werden?" Dass die Kanzlerin über entsprechende Nachrichten nicht glücklich ist, ist klar. Sie weist darauf hin, dass Deutschland selbst zurzeit keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zulässt. Auch beteilige sich Deutschland intensiv an den Versuchen, den Konflikt im Jemen zu lösen. Allerdings müsse man ein verlässlicher Teil der europäischen Rüstungspolitik bleiben und sei nun mal an Gemeinschaftsprojekten mit Frankreich und Großbritannien beteiligt. "Das ist Europa", so Merkel, "dass wir versuchen, gute gemeinsame Lösungen zu finden".

Merkel spricht sich einmal mehr gegen eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung aus - über die Ausgestaltung der Bedürftigkeitsprüfung ließe sich aber reden. SPD-Sozialminister Hubertus Heil plant für die Grundrente bislang, dass jene, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, mehr Rente bekommen als die, der nie gearbeitet haben. Teilzeitarbeit sowie Kindererziehungs- und Pflegezeiten sollen mitzählen.

Eine Öffnungsklauseln für die Länder bei der künftigen Grundsteuer schließt Merkel nicht aus - und äußerst Sympathie für entsprechende Vorstellungen in der Unionsfraktion. Auf jeden Fall werde man darüber mit SPD-Finanzminister Olaf Scholz reden. Der will die Steuer bundesweit einheitlich regeln. Aber auch bei Unions-Ministerpräsidenten stößt er dabei auf Widerstand.

Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass Merkel dreimal jährlich im Parlament persönlich befragt werden kann. Nach einer Entscheidung des Bundestags vom vergangenen Februar soll dies künftig immer unmittelbar vor Ostern, vor der Sommerpause und vor Weihnachten sein. Vorbild ist das britische Unterhaus mit den lebendigen Debatten mit der Regierungschefin.

© SZ.de/dpa/fued/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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