Bundestag: Erste Sitzung:Präsident Lammert geißelt die Methode Guttenberg

Lesezeit: 2 min

Kurios, kritisch und eine Klatsche fürs Fernsehen: Die Konstituierung des neuen Bundestages bot viele Überraschungen. Der wiedergewählte Präsident Lammert rechnete mit Ministern ab. Alterspräsident Riesenhuber lobte die Fische im Main.

Thorsten Denkler, Berlin

Alle klatschen, aber einer rührt keine Hand. Seine Gesichtszüge sind eingefroren. Karl-Theodor zu Guttenberg, Jungstar der CSU, gewesener Wirtschaftsminister und kommender Verteidigungsminister, hat soeben in der konstituierenden Sitzung des Bundestages einen öffentlichen Rüffel bekommen. Das ist selten unter angesehenen Gesinnungsfreunden.

Kanzlerin Merkel gratuliert dem neu gewählten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. (Foto: Foto: AP)

Norbert Lammert (CDU), just mit 522 von 617 Stimmen wiedergewählter Bundestagspräsident, tut es an diesem Dienstag. Er hält seine Antrittsrede. Eine, die es in sich hat.

Der Satz, der Guttenberg für einen Moment so fassungslos erscheinen lässt, geht so: "Weder ist die Regierung Gesetzgeber noch das Parlament Gesetznehmer", sagt er. Und der entstandene Eindruck, "diese zentrale staatliche Aufgabe werde immer häufiger und möglicht unauffällig an Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen und Gutachter abgetreten oder ausgelagert, stärkt die Autorität der Verfassungsorgane nicht".

Im Video: Der CDU-Politiker Norbert Lammert wurde vom neuen Bundestag in seinem Amt mit 522 Stimmen wiedergewählt. Weitere Videos finden Sie hier

Der Satz ist lang. Aber er wirkt wie ein Donner. Guttenberg war vor der Wahl in die Kritik geraten, weil er eben dies getan hat - er hat ein Bankengesetz von einer Anwaltskanzlei ausarbeiten lassen.

Lammerts Rede ist eine Generalabrechnung mit den Zumutungen, Seltsamkeiten und Ausuferungen des parlamentarischen Betriebs. Er geißelt die Überheblichkeiten mancher Politiker: Er wolle in Erinnerung rufen, dass "wir gewählt sind, nicht gesalbt". Die Wähler wüssten, so Lammert, "besser als wir, dass wir nicht über Wasser gehen können".

Sein Fazit: "Wir sind nicht das Volk, sondern die Volkvertreter."

Den Umgang der Regierung mit dem Parlament nannte der Präsident zuweilen "ärgerlich". Nicht die Regierung "hält sich ein Parlament, sondern das Parlament kontrolliert die Regierung". An den Gesichtern mancher bleibender und scheidender Minister ist deutlich abzulesen, ob sie sich angesprochen fühlen.

Lammert rüffelt auch die Medien, vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Mit bissiger Ironie trägt er vor, was in ARD und ZDF gerade läuft, während sich der Bundestag konstituiert. Die Komödie "Schaumküsse", "Bianca - Wege zum Glück" und "Alisia - Folge deinem Herzen". Dann holt er aus: "Mir fehlt jedes Verständnis, dass das gebührenfinanzierte Fernsehen mit seinen üppigen Privilegien mit sturer Souveränität der Unterhaltung den Vorzug vor der Information einräumt."

Bundestagspräsident und Alterspräsident: Lammert und Riesenhuber während der konstituierenden Sitzung des Parlamentes (Foto: Foto: AP)

Schon dafür hätte es sich gelohnt, wenn wenigstens einer der beiden Sender diese Bundestagssitzung übertragen hätte.

Lammert bietet den nötigen Kontrast zur Eröffnungsrede, die der Alterspräsident Heinz Riesenhuber (CDU) hingelegt hat. Ziemlich genau auf der Grenze von lustig zu peinlich verortete die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast später diesen verunglückten Versuch, der neuen Legislaturperiode einen würdigen Anfang zu geben.

Hier ein kleines Best-of-Riesenhuber: Der ehemalige Bundesforschungsminister, das ist der mit den bunten Fliegen an Stelle der üblichen Krawatten, kommt auf die fehlende menschliche Wärme in der Gesellschaft zu sprechen.

Der Veteran aus der Helmut-Kohl-Ära fragt, die Hände wie Krallen gen Himmel gestreckt: "Wann haben Sie zuletzt Ihren Abgeordneten geknuddelt?"

Ein Fall für Raab

An anderer Stelle lässt er sich über den sauberer werdenden Main aus, dessen Fischbestand sich erholt habe. Sein Anglerverein sage, die Fische vermehrten sich, darum seien sie glücklich. "Ihr Geschmack wird noch Gegenstand von Diskussionen sein. Aber das ist vom Standpunkt der Fische sekundär."

Zum Problem der ins Stocken geratenen Vermehrung der Bundesbürger sagte Riesenhuber, das Problem sollten "wir hier und jetzt angehen". Manche Abgeordnete fragten sich nachher, in welcher Reihenfolge sie jetzt knuddeln und Kinder zeugen sollen. Einer wollte da zur Sicherheit erst mal seine Frau fragen.

Volker Beck von den Grünen twitterte unterdessen: "Die Riesenhuber-Rede ist was für Youtube und Stefan Raab." Der Kultfaktor der Rede ist jedenfalls nicht zu unterschätzen.

Vielleicht sollten ARD und ZDF sie nachträglich zeigen.

© sueddeutsche.de/odg/jja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: