Bundespräsident Köhler:Der Wegzauberer

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Horst Köhler macht sich unsichtbar: Wenn der Bundespräsident noch länger zu Neuverschuldung, Sponsoring-Affären und Hartz-IV-Debatte schweigt, stellt er sein Amt in Frage.

Heribert Prantl

Bundespräsident Horst Köhler ist ein Zauberer: In seiner ersten Amtszeit gelang es ihm, viele Bürger zu verzaubern. Mit natürlichen Fähigkeiten war das nicht immer zu erklären; aber genau darin besteht ja das Wesen des Zauberns.

In seiner zweiten Amtszeit gelingt es Köhler nun, sich selbst wegzuzaubern: Er wird unsichtbar. Er ist noch im Amt, aber man merkt es nicht. Er ist noch da, aber man sieht ihn nicht. Er redet noch, aber man hört ihn kaum mehr.

Man hört nur befremdliche Gerüchte über heftige Personalquerelen im Präsidialamt. Diese Querelen begleiten das Verschwinden des Präsidenten aus der Öffentlichkeit, so wie Rauch und Blitz die Tricks eines Zauberers zu begleiten pflegen.

Was ist passiert? Das Wirken des Präsidenten ist in eine ätherische Phase eingetreten. Es ist fast so, als löse sich das Bundespräsidialamt und mit ihm der Bundespräsident in Wohlgefallen auf.

Das Wort Wohlgefallen passt deswegen, weil die Absenz des Präsidenten bisher noch gar nicht so richtig bemerkt und öffentlich missbilligt worden ist. Sicherlich: Die SPD-Opposition hat, bei der von Westerwelle vom Zaun gebrochenen Hartz-IV-Debatte, ein klärendes Wort Köhlers angemahnt. Und soeben hat Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, wieder diverse Leit- und Machtworte gefordert.

Aber der höchste Mann im Staat muss nicht auf Bestellung reden. Zum amtsgerechten Verhalten gehört bisweilen auch rhetorische Disziplin - sich erstens nicht zu allem und jedem zu äußern, und zweitens den Zeitpunkt für eine möglichst kluge Rede sorgfältig zu wählen.

Ein nackter Präsident

Es wachsen allerdings die Zweifel daran, ob Köhlers Abstinenz solchen Überlegungen gehorcht. Womöglich ist sein Verschwinden aus der Öffentlichkeit eine Folge davon, dass immer mehr leitende Beamte aus dem Schloss Bellevue verschwinden und sich, des dort offenbar unzuträglichen Klimas wegen, eine andere Arbeit suchen.

Dies wäre eine Situation, wie es sie in der Bundesrepublik bisher nicht gegeben hat. Ein Präsident, der keinen funktionierenden Apparat mehr hat, ist ein nackter Präsident, der auf sich selbst angewiesen ist. Es könnte sein, dass demnächst, wenn Richard von Weizsäcker seinen 90. Geburtstag feiert, eine Sehnsucht wächst - die Sehnsucht nach einem Präsidenten von seiner Statur.

Auf einer zweiten Amtszeit ruht nicht automatisch Segen. Fünf Bundespräsidenten - Gustav Heinemann, Karl Carstens, Roman Herzog, Walter Scheel und Johannes Rau - haben es bei einer einzigen belassen. Theodor Heuss, Heinrich Lübke und Richard von Weizsäcker haben die zweite Amtszeit gewagt.

Bei Heuss und bei Weizsäcker waren es brillante Jahre, das Volk hätte diese volksköniglichen Präsidenten am liebsten noch für eine dritte Amtszeit gekürt. Bei Lübke freilich verdunkelt die zweite, auch von Krankheit gezeichnete Amtsperiode die erste. In welche Tradition man Köhler stellen wird, ist noch nicht gewiss.

Vom Fragezeichen zum Ausrufezeichen

Seine erste Amtszeit hatte mit einem Fragezeichen begonnen. Köhler war unbekannt, er war eine Erfindung von Angela Merkel und wurde in Guido Westerwelles Wohnzimmer gekürt, er galt als Vorbote einer schwarz-gelben Koalition. Es gelang Köhler schnell, aus dem Fragezeichen ein Rufzeichen zu machen; seine schüchtern-fröhliche Beharrlichkeit, sein linkisch-listiges Reden kamen an.

Er war ein Präsident wie eine Matroschka-Puppe, es steckten verschiedene Präsidenten in einem einzigen. Da gab es den außenpolitischen Köhler, der ein kleiner Revoluzzer war, wenn er über Afrika und Entwicklungshilfe sprach. Da gab es den innenpolitischen Köhler, der zunächst so redete, als wäre er der Chef eines Unternehmerverbandes, sich aber dann in einen Kritiker des Finanzkapitalismus verwandelte.

Und da gab es den Anti-Politiker Köhler, der die Klaviatur der Politikverdrossenheit gut bediente. Jeder konnte sich seinen Präsidenten aussuchen. Das wird nun schwierig werden. Wenn quasi gar kein Präsident mehr da ist, kann man sich keinen aussuchen.

Köhler führt zwar nach wie vor die Liste der populärsten Politiker an (auf die er gar nicht gehört, weil ein Staatsoberhaupt nun einmal nicht in eine Reihe mit Parteipolitikern zu stellen ist). Er ist beliebt - noch; vielleicht ist es derzeit sogar deswegen, weil er nichts sagt.

Autorität statt Pubertät

Einige Zeit lang mag das ein wohltuender Kontrast sein zu solchen Politikern, die immerzu reden und bei denen man den Eindruck hat, dass sie aus ihrer immerwährenden politischen Pubertät eine Weltanschauung machen. Gegen Pubertät Autorität zu setzen: auch das gehört zum höchsten Staatsamt.

Aber diese Autorität lässt sich auf Dauer nicht auf bloßes Schweigen gründen, zumal dann nicht, wenn man unbequemes Reden angekündigt und zu seinem Programm gemacht hat. Sponsoring-Affären, die Debatte um Hartz IV, die hohe Neuverschuldung, vor allem aber die ungeheuerliche Serie von sexuellem Missbrauch in Schulen und Internaten: es stellen sich gesellschaftliche und moralische Fundamentalfragen.

Wenn sich ein Präsident längere Zeit vor jeglicher Antwort drückt, stellt er sein Amt in Frage. Schon durch die Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich das Land so verändert, dass der alte Präsident ein neuer Präsident werden muss; bisher aber ist er nicht einmal der alte.

© SZ vom 17.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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