Außenminister Westerwelle:Guido im Glück

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Ein Jahr ist Guido Westerwelle nun Außenminister - und wurde, als erster deutscher Politiker, als Chefdiplomat nicht populärer, sondern immer unbeliebter. Inzwischen hat der FDP-Chef an Sicherheit gewonnen. Auf seinem Indien-Besuch wirkt es manchmal sogar, als habe er die Demut entdeckt.

Daniel Brössler, Delhi

Guido Westerwelle steht im Licht, und vermutlich ist dies einer der Abende, an denen er sich fragt, ob das wirklich sein muss. Gefasst blickt er in den runden Innenhof des Fakultätsgästehauses des Indian Institute of Technology (IIT) in Delhi, wo großzügig verteilte Stuhlreihen notdürftig den Umstand kaschieren, dass der in Aussicht gestellte Besucheransturm ausgeblieben ist. "Sie, die Studenten des IIT, repräsentieren das neue, kreative, wissensbasierte Indien", steht im Manuskript. Westerwelle ergänzt taktvoll: "Sie alle, insbesondere die Studenten..." Es sind genau genommen nicht viele Studenten gekommen. Nicht so viele jedenfalls, dass sie nicht verschwinden würden hinter den Honoratioren und emeritierten Professoren in den vorderen Reihen. Der erste Besuch des deutschen Außenministers in Indien ist auch eine Übung in Bescheidenheit. Während seiner Reise wird er des Öfteren daran erinnert, dass ein relativ großes Land in Europa eben auch nur relativ wichtig ist.

So sehen zufriedene Außenminister aus: Guido Westerwelle in Delhi mit einem geschenkten Schal. (Foto: dpa)

Unverdrossen kommt Westerwelle im runden Innenhof zu sprechen auf das Wachstum in Indien, wobei seine Ausführungen immer wieder übertönt werden vom Dröhnen der Verkehrsflugzeuge. Kurzfristig war, wie später zu erfahren ist, die Einflugschneise des Flughafens über das Institut verlegt worden. Der Minister trägt es mit Fassung und fordert seine Zuhörer auf, nicht nach oben zu schauen. "Die Jets sind nicht gefährlich. Die einzige Sache, die hier gefährlich ist, sind die Insekten", sagt er. In seinem Lichtkegel ist Westerwelle zum Anziehungspunkt einer beachtlichen Stechmücken-Population geworden, und er kann gar nicht anders als an die Berichte über den schweren Verlauf von Denguefieber-Infektionen zu denken, die er am Vorabend gehört hat. Tapfer, und nur selten mit der Hand fuchtelnd, preist Westerwelle die indische Demokratie, beschwört "die gemeinsamen Werte, die uns verbinden".

Westerwelle spricht häufig von der "größten Demokratie der Welt", und er versichert wiederholt, wie wichtig es ihm gewesen sei, sie in seinem ersten Amtsjahr zu besuchen. Auf die protokollarische Seite von Terminplanung hat Westerwelle von Anfang an Wert gelegt, und wenn es ein wichtiges Gespür gibt, das der FDP-Chef bereits mit ins Amt des Außenministers gebracht hat, dann das für diplomatische Empfindlichkeiten. Teile der politischen Elite Indiens reagieren in der Tat leicht beleidigt, wenn sie Indien nicht genug gewürdigt, es im Vergleich zum großen Konkurrenten China gar zurückgesetzt sehen.

Westerwelle hat seinen Vorsatz eingelöst, wenn auch knapp. In wenigen Tagen feiert er sein Einjähriges als Außenminister. Es ist ein Jahr, das so sonderbar verlaufen ist wie selten das erste eines Außenministers. Ein Jahr, in dem Westerwelle, der Chefdiplomat, von Westerwelle, dem FDP-Chef, ins Umfragetief gerissen wurde - was zum Novum führte, das ein bundesdeutscher Politiker im Amt des Außenministers nicht populärer, sondern immer unbeliebter wurde. Mit Bemerkungen wie jener von der "spätrömischen Dekadenz" hat Westerwelle diesen ungewöhnlichen Prozess beschleunigt und eine mitunter geradezu unbarmherzige Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Westerwelle in Indien
:Rüstung ja, Atomwaffen nein

Bei seinem Antrittsbesuch in Indien tut Außenminister Westerwelle das, wozu er gewählt wurde: deutsche Interessen vertreten. Die nuklearen Ambitionen Indiens sieht er daher nicht so gerne - aber er wirbt um Rüstungsaufträge für deutsche Firmen.

Als er im Frühjahr aufbrach nach Lateinamerika, fiel dieses grelle Licht auch auf seine Reisebegleitung, darunter seinen Lebenspartner Michael Mronz, wie auf die Tatsache, dass ihm zum besuchten Kontinent nicht wirklich viel einzufallen schien. Mehr als wohl jeder seiner Vorgänger musste Westerwelle von da an dem Eindruck entgegentreten, seiner Aufgabe nicht gewachsen zu sein. "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab", rief Westerwelle damals den Medien zu, und man konnte streiten, ob das klang wie eine Kampfansage oder das Pfeifen im Walde. Nun aber steht unter dem Himmel von Delhi ein Außenminister, den Zweifel nicht mehr erkennbar plagen. Er hält seine Rede in Englisch und verspricht sich dabei seltener als der unablässige Fluglärm und die Mückenangriffe verzeihlich erscheinen lassen. Nimmt man die Fähigkeit zum Maßstab, in einer nahezu unmöglichen Situation Haltung zu bewahren, ist Westerwelle angekommen im Amt. Er hat, nicht nur sprachlich, an Sicherheit gewonnen.

Westerwelle in Indien
:Rüstung ja, Atomwaffen nein

Bei seinem Antrittsbesuch in Indien tut Außenminister Westerwelle das, wozu er gewählt wurde: deutsche Interessen vertreten. Die nuklearen Ambitionen Indiens sieht er daher nicht so gerne - aber er wirbt um Rüstungsaufträge für deutsche Firmen.

Westerwelle kann Erfolge geltend machen, wie den für Deutschland gewonnenen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat. Und er glaubt Gefahren abgewendet zu sehen, wie die einer neuen Nato-Strategie, in der sich nichts wiederfände, was nach seiner abrüstungspolitischen Handschrift aussähe. Gemessen an der bedrückenden Lage seiner Partei, muss außenpolitisch wohl mittlerweile von einem Guido im Glück gesprochen werden. Westerwelle glaubt sich bewiesen zu haben. Die Folge ist fast so etwas wie Gelassenheit. In Delhi hat Westerwelle noch den Rat seines iranischen Kollegen Manutschehr Mottaki im Ohr. Drei Feinde habe der Außenminister, hatte der ihm auf Englisch anvertraut: "alcohol, cholesterol and protocol." Im alten Delhi geht Westerwelle entspannt und nicht eben zur Freude seiner Beschützer durch enge Gassen, und er lässt sich einen Sikh-Tempel zeigen, wo er sich ergeben seiner Schuhe und auch seiner Socken entledigt, um geschmückt mit dem obligaten orangefarbenen Kopftuch das Gebetshaus zu besichtigen. Da entsteht das Foto des Ministers, der sich kniend von einem alten Mann die Rituale erläutern lässt - und so mit Verspätung auch das Bild eines Westerwelle, der Interesse aufbringt für Land, Leute und Job. Zum Ende der Besichtigung steckt der Außenminister einem Tempelverantwortlichen einen Geldschein zu. Der Eintritt sei frei, bekommt er zu hören. Es handle sich um eine Spende, insistiert er. "Gut, dann schreibe ich Ihnen eine Quittung. Wie heißen Sie?", fragt der Sikh. "Mein Name ist Guido Westerwelle", antwortet der Außenminister heiter.

Deutschland bietet sich als Partner an, und Indien, immerhin eine Macht von 1,1Milliarden Menschen und einer rasch wachsenden Wirtschaft, nimmt davon eher nebenbei Notiz. Westerwelle schwärmt von "engster Kooperation" mit den Indern im UN-Sicherheitsrat und von der Reform, die man gemeinsam vorantreiben werde, und die sowohl Indien als auch Deutschland einen ständigen Sitz im Rat verschaffen soll. Während einer Pressekonferenz aber spricht eine Reporterin aus, was viele im indischen Establishment denken. Ob es für das indische Streben nicht starke, für den deutschen Wunsch angesichts der mit Briten und Franzosen ohnehin schon reichlich vertretenen Europäer nicht eher schwache Argumente gebe? Es gehe da nicht um stark oder schwach, weicht Westerwelle aus. "Wir wollen die UN in einer starken und mächtigen Position sehen", sagt er. Die Antwort, warum Deutschland dafür einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat braucht, bleibt er schuldig.

Ohnehin pflegt Westerwelle auf Reisen die schlechte Angewohnheit, seinen Zuhörern eher ihr eigenes als sein Land zu erklären. Er sagt Dinge von der Art, dass die Mittelklasse in Indien auf 260 Millionen angestiegen sei und eine "wachsende Mittelklasse ein Zeichen wachsender sozialer Gerechtigkeit in einem Land ist, weil die Mittelklasse eine Brücke bildet zwischen Reich und Arm." Was die Inder aber von Westerwelle wirklich wissen wollen, fragt besonders pointiert eine Journalistin: "Ihre Kanzlerin hat gesagt, dass der Multikulturalismus gescheitert ist. Ihre Meinung?"

Die Worte Angela Merkels haben eine Welle erzeugt, die bis Delhi schwappt. Nicht alles gehe, sagt Westerwelle zu Intellektuellen bei einem Gespräch im Gandhi-Haus. Das sei mit dem Nein zu "Multikulti" gemeint. "Wir erwarten von den Menschen, die in Deutschland leben, dass sie unsere Werte respektieren und daran arbeiten, sich zu integrieren", sagt er. Dennoch sei Deutschland ein offenes Land, natürlich auch für Inder. Die Idee eines verbindlichen Wertekanons leuchtet nicht allen Gesprächspartnern sofort ein, doch für ein Weilchen entfaltet sich wirklich eine Diskussion. Westerwelle hört zu, versucht zu argumentieren, und so entsteht zumindest hier unter einem großen Gandhi-Gemälde der Eindruck, Guido Westerwelle habe die Demut entdeckt.

Zu Hause will Westerwelle nun von Indien erzählen. Und, wie er sagt, überhaupt davon, "wie dynamisch sich die Dinge in der Welt entwickeln" außerhalb Deutschlands, dort also, wo noch Bahnhöfe gebaut werden. Das klingt vertraut. Spätestens bei der Landung in Tegel, so darf man annehmen, ist Guido Westerwelle wieder ganz der Alte.

© SZ vom 20.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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