Nordrhein-Westfalen:Eine Brücke als Stolperfalle

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Die marode Talbrücke Rahmede auf der Autobahn 45 bei Lüdenscheid. (Foto: Dieter Menne/DPA)

Die gesperrte Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid hätte längst erneuert werden sollen. Doch das geschah nicht, zuständig war Hendrik Wüst, damals NRW-Verkehrsminister. Und jetzt sind auch noch E-Mails verschwunden.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Es wird laut an diesem Mittwoch im Hohen Haus. Und es geht, so kurz nach zehn Uhr morgens, gleich sehr grundsätzlich zur Sache. Da steht der SPD-Abgeordnete Alexander Vogt hinter dem Rednerpult im Plenarsaal von Nordrhein-Westfalens Landtag und redet über jene südwestfälische Talbrücke, die seit fast 14 Monaten ganz Deutschland kennt: Die baufällige Rahmede-Brücke bei Lüdenscheid, die am 2. Dezember 2021 gesperrt werden musste. "Lüdenscheid", das ist seither ein Synonym für Deutschlands marode Infrastruktur: Die A45, als "Sauerlandlinie" eine Nord-Süd-Verkehrsader, erlebt den Infarkt; Tag und Nacht zwängen sich geschätzt 15 000 Pkws und 6000 Lkws durch Wohnviertel.

Zwei Minuten spricht der SPD-Mann, dann wendet er sich nach rechts. Dorthin, wo Hendrik Wüst sitzt, der NRW-Ministerpräsident. Vogt meint, auf der Regierungsbank den Mann zu erkennen, der "als Verkehrsminister a.D." von NRW letztlich schuld sei am täglichen Chaos in Lüdenscheid: "Die Menschen müssen dank Ihnen vor Wut und Verzweiflung ins Lenkrad beißen."

Der Neubau der überlasteten Brücke wurde auf 2026 verschoben

Wüst, beschuldigt der angeblichen Verkehrsblockade, rührt sich nicht. Er macht den Rücken steif, faltet seine Hände - und schweigt an diesem Vormittag. Dabei geht es für ihn längst um mehr als nur den Vorwurf, er habe als Verkehrsminister von Sommer 2017 bis Ende 2020 die politische Verantwortung getragen für alle Straßen und Brücken im Bundesland. Und damit auch für die Entscheidung, den Neubau der seit Jahren überlasteten Rahmede-Brücke zu verschieben.

Dass dieser Beschluss in seiner Amtszeit fiel, lässt sich inzwischen eindeutig belegen. Das ergibt sich aus internen Vermerken, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen und über die zuerst T-Online berichtete hatte: Noch im Juni 2019 informiert die Ministerialverwaltung ihren Dienstherrn zur Vorbereitung auf einen Termin in der Region, der "Ersatzneubau" über dem Rahmede-Tal solle voraussichtlich 2019 beginnen (also schon zwei Jahre vor der später nötigen Totalsperrung). Aus einer sehr ähnlichen Notiz aus dem Juni 2020, diesmal zur Vorbereitung einer Dienstfahrt von Nathanael Liminski, dem Chef der NRW-Staatskanzlei, ergibt sich hingegen: Der Neubau wurde mittlerweile um sieben Jahre verschoben, auf anno 2026.

Was und wann der damalige Verkehrsminister Wüst von dieser Umplanung seiner Straßenbauverwaltung wusste - dazu hat sich der jetzige Ministerpräsident bisher nicht geäußert. Aber er weiß, dass die Verschiebung rückblickend ein fataler Fehler war. Also baut er vor. Für die "fachlichen Erwägungen", wann eine Brücke saniert oder neu gebaut werde, sei ja nicht der Minister zuständig. Das prüfe "allein die zuständige Straßenbauverwaltung", sagte Wüst schon am Vortag der Debatte vor der Düsseldorfer Landespressekonferenz, und zwar "unabhängig davon, welche Partei in diesem Land regiert".

Von Verantwortung sprach Wüst nicht

Wüst ist kein Bau-Ingenieur, sondern Politiker und Jurist. Und der Jurist klang durch, als er am Dienstag zu einem sehr, sehr langen Satz ausholte. Zunächst bemängelte Wüst einen Fehler seines SPD-Vorgängers im Verkehrsressort von 2014 - um dann anzufügen: Sollten während seiner eigenen Amtszeit "Entscheidungen der zuständigen Stelle - welche auch immer das jetzt gewesen sein mag - getroffen worden sein, die nicht verhindern konnten, dass die eingetretenen Schäden jetzt entstanden sind für die Region, insbesondere für die Menschen dort, dann sind die aus heutiger Sicht natürlich genauso falsch gewesen". Viele Worte zwar, aber eines fehlte da: Von "Verantwortung" sprach Wüst da nicht.

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Genau darum jedoch kreist die hitzige Debatte am Mittwoch im NRW-Landtag. SPD-Mann Vogt wirft dem Regierungschef vor, er schiebe seine Verantwortung auf Mitarbeiter ab. Aus internen Vermerken wisse man, dass sich Wüsts engste Mitarbeiter sehr wohl erkundigt hätten, nach welche Kriterien NRW-Straßenbauer und Ministerialbürokratie die nötigen Neubauten im Land priorisiert hätten. Und weil nun vor wenigen Tagen obendrein noch rauskam, dass einige Emails zwischen der Düsseldorfer Staatskanzlei und Wüsts früherem Ministerium plötzlich unauffindbar sind, erkennen die SPD-Genossen bereits "ein System - das System Wüst." Weshalb der FDP-Fraktionschef Henning Höne am Mittwoch bereits fragt: "Welches Verhältnis hat der Ministerpräsident eigentlich zur Wahrheit?"

Der Liberale deutet an, man könne die Affäre auch von einem Untersuchungsausschuss prüfen lassen. Und er warnt Wüst: "In den meisten Fällen stolpert man nicht über die Fehler, die gemacht werden - sondern über den Umgang mit diesen Fehlern."

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