Supreme Court gegen Johnson:"Ein Sieg der Demokratie"

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John Bercow, Sprecher des Unterhauses, freute sich am Dienstag über die Aufhebung der von Boris Johnson verordneten Parlamentspause. Seine Krawatte passte zu seiner Gemütslage. (Foto: dpa)

Die Tories sind mit ihrer Strategie, das höchste Gericht vor der Entscheidung zur Parlamentspause unter Druck zu setzen, gescheitert. Bei Johnsons Kritikern wie auch bei Unterhaussprecher Bercow löst das Urteil Jubel aus.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die ersten Abgeordneten twitterten schon Selfies und triumphierende Botschaften aus dem Unterhaus, da hatte Lady Hale, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs von Großbritannien, ihre Papiere gerade erst zusammengefaltet und sich freundlich lächelnd aus ihrem Sessel erhoben. Parlamentssprecher John Bercow, immer ganz vorn dran, wenn was los ist, meldete dem Land innerhalb von Sekunden, nachdem sich das Gericht zurückgezogen hatte, er werde "asap" ( as soon as possible, also baldmöglichst), Kontakt mit den Parteichefs aufnehmen, um zu besprechen, wann der Parlamentsbetrieb wieder aufgenommen werde.

Vor dem Obersten Gerichtshof jubelten gleich drei Parteichefinnen und ein Fraktionschef - der Independent Group aus ehemaligen Labour- und Tory-Abgeordneten, der Grünen, der walisischen Regionalpartei und Schottischen Nationalpartei - im Kollektivrausch. Sie lagen sich in den Armen wie Fußballfans nach einem Sieg ihres Vereins, sie strahlten, "fantastisch", riefen sie, "was für ein Sieg der Demokratie". Und natürlich forderten sie umgehend den Rücktritt von Boris Johnson. Die Chefin der Independent Group, Anna Soubry, immer für einen kurzen rhetorischen Haken gut, rief: "Diesem Mann fehlt die Würde, die man für das Amt braucht."

Zur Feier des Tages hängte sich Bercow eine bonbonbunte Krawatte um

Alle wollten sie bereit sein, wenn es einen abermaligen, einen großen Sieg über die Regierung zu feiern gibt. Bercow machte dann auch wenig später, quasi "asap", klar: An diesem Mittwoch gehört das Unterhaus ganz dem Parlament; denn da der Premierminister sich noch auf der UN-Vollversammlung in New York befinde, könne er leider nicht an einer aktuellen Debatte teilnehmen. Die Botschaft des aufgedrehten Parlamentssprechers, der sich zur Feier des Tages eine bonbonbunte Krawatte umgehängt hatte: Der Sieg der Legislative ist vollkommen. Feuer frei im Parlament.

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Lady Hale hingegen hatte ganz ruhig, fast stoisch gewirkt. Dabei wusste natürlich auch die erfahrene Richterin, dass das Urteil, das sie mit klarer Stimme und ohne ein Zögern, ohne Haspler vorgetragen hatte, Verfassungsgeschichte schreiben würde. Zweimal hatte sie betont, dass alle elf Mitglieder des Gerichts sich einig seien. Das war wichtig, denn es hatte vor der Urteilsverkündung Gerüchte über eine tiefe Spaltung unter den Richtern gegeben. Nichts davon. Es ergehe einstimmig das Urteil, so Hale, dass die Prorogation des Parlaments, also die dem Unterhaus von Johnson auferlegte und von der Queen bewilligte Zwangspause, "ungesetzlich" sei. Die Entscheidung dafür sei, und damit machte sich das Gericht die Überzeugung der Abgeordneten zu eigen, auf Regierungsseite gefallen, um die Möglichkeiten des Parlaments zu begrenzen, seine konstitutionelle Aufgabe zu erfüllen. Und: Die Regierung habe dafür keine Erklärung gegeben.

Die Regierung hatte keine Argumente für die Zwangspause geliefert

Das ist vielleicht der ärgerlichste Teil dieses wegweisenden Urteils für die Mannschaft in der Downing Street. Das Urteil liest sich, als hätte Johnson bessere Chancen vor Gericht gehabt, wenn er sich zumindest die Mühe gemacht hätte, dem Supreme Court zu erklären, wofür er eine fünfwöchige Pause zur Vorbereitung der Regierungserklärung brauche. Wo doch, wie Hale betonte, normalerweise vier bis sechs Tage ausreichten. Stattdessen habe die Regierung keinerlei Auskunft über ihre Motive gegeben, keine rationalen Argumente angeführt.

Tatsächlich war Johnson gar nicht vor den Richtern erschienen, er hatte erst sehr spät und auf mehrmalige Nachfrage hin ein Statement verbreiten lassen, das sich eher wie eine Drohung als wie eine Erklärung las. In seinem Auftrag hatte der Anwalt der Regierung dem Gericht während der Verhandlung vergangene Woche mitgeteilt, es solle sich aus politischen Fragen heraushalten, das sei nicht sein Terrain. Tory-Abgeordnete hatten die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt, Tory-Juristen ihre Zuständigkeit per se.

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Aus dem Urteil vom Dienstag ist zwischen den Zeilen herauszulesen, dass die elf Verfassungsrichter das als ein bisschen anmaßend empfunden haben. Dass da einer die Queen bitte, das Parlament aufzulösen, "das habe Grenzen", die Justiz habe jedes Recht, diese zu prüfen. Der Supreme Court stellte sich damit, letztlich, auch schützend vor die Queen. Und so folgerte Hale, während ein Raum voller Anwälte und eine Nation vor den Fernsehgeräten an ihren Lippen hing: "In dem Moment, in dem die Abgesandten der Königin ins Oberhaus traten (um das Haus über die Prorogation zu informieren), taten sie das mit einem leeren Stück Papier." Was sie mit dieser fast poetischen Formulierung eigentlich sagte: "Betrachten Sie die Prorogation bitte als ungeschrieben, als nicht übermittelt, als nicht geschehen." Das Urteil besagt also im Kern: Der Grund, den Johnson anführte, war nicht gut genug, die Queen wurde irregeführt. Der Mirror zeigte schon kurz nach dem Urteil das Foto eines als Häftling verkleideten Demonstranten, der eine Boris-Johnson-Maske auf dem Kopf trug. Um den Hals ein Schild: "schuldig".

Den elf Richtern war die historische Bedeutung ihres Urteils bewusst

Das höchste britische Gericht wusste, dass dieses historische Urteil langfristig in den britischen Verfassungsalltag hineinwirken würde. Es hat das Spiel der politischen Kräfte, das durch die ungeschriebene britische Verfassung immer im Fluss, aber nicht klar definiert war, durch einen in seiner Eindeutigkeit unerwartet harten Spruch für immer verschoben. Die elf Richter wussten natürlich auch, dass sie mit ihrem Urteil kurzfristig ein Erdbeben auslösen und dem Premierminister und damit der Exekutive des Vereinigten Königreichs gewaltige Probleme bereiten würden.

Und so schlug die Begeisterung, die Euphorie, die in den ersten Stunden nach der Urteilsverkündung bei den Oppositionsparteien geherrscht hatte, schnell um in die eine, große Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wie reagiert Johnson auf diese Niederlage, was bedeutet sie für die Brexit-Verhandlungen? Und wie schnell kommen jetzt Neuwahlen? Das Parlament hatte, kurz bevor die nun aufgehobene Zwangspause einsetzte, noch ein Gesetz verabschiedet, das einen EU-Austritt ohne Vertrag ausschließt und den Premier zwingt, entweder einen Deal vorzulegen oder in Brüssel eine Verschiebung des Austrittsdatums zu beantragen. Nun, da das Unterhaus wieder tagt, kann es Johnson bei der Suche nach einem Vertrag unterstützen. Oder ihm in die Parade fahren.

© SZ vom 25.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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