Boris Johnson:"Wir treten am 31. Oktober aus"

  • Die Nachricht, dass der britische Supreme Court die von ihm verhängte Parlamentspause für rechtswidrig hält, erreicht Boris Johnson am frühen Morgen in New York.
  • Das Urteil ändere jedoch nichts an seinen Brexit-Plänen, ist der Premierminister überzeugt. Er sei "grundlegend anderer Meinung als das Gericht".
  • In London arbeitet die Opposition indes intensiv an Johnsons Sturz. Am Mittwoch kommt das Parlament erstmals nach der Zwangspause wieder zusammen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Boris Johnson muss ein ungeheuer dickes Fell haben. Daheim in Großbritannien titeln die Medien "Erdbeben" und "Schlag ins Gesicht". Er aber steht in New York, unausgeschlafen vermutlich, und redet von "dem Zeug", das da in Parlamenten und Gerichten passiere, und dass ihn das alles überhaupt nicht anficht. Schlechtes Gewissen? Keines. Entschuldigung? Warum? Er sei "grundlegend anderer Meinung als das Gericht". Es bleibe dabei: Das Königreich trete am 31. Oktober aus, und das Volk wolle das unbedingt. Deshalb werde er alles tun, um den Volkswillen zu erfüllen.

Ein Reporter wendet ein, da gebe es doch ein Gesetz, vom Parlament noch kurz vor knapp beschlossen, demzufolge das Königreich nur am 31. Oktober ausscheiden werde, wenn es einen Deal gebe - sonst nicht. Und ein Deal sei ja sehr ungewiss. Johnson senkt den Kopf, als wolle er wie ein Stier auf den Fragesteller losgehen, und wiederholt sein Credo: "Wir treten am 31. Oktober aus."

Die Nachricht hatte Johnson gegen 4.30 Uhr in New York erreicht

Vorher hatte sein Team die Devise ausgegeben, niemand dürfe sich mit einer Silbe, mit einem Kommentar zum Supreme-Court-Urteil aus der Deckung wagen. Es steht zwar zu vermuten, dass Downing Street und Johnsons Chef-Berater Dominic Cummings auf einen schlechten Ausgang des Verfahrens eingestellt gewesen waren. Aber dieses Urteil muss auch sie schockiert haben. Es ist eine komplette Niederlage für Downing Street, sie lässt keinen Bewegungsspielraum für Ausreden oder nachgereichte Erklärungen. Johnson versucht es auch gar nicht. Er schaut nach vorn, redet vom Brexit. War da was?

Die Nachricht hatte Johnson gegen 4.30 Uhr in seinem Hotelzimmer in New York erreicht, wo er sich für die UN-Vollversammlung, für Gespräche mit Wirtschaftsbossen, mit dem irischen Premier, der Kanzlerin, dem französischen Präsidenten und Donald Trump aufhielt. Am Rande der Veranstaltung hatte er auch über einen Brexit-Deal reden wollen; die Uhr tickt. Aber das dürfte nun, mit dem Urteil aus London, erst einmal etwas in den Hintergrund gerückt sein. Johnson fliege, heißt es aus New York, umgehend nach seinem Treffen mit Trump zurück nach London.

In der Heimat wird von allen Seiten sein Rücktritt gefordert

Er muss sich fit machen. Seine Taktik festlegen. Wird er, wie er es angedeutet hat, tatsächlich wagen, das Parlament ein zweites Mal aufzulösen? Was würde die Queen sagen, da das Urteil vom Dienstag klarmacht, dass auch Elizabeth II. vom Premier an der Nase herumgeführt wurde? Vor allem aber muss Johnson, der so gern attackiert, seine Verteidigung planen. Rufe nach seinem Rücktritt kommen aus allen Oppositionsparteien, aber auch die Diskussion über ein Impeachment-Verfahren, also eine Amtsenthebung, setzt ein. Und dann bleibt da noch das letzte Mittel für das Parlament: das Misstrauensvotum. Nach der Niederlage des Premiers vor dem höchsten Gericht des Landes dürfte ein Sturz des Premiers ganz vorn auf die Tagesordnung rücken. Anna Soubry, ehemalige Tory-Abgeordnete und nun Sprachrohr einer zentristischen, unabhängigen Gruppe im Unterhaus, brachte erneut die Idee einer Regierung der nationalen Einheit auf. Die war bisher daran gescheitert, dass sich der Anführer der Opposition, Labour-Chef Jeremy Corbyn, als Premier anbietet, ihn die Kollegen der anderen Parteien aber nicht wählen wollen.

Und dann muss Johnson auch noch ganz praktische Fragen lösen. Soll der Tory-Parteitag, der an diesem Samstag in Manchester starten und bis Mittwoch dauern sollte, überhaupt stattfinden? Die Stimmung in der Partei ist nicht sonderlich gut. Die harten Brexiteers unken, Johnson werde natürlich jetzt, da er stark unter Druck sei, einen viel zu weichen Deal mit der Opposition und Brüssel machen. Sie drohen, gegen alles zu stimmen, was er aus der EU mitbringt. Auch die Stimmung unter jenen Delegierten, die immer noch loyal sind, dürfte volatiler geworden sein. Noch führt Johnson die Umfragen an. Aber er hat mehr als 20 bedeutende Parlamentarier hinauswerfen lassen. Der Crashkurs, den sein Berater Cummings fährt, stößt zunehmend auf Widerstände, seine Brachialtour beschert dem Premier eine Niederlage nach der anderen.

Johnson würde am liebsten Neuwahlen herbeiführen

Das Urteil des Supreme Court, hatte Johnson in New York gesagt, mache einen Deal noch schwerer. Seine Logik dahinter: Weil das Unterhaus ihm kritisch gegenübersteht, kann sich Brüssel nicht darauf verlassen, dass er einen Vertrag durch das britische Parlament bekommt. Und eine Mehrheit braucht er, idealerweise vor dem Austrittsdatum am 31. Oktober. Er werde das Urteil befolgen, das macht er klar. Aber er will auch an der Regierungserklärung Mitte Oktober, an der Queen's Speech, festhalten und eventuell an einer zweiten Prorogation, also einer erneuten kurzen Auflösung des Parlaments. Er droht: "Man kann das Parlament, das wir hier haben, nicht in die Pause schicken, das Parlament will aber auch keine Neuwahlen. Da muss etwas passieren."

Johnson hätte diese Wahlen lieber heute als morgen, um sich das wütende Parlament vom Hals zu schaffen und seine Kritiker mundtot zu machen. Aber auch dazu braucht er - das Unterhaus.

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