Hilary Benn:Rebell wider Willen

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Ein der inneren und äußeren Ordnung zuneigender, um nicht zu sagen pedantischer Mensch: Hilary Benn. (Foto: AFP)

Der Labour-Abgeordnete gehört zu den Initiatoren des Gesetzes gegen den "No Deal"-Brexit - und was er tut, gilt in London schon als Rebellion. Das passt eigentlich gar nicht zu dem linksliberalen Benn.

Von Cathrin Kahlweit, London

Es gibt derzeit viele Helden wider Willen in der britischen Politik. Manche sehen sich vor die Wahl gestellt, für ihre Regierung zu stimmen oder aber ihrem Gewissen zu folgen - so wie die Tory-Abgeordneten, die sich gegen den Brexit-Kurs von Premier Boris Johnson stemmen.

Manche verzichten lieber gleich auf ihr Mandat, als sich aus der Partei werfen zu lassen, so wie Ex-Bildungsministerin Justine Greening von den Tories, die am Dienstag ihren Rückzug aus dem Unterhaus ankündigte.

Manche verlassen ihre Partei und sitzen stattdessen als Unabhängige im Unterhaus, weil sie No Deal, einen EU-Austritt ohne Vertrag, nicht mittragen wollen, so wie der Ex-Tory Nick Boles. Und es gibt Abgeordnete wie den erfahrenen Labour-Mann Hilary Benn.

Der 66-Jährige ist einer der Initiatoren jenes Gesetzes, mit dem die Spielregeln des Parlaments außer Kraft gesetzt werden, was allein schon als Rebellion gilt in London. Denn normalerweise legt die Regierung fest, welche Gesetzesinitiativen eingebracht werden dürfen. Benns Name steht als erster von mehreren unter dem fraktionsübergreifenden Antrag, der verhindern soll, dass Johnson das Land ohne Vertrag aus der EU führt.

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Ein solcher Akt des Widerstandes muss Benn schwerfallen, der eigentlich ein der inneren und äußeren Ordnung zuneigender, um nicht zu sagen pedantischer Mensch ist. Andererseits ist er ein Befürworter des Verbleibs in der EU. Und er riskiert mit seiner Auflehnung nicht gleich die Karriere - wie das jene Tories tun, die an dem Gesetz mitgeschrieben haben.

Der langjährige Abgeordnete und studierte Osteuropa-Experte war schon unter zwei Labour-Premiers Minister. Er kennt alle Finessen des politischen Spiels in Westminster. Er riskiert nun allerdings den Groll jener vielen Briten, die keine Lust mehr haben auf eine Debatte über den Brexit. Geschweige denn auf eine Ausdehnung der Verhandlungen über den festgelegten Austrittstermin, den 31. Oktober, hinaus.

Genau das aber planen Benn und seine Kollegen, die unter dem schlichten Titel "European Union (Withdrawal) (No.6) Bill 2019" die Agenda der Regierung kippen und Johnson zu einer Brexit-Verschiebung zwingen wollen - es sei denn, dieser kann bis Mitte Oktober einen Deal mit Brüssel vorlegen.

Benn stammt aus einer Familie von linken Politikern; er ist der Sohn des legendären Labour-Führers Tony Benn, auch Großvater und Urgroßvater waren linke oder liberale Parlamentsmitglieder. Benn trägt die Bürde, der Sohn eines in Großbritannien berühmten Vaters zu sein, mit Würde; sein Hang zur Selbstironie hilft ihm dabei. Er gilt, weil eher linksliberal, als stiller Gegner des linken Labour-Chefs Jeremy Corbyn und als verlässlicher Parlamentarier, der das Rampenlicht nicht sucht, aber gut aushält.

"Wirtschaftlicher Vandalismus"

Und so argumentiert er in Interviews sorgfältig und ausgewogen: Er könne No Deal nicht mittragen, weil der ökonomische Schaden für das Land zu groß sei. Als Vorsitzender des Parlamentsausschusses für den EU-Austritt habe er zu viele Belege sammeln können, dass das Risiko zu groß sei. Er spricht von "wirtschaftlichem Vandalismus".

Benn lässt das Argument nicht gelten, dass es doch mit dem Brexit-Referendum von 2016 eine Entscheidung der Wähler gebe, die das Unterhaus jetzt nicht blockieren dürfe. "Das Referendum hat eben nichts darüber gesagt, wie unser künftiger Status sein soll." Dass Johnson ein Votum des Parlaments womöglich ignorieren will, hält Benn für "unangemessen"; eine solche Position sei "politisch und verfassungsrechtlich nicht haltbar".

Hilary Benn setzt sich seit Langem für ein zweites Referendum ein. Aber auch einer wie er ist bisweilen am Ende mit seinem Latein. Eine Zwangsschließung des Parlaments, wie sie Johnson vergangene Woche von der Queen genehmigen ließ, hatte sich Benn noch vor der Sommerpause schlicht nicht vorstellen mögen. Da war aber auch Boris Johnson noch nicht Premierminister.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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