Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf eine Einigung in den Brexit-Verhandlungen gedrungen. "Das wäre für alle Seiten besser", sagte sie beim EU-Gipfel in Brüssel. "Ich gehe mit dem Geist an die Sache heran, immer alles zu versuchen, eine Übereinkunft zu finden."
Die Staats- und Regierungschefs berieten am Mittwoch über das weitere Vorgehen. Die britische Premierministerin Theresa May zeigte sich zuversichtlich: "Jeder am Tisch will einen Deal. Und wir können einen Deal erreichen." Nach Angaben von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani machte May aber keine neuen Vorschläge: "Ich habe inhaltlich nichts substanziell Neues erkannt." Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte nach den Beratungen: "Vieles, was sie gesagt hat, war uns bekannt."
Im Zentrum der Brexit-Gespräche stand die Frage, wie sich Kontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern lassen. Auf Beamtenebene hatten sich London und Brüssel darauf verständigt, dass das Vereinigte Königreich nach dem EU-Austritt in einer Zollunion verbleiben könnte; Nordirland solle zudem weiter dem Binnenmarkt angehören. Strittig war allerdings, wie lange diese Auffanglösung (Backstop) gelten soll.
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In Brüssel geht es heute darum, ob die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien fortgesetzt werden. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok lobt die Fortschritte - und pocht darauf, dass sich Deutschland für ein No-Deal-Szenario wappnet.
May ließ in einem Gespräch mit dem irischen Premier Leo Varadkar Verständnis dafür erkennen, dass eine zeitlich befristete Absicherung keine Absicherung sei. Zuvor hatte sie stets erklärt, dass ihr Land einer Lösung nur zustimmen könne, wenn sie ein Enddatum habe. Der Backstop soll nach einer Übergangsphase so lange gelten, bis ein Freihandelsvertrag vereinbart ist.
Haushaltsstreit mit Italien überschattete den Brüsseler Gipfel
Im Kreis der Staats- und Regierungschefs sagte die Premierministerin, dass sie bereit sei, eine mögliche Verlängerung der Übergangszeit in Erwägung zu ziehen. Eine solche hatte die EU in Aussicht gestellt, um mehr Zeit für die Verhandlungen zu bekommen. Voraussetzung dafür ist aber, dass zunächst ein Austrittsabkommen vereinbart wird, in dem auch die irische Frage gelöst ist. In der Übergangsphase, die nach bisherigem Plan bis Ende 2020 dauern soll, würde Großbritannien im Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben.
Angesichts stockender Verhandlungen treibt die Bundesregierung Vorkehrungen für den Fall voran, dass London ohne ein Abkommen aus der EU austritt. Es gehöre "zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Regierungsführung dazu, dass wir uns auf alle Szenarien vorbereiten", sagte Merkel im Bundestag. Ein Deal müsste spätestens im Dezember stehen, um einen "harten" Brexit zu verhindern.
Auch der Haushaltsstreit mit Italien beschäftigte den Gipfel. Auf die Frage, ob es Spielraum gebe, den Budgetentwurf anzupassen, sagte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte: "Nein." Er sei aber zuversichtlich, dass es einen "konstruktiven Dialog" mit der EU-Kommission gebe. Die Behörde debattierte am Mittwoch eine mögliche Ablehnung des Budgetplans. "Es gab dazu aber keine Entscheidung", sagte eine Sprecherin. Brüssel will Rom zunächst zu einer Erklärung auffordern. Italien muss darauf antworten. Danach wäre wieder Brüssel an der Reihe. Der Streit könnte sich mehrere Wochen hinziehen.
EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici will am Donnerstag nach Rom reisen.