Brexit:Und weiter geht's

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Fischerboot im Ärmelkanal: Die britische Regierung droht mit dem Einsatz der Royal Navy gegen EU-Fischer, wenn keine Einigung über die künftigen Beziehungen gelingt. (Foto: Gareth Fuller/dpa)

Die EU und Großbritannien entscheiden, die zähen Gespräche über die künftigen Beziehungen fortzusetzen. London plant aber schon einmal den Einsatz der Marine, falls die Verhandlungen scheitern.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Und wieder wird eine Frist gebrochen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson einigten sich bei einem Telefonat am Sonntag, die zähen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU fortzusetzen. Dabei hatte es vorher geheißen, Sonntag solle die Entscheidung fallen, ob ein Abschluss noch möglich ist.

Die Spitzenpolitiker verbreiteten eine gemeinsame Mitteilung: "Trotz der Erschöpfung nach fast einem Jahr Verhandlungen, trotz der Tatsache, dass Deadlines immer wieder verfehlt wurden, glauben wir, dass es in diesem Moment die Verantwortung gebietet, eine letzte Anstrengung zu unternehmen." Deshalb seien die beiden Chefverhandler Michel Barnier und Lord David Frost beauftragt worden, die Gespräche in Brüssel fortzusetzen. Eine neue Frist nannten von der Leyen und Johnson nicht.

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Der Premier erklärte in London, dass beide Seiten noch immer "sehr weit auseinander" lägen. Man müsse auf ein Scheitern vorbereitet sein, sagte Johnson. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass es Großbritannien auch im Fall eines No-Deal-Szenarios "sehr, sehr gut" gehen werde. Als Zeichen, dass er bis zuletzt gewillt ist, für ein Handelsabkommen zu kämpfen, erneuerte er sein Angebot, mit Paris, Berlin und anderen Hauptstädten direkt in Verhandlungen zu treten. Doch Frankreich und Deutschland lehnen das bislang ab.

Die Zeit drängt, denn in zweieinhalb Wochen droht ein harter Bruch: Zwar hat das Vereinigte Königreich die EU bereits Ende Januar verlassen, aber Bürger und Firmen werden das erst Anfang Januar 2021 richtig spüren. Zum Jahreswechsel endet die Brexit-Übergangsphase, in der Großbritannien weiter Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion ist. Gelingt es nicht, im Dezember einen Handelsvertrag abzuschließen, würden daher von Januar an Zölle und Zollkontrollen eingeführt, zum Schaden der Firmen und Verbraucher. Es gäbe auch keine Grundlage mehr dafür, dass EU-Fischer in britischen Gewässern fangen und umgekehrt.

London behauptet, die EU beanspruche das Recht , automatisch Zölle verhängen zu dürfen

Die Kommission veröffentlichte deswegen bereits Notfallmaßnahmen, die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen sicherstellen sollen, dass Flugzeuge, Busse und Lastwagen von Januar an weiter zwischen Königreich und EU verkehren dürfen - für einen Übergangszeitraum von bis zu sechs Monaten und nur dann, wenn London Anbietern aus der EU die gleichen Rechte gewährt. Brüssel fordert außerdem, dass Fischereiflotten aus EU-Staaten weiter in britischen Gewässern fangen dürfen, sogar bis Ende 2021.

Davon hält London allerdings nichts: Die britische Regierung kündigte am Freitag an, von Januar an vier Patrouillenboote der Royal Navy im Ärmelkanal einzusetzen, um im Falle eines Abbruchs der Gespräche die Küstengewässer vor EU-Fischkuttern zu schützen. Aus Paris kam die Warnung, dass die Franzosen auch ihrerseits die Marine einsetzen könnten. Die Fangquoten für EU-Flotten in den fischreichen britischen Gewässern gehören zu den größten Streitpunkten in den Verhandlungen von Barnier und Frost.

Noch schwieriger ist aber offenbar eine Verständigung beim sogenannten Level Playing Field. Also der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass in Zukunft weiter faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Unternehmen im Königreich und denen in der EU herrschen. London hat bereits zugesagt, Umwelt- und Sozialstandards nicht abzusenken. Nun dreht sich die Debatte um die Frage, was passiert, wenn Großbritannien oder die EU in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ehrgeizigere Regeln verabschieden.

Es ist zunächst das gute Recht des anderen Partners, nicht mitzuziehen und seine Gesetze so zu lassen, wie sie sind. Doch mit der Zeit könnten solche Abweichungen dazu führen, dass Unternehmen in der EU - oder in Großbritannien - Vorteile genießen, welche die andere Seite als unfair ansieht. Die EU-Verhandler haben deswegen einen sogenannten Entwicklungs- oder Äquivalenzmechanismus vorgeschlagen. Demnach könnte es vorgeschriebene Konsultationen geben, um solche Streitfälle zu schlichten.

Allerdings behauptet London, dass die EU hier de facto das Recht beanspruche, automatisch Zölle auf britische Waren verhängen zu dürfen, wenn Großbritannien bei neuen, kostspieligen EU-Gesetzen und -Regularien nicht mitzieht. In der Kommission wird diese Darstellung der Verhandlungsposition zurückgewiesen. Brüssel verlange kein automatisches Recht, Zölle zu verhängen, und solch ein Mechanismus solle auch nicht nur für eine Seite gelten, heißt es.

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