Johnson in Brüssel:Brexit-Deal verzweifelt gesucht

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"Wir werden wieder die Kontrolle übernehmen", versprach der britische Premier Boris Johnson vor seinem Abendtermin in Brüssel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: AP)

Kommt doch ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU? In London dämpft man die Hoffnung, Boris Johnson weilt in Brüssel. Noch gibt es Chancen auf eine Einigung.

Von Björn Finke, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London, Brüssel/London

Bevor Boris Johnson zum Abendessen mit Ursula von der Leyen nach Brüssel reiste, musste er sich Mittwochmittag noch der Fragestunde im Unterhaus stellen. Bei den "Prime Minister's Questions" gab der britische Regierungschef eine Art Vorgeschmack auf das, was er der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Dinner mitteilen würde. Es sei noch immer ein guter Deal mit den Freunden in der EU zu erreichen, sagte Johnson, aber es gebe zwei Forderungen, die kein Premier akzeptieren könne. Erstens: Wenn die Europäische Union in Zukunft ein Gesetz beschließe, könne sie nicht automatisch das Recht erhalten, Großbritannien dafür zu bestrafen, wenn es dieses Gesetz nicht de facto ebenso umsetze. Und zweitens dürfe die EU die souveräne Kontrolle Großbritanniens über seine Gewässer und Fischgründe auf keinen Fall einschränken.

Johnson zeigte sich bei seinem Auftritt im Unterhaus kämpferisch, fast so, als sei er wieder im Wahlkampf. Auch wenn es kein Freihandelsabkommen mit der EU gebe, werde es das Vereinigte Königreich künftig besser haben, sagte er. Und fügte hinzu: "Ich habe absolut keinen Zweifel, dass dieses Land vom 1. Januar an mächtig florieren wird." Als er gegen Ende der Fragestunde so richtig in Fahrt war, packte Johnson noch einmal die Slogans der Brexit-Kampagne aus. "Wir werden wieder die Kontrolle übernehmen", versprach er, "wir werden wieder die Kontrolle über unser Geld, unsere Grenzen und unsere Gesetze haben."

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Bereits vor dem Treffen zwischen Johnson und von der Leyen dämpfte Downing Street die Erwartungen. So erklärte ein Regierungsvertreter, dass ein Deal womöglich nicht zustande kommen könnte; man hoffe jedoch, dass das Gespräch mit der Kommissionspräsidentin "einen politischen Impuls geben werde, der es den Unterhändlern erlauben würde, ihre Arbeit abzuschließen". Auch in Brüssel war die Hoffnung auf eine Einigung gering. Und tatsächlich gab es bei dem Treffen keine entscheidenden Fortschritte, wie die britische Regierung kurz nach dem gemeinsamen Abendessen von Johnson und von der Leyen mitteilte. Die Verhandlungen sollten weitergehen, aber es gebe nach wie vor große Differenzen zwischen beiden Seiten.

In jedem Fall wird von der Leyen den Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag über das Gespräch mit Johnson berichten. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Mittwoch im Bundestag: "Es gibt nach wie vor die Chance eines Abkommens. Ich glaube nicht, dass wir morgen schon wissen, ob das gelingt oder nicht. Das kann ich jedenfalls nicht versprechen."

Während in Berlin, London und anderen Hauptstädten weiter darüber gestritten wurde, wie ein Freihandelsvertrag auszusehen habe, konnten die EU und Großbritannien immerhin einen großen Fortschritt erzielen. Nach langem Streit einigten sich die britische Regierung und die EU-Kommission im Grundsatz auf die Umsetzung des Protokolls zu Irland und Nordirland, einen der entscheidenden Teile des gültigen Austrittsvertrags. Damit ist die größte Sorge für den Fall eines No-Deal-Szenarios weitgehend gebannt. Das Protokoll soll sicherstellen, dass es nicht zu einer harten Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland kommt - und damit vielleicht zu Unruhen. Kabinettsbürominister Michael Gove bekräftigte am Mittwoch, dass London nun die umstrittenen Passagen im Binnenmarktgesetz streichen werde, die gegen den Austrittsvertrag verstoßen hätten. Er erklärte auch, dass die EU das Recht erhalte, die Umsetzung des Vertrags an Ort und Stelle in Nordirland zu überwachen. Aber, sagte Gove, das bedeute nicht, dass Brüssel eine Vertretung oder gar eine Mini-Botschaft in Belfast eröffne.

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