Brasilien:Lulas Charmeoffensive in China

Lesezeit: 3 min

Luiz Inácio Lula da Silva (rechts) posiert mit seiner Frau Rosangela da Silva (Mitte) für die Fotografen bei der Ankunft in Shanghai. (Foto: RICARDO STUCKERT/AFP)

Präsident Lula ist zu Besuch in Peking und Shanghai. Mit dabei: eine riesige Delegation und große Erwartungen. Es geht um Geschäfte, Rohstoffe - und die Beendigung einer diplomatischen Eiszeit.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Luiz Inácio Lula da Silva war schon immer ein reisefreudiger Politiker. In seinen ersten beiden Amtszeiten von 2003 bis 2010 besuchte Brasiliens Präsident rund 80 Länder und Staaten, er war in der Schweiz und in Surinam, im Vatikan und in Vietnam, dreimal in Deutschland, siebenmal in Frankreich, zwölfmal in den USA und einmal sogar in der Antarktis. So gesehen überrascht es nicht, dass Lula seit seinem erneuten Amtsantritt am 1. Januar 2023 auch schon wieder emsig unterwegs ist: Erst in Argentinien, dann in Uruguay und den USA. Diese Woche steht nun eben auch China auf dem Plan. So weit, so normal, könnte man meinen. Aber: So einfach ist es nicht.

Noch bevor der brasilianische Präsident am Dienstag in Brasília überhaupt in das Flugzeug gestiegen war, das ihn nach Shanghai und Peking bringen sollte, schrieben die brasilianischen Zeitungen schon von der "wohl wichtigsten Reise" in Lulas dritter Amtszeit: Von "hohen Erwartungen" war die Rede, aber auch von "großen Herausforderungen". Die Aufregung in Brasilien jedenfalls ist groß.

Das liegt zunächst einmal daran, dass China heute der mit Abstand wichtigste Handelspartner Brasiliens ist: Rund ein Drittel aller Exporte aus Südamerikas größter Nation gehen in die Volksrepublik, vor allem Rohstoffe wie Eisen, Erdöl, Soja, Fleisch und Zucker. Umgekehrt kommt wiederum fast ein Viertel aller brasilianischen Importe aus China, darunter Elektrogeräte, Maschinen, Motorenteile, Autoreifen und Chemikalien.

Vorgänger Bolsonaro löste eine diplomatische Eiszeit mit Peking aus

Die Geschäfte könnten kaum besser laufen, und lange sah es so aus, als ob auch kaum etwas die guten Beziehungen stören könnte. Doch dann wurde 2018 Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Schon im Wahlkampf hatte der rechtsextreme Politiker mit nationalistischer Rhetorik gegen Peking gestänkert: "Die Chinesen kaufen nicht in Brasilien. Sie kaufen ganz Brasilien!" Kurz nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie deutete ein Minister aus Bolsonaros Kabinett sogar an, China könnte das Virus in die Welt gesetzt haben, um so die Weltherrschaft zu erlangen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ging zwar weiter, diplomatisch aber herrschte Eiszeit.

Lulas Reise ist darum vor allem auch eine Charmeoffensive. "Wir werden unsere Beziehungen zu China wieder konsolidieren", sagte der 77-Jährige vor seiner Abreise. Brasiliens Präsident will Peking klarmachen, wie sehr seine Regierung die Volksrepublik schätzt. Auch darum gleicht die brasilianische Delegation wohl eher einem mittelalterlichen Hofstaat als einer herkömmlichen diplomatischen Abordnung: Ganze sieben Minister begleiten Lula nach China, dazu fünf Gouverneure, zwei Dutzend Abgeordnete und Senatoren, der Präsident des Senats und eine Schar von mehr als 200 Unternehmern, Wirtschaftslenkern und Lobbyisten. In Peking nimmt man dieses Aufgebot wohlwollend zur Kenntnis: Die Größe der Delegation zeige die "große Bedeutung, die beide Seiten diesem Besuch und unseren bilateralen Beziehungen beimessen", hieß es aus dem chinesischen Außenministerium.

Die Brasilianer wünschen sich Investitionen, die Chinesen begehrte Rohstoffe

Abseits von Freundschaftsbekundungen sollen bei dem Besuch aber ganz konkret auch mindestens 20 beiderseitige Abkommen unterzeichnet werden. Brasiliens Präsident will in China um Investitionen werben, für Technik und Infrastrukturprojekte, vor allem aber auch für den Wiederaufbau der brasilianischen Industrie. Hatten einst Hunderttausende Brasilianer vergleichsweise gut bezahlte Jobs in Fabriken, wurden in den letzten Jahren immer mehr Werke geschlossen. Der einstige Metallarbeiter-Gewerkschafter Lula will das ändern. So soll zum Beispiel der chinesische Elektroautobauer BYD die einstige Fabrik von Ford im brasilianischen Bundesstaat Bahía übernehmen.

China wiederum hat ebenfalls großes Interesse, die Zusammenarbeit mit Brasilien weiter zu vertiefen. Lateinamerikas bevölkerungsreichste Nation hat Rohstoffe und mehr als 200 Millionen Einwohner, dazu aber auch einen Leuchtturmcharakter für die ganze Region. China versucht schon seit Jahren, in Lateinamerika seinen Einfluss zu vergrößern. Dafür hilft Peking beim Bau von Straßen, Bahnlinien, Staudämmen, Wasserkraftwerken und Häfen. Eine ganze Reihe süd- und zentralamerikanischer Staaten sind so in den vergangenen Jahren der chinesischen Initiative für den Bau der sogenannten Neuen Seidenstraße beigetreten. Vor Lulas Besuch in China gab es nun sogar Spekulationen, auch Brasilien könnte sich zu dem Projekt bekennen. Lulas Sonderberater für internationale Beziehungen, Celso Amorim, sagte, mehrere Länder Europas und viele Nachbarn in Südamerika seien schon Teil der Initiative: "Ich sehe keinen Grund, warum Brasilien außen vor bleiben sollte."

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Nach seiner Landung in Shanghai wohnte Lula am Donnerstag der Amtseinführung der Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank NDB bei. Gegründet 2014 von den sogenannten Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika soll sie eine Alternative sein zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Neue Präsidentin ist Dilma Rousseff, einst ebenfalls Präsidentin von Brasilien und enge Vertraute von Lula.

An diesem Freitag geht es von Shanghai dann weiter nach Peking. Brasiliens Staatschef wird hier seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping treffen. Lula hat schon angekündigt, dass er bei den Gesprächen auch seinen Vorschlag erörtern will, einen "Friedensclub" für die Ukraine zu gründen. Wie weit er damit kommen wird, ist fraglich: China gilt als enger Vertrauter Moskaus, gleichzeitig hatte Lula in der Ukraine zuletzt für Irritationen gesorgt, als er vorschlug, das Land solle die Krim abtreten. Brasiliens Staatschef gibt sich aber unbeirrt: Er sei überzeugt davon, dass "sowohl die Ukraine als auch Russland auf jemanden warten, der sagt: ,Setzen wir uns hin und reden'". Und wieso sollte dieser jemand nicht Brasilien und sein reisefreudiger Präsident sein?

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