Es ist eine Abfuhr für die ethno-nationalistischen Kräfte, zumindest in Teilen des Landes. Am Sonntag haben die Menschen in Bosnien-Herzegowina neben den Parlamenten verschiedener Ebenen auch die dreiköpfige Präsidentschaft des Gesamtstaats neu gewählt. Diese wird seit dem Friedensabkommen von Dayton von 1995 nach - zunehmend umstrittenen - ethnischen Kriterien besetzt: Es gibt darin jeweils einen Vertreter der muslimischen Bosnier (oder auch "Bosniaken"), der Serben und der Kroaten im Land.
Wie nach Auszählung der meisten Stimmen am Montagvormittag klar wurde, erfuhr vor allem die konservative bosniakische Traditionspartei SDA schwere Verluste: Ihr Kandidat Bakir Izetbegović kam nur auf etwa 38 Prozent der abgegebenen Stimmen. Gegenkandidat Denis Bećirović schaffte es dagegen auf rund 57 Prozent. Damit wird die SDA zum ersten Mal seit zwölf Jahren keinen Vertreter im Staatspräsidium stellen.
Bećirović, ein Sozialdemokrat, der mit Unterstützung mehrerer weiterer nicht-nationalistischer und reformorientierter Parteien angetreten war, hatte kurz vor der Wahl im Gespräch mit dem Fernsehsender N1 gsagt: "Bosnien ist ein demokratisches Land, und es braucht Demokraten an der Führung, nicht arrogante Sultane, die die Stimme des Volkes ignorieren und ihre eigene Trägheit verleugnen".
Rasanter Bevölkerungsschwund wegen fehlender Perspektiven und Korruption
Bosnien-Herzegowina gehört zu den Ländern mit dem rasantesten Bevölkerungsschwund weltweit, jedes Jahr wandern zwischen zwei und drei Prozent der Einwohner ins Ausland ab, vor allem Jüngere, die sich neben fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven auch von der grassierenden Korruption und Vetternwirtschaft im Land abgestoßen fühlen. Auf die Frage, was er gegen den "Brain Drain" zu tun gedenke, den Schwund qualifizierter junger Arbeitskräfte, hatte der Kandidat der SDA, Bakir Izetbegović, in einer frühen Phase des Wahlkampfes flapsig geantwortet, er werde die jungen Leute "durch Drohnen ersetzen".
Željko Komšić, der bisherige kroatische Vertreter im Staatspräsidium, konnte seinen Sitz mit mehr als 70 Prozent der Stimmen klar gegen die Kandidatin der kroatisch-nationalistischen HDZ verteidigen, die mit Unterstützung aus Zagreb seit Langem an der Schwächung des Gesamtstaats arbeitet. Doch während auf bosniakischer und kroatischer Seite die Reformkräfte zumindest aus der Wahl des Staatspräsidiums derart gestärkt hervorgehen, konnten sich die Nationalisten auf serbischer Seite klar durchsetzen: Für den serbischen Sitz im Präsidium erhielt Željka Cvijanović die meisten Stimmen - eine Vertraute des mächtigsten Politikers der bosnisch-serbischen Nationalisten, Milorad Dodik, der selbst schon zahlreiche Machtpositionen innehatte und diesmal als Kandidat für die Präsidentschaft der Republika Srpska (RS) angetreten war, der serbischen Teilrepublik des Landes.
Hoher Repräsentant macht Gebrauch von Sondervollmachten
Nachdem erste Hochrechnungen seiner Gegenkandidatin, der Ökonomin Jelena Trivić, zunächst einen knappen Sieg vorausgesagt hatten, lag Dodik am Montagnachmittag mit 49 zu 43 Prozent klar vor ihr. Dodik gilt als dezidierter Separatist; er unternimmt immer neue Versuche, die Republika Srpska vom Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina abzuspalten und sonnt sich dabei demonstrativ in seiner Unterstützung durch den Kreml. Zuletzt entsandte Dodik Wahlbeobachter zu den von Moskau veranstalteten Scheinreferenden in der Ostukraine.
In den beiden Entitäten, der bosniakisch-kroatischen Föderation und der Republika Srpska, wurden auch die jeweiligen Parlamente gewählt, dort blieben jeweils die nationalistischen Parteien die stärksten Kräfte. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass sich an der bisherigen Blockadepolitik, die das höchst komplexe Staatsgebilde in seiner Entwicklung lähmt, zunächst wenig ändern dürfte.
Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, machte am Ende des Wahltags Gebrauch von seinen Sondervollmachten, den "Bonn Powers", und verhängte per Dekret mehrere Änderungen der Verfassung der Föderation sowie des Wahlgesetzes; so wird unter anderem die Zahl der Sitze in einer der Parlamentskammern der Föderation erhöht, zudem wird die zeitliche Frist für die Regierungsbildung verschärft.
Während die Botschaften der USA und Großbritanniens im Land die Entscheidung Schmidts ausdrücklich unterstützten, distanzierte sich die EU-Vertretung in Sarajevo davon und erklärte, die "Bonn Powers" sollten lediglich als "letztes Mittel gegen irreparable Gesetzesverstöße" eingesetzt werden. Auch Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz, kritisierte den Zeitpunkt der Gesetzesänderungen als "hochproblematisch": Dies erwecke den Eindruck, als wollte der Hohe Repräsentant "belegen, wie undemokratisch und illegitim" seine eigene Institution sei.