Im Weißen Haus brennen noch Lichter. Tausende Menschen stehen dicht gedrängt direkt am Zaun an der Pennsylvania Avenue und starren gebannt auf den Sitz des Präsidenten - wohl in der Hoffnung, der Hausherr würde sich sehen lassen und dem jubelnden Volk zuwinken.
Diesen Gefallen tut ihnen Barack Obama nicht. Den Triumph, Osama bin Laden, den gefürchteten Führer des Terrornetzwerks al-Qaida, endlich gefasst zu haben, hat der US-Präsident in ein nüchternes, neun Minuten langes Statement gepackt.
Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Kurze Zeit später sind vor dem Weißen Haus die ersten Fahnen zu sehen. Fernsehnachrichten, Freunde und Facebook: Alle verbreiten die Nachricht und so machen sich Tausende Amerikaner auf, um bin Ladens Tod zu feiern.
Stimmung wie auf einem Volksfest
"Das ist ein großer Moment, gerade für die Menschen meiner Generation", sagt der 23-Jährige Jeff Kollum. "Wir sind mit dem Krieg gegen den Terror groß geworden, die Angst vor dem Al-Qaida-Terror hat unsere Jugend bestimmt. Das ist jetzt vorbei."
Die Stimmung auf der Pennsylvania Avenue und dem dahinter liegenden Lafayette Square erinnert an ein Volksfest. Eine Horde junger College-Studenten zieht "USA, USA" skandierend eine gigantische US-Flagge über die Köpfe, viele haben sich Plakate gebastelt ("Hell yes, we got him!") oder recyceln alte Transparente ("Yes we can" und "Yes we did"). Polizisten lehnen entspannt an ihren Dienstwagen.
Angespannt sind nur die Journalisten, die aufgeregt durch die Menge ziehen, um Stimmen einzufangen, und die Techniker, die gleichzeitig ihre Übertragungswagen aufbauen. Auf allen Kanälen wird der Tod von America's Most Wanted Man analysiert: Was bedeutet bin Ladens Tod für al-Qaida, was für Amerika - und was für Obama? Die Antworten auf diese Fragen sind so zahlreich wie die Sender, die die Fragen stellen.
Die Menschen vor dem Weißen Haus interessiert diese Diskussionen gerade nicht. Immer wieder brandet Jubel auf. Weil Obama sich partout nicht blicken lassen will, klettern einige Waghalsige auf Laternenmasten und Bäume, um über den Massen das Star-Spangled-Banner zu hissen.
Bin Ladens Tod markiere den bis dato größten Erfolg im Kampf gegen al-Qaida, hatte Obama in seiner TV-Ansprache erklärt. Das sieht wohl auch die jubelnde Masse so. Vor allem aber ist vor dem Weißen Haus Genugtuung zu spüren. Weil der Mann tot ist, der Amerika den Krieg erklärt hat.
Weil der Mann tot ist, der mit den Anschlägen von 9/11 ein Land in seinen Grundfesten erschüttert hat, das sich spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges für unverwundbar gehalten hat.
Vor allem halten viele Amerikaner, die an diesem Sonntagabend vor dem Weißen Haus feiern, den Tod des Topterroristen für eine gerechte Strafe für den Tod von knapp 3000 US-Bürgern, die bei den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2011 gestorben sind.
Ein Mann aus St. Louis sagt: "Bin Laden war ein Symbol für den Aufstieg des Terrors, sein Tod wird ein Symbol für das Ende des Bösen."