Luxemburg:Plagiatsaffäre setzt Bettel unter Druck

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"Man kann nicht aus Versehen mehrere Seiten abschreiben", sagt die Luxemburger Politologin Anna-Lena Högenauer. Trotzdem wird die Plagiatsaffäre für Xavier Bettel vermutlich keine Konsequenzen haben. (Foto: JP Black/Imago)

Der liberale Premierminister soll seine Abschlussarbeit an der Universität Nancy fast vollständig abgeschrieben haben. In dem Werk gibt es offenbar nicht eine einzige korrekte Quellenangabe.

Von Thomas Kirchner

Der luxemburgische Premier Xavier Bettel sieht sich gravierenden Plagiatsvorwürfen ausgesetzt. Laut einem Bericht des Internet-Portals Reporter.lu hat der liberale Politiker in seiner Abschlussarbeit an der Universität Nancy 1999 in einem Ausmaß abgeschrieben, das die Plagiate deutscher Politiker in den Schatten stellt. Auf 96,4 Prozent der Seiten finden sich demnach Plagiate. Nur auf zwei der insgesamt 56 Seiten ließen sich keine plagiierten Textpassagen feststellen. Es handele sich um "wenige Absätze in der Einleitung und ein ebenso kurzes Fazit".

Bettel reagierte am Mittwoch im Sender RTL: "Meiner Erinnerung nach habe ich die Arbeit damals nach bestem Wissen und Gewissen verfasst", sagte er. "Heute sehe ich, dass ich es anders hätte machen können, ja vielleicht müssen." Er vertraue der Universität, um zu beurteilen, ob die Arbeit den damaligen Kriterien entsprochen habe. "Falls das nicht der Fall sein sollte, akzeptiere ich selbstverständlich eine entsprechende Entscheidung."

Bettel studierte in Nancy Jura, während er parallel seine politische Karriere vorantrieb. 1999 zog er mit 26 Jahren in das nationale Parlament und in den Luxemburger Stadtrat ein, wo er sich rasch emporarbeitete. In Nancy strebte er ein "Diplôme d'études approfondies" an, das vor der Bologna-Reform etwas mehr wert war ein Magisterabschluss und üblicherweise einer Promotion vorausging. In seiner Arbeit beschäftigte sich Bettel mit Reformvorschlägen zum Wahlrecht für das Europäische Parlament (EP).

"Aneinanderreihung von Fakten, die eigentlich nichts mit dem Thema zu tun haben"

Laut Reporter.lu findet sich darin nicht eine einzige korrekte Quellenangabe. Bettel habe seitenlang abgeschrieben, "ohne dies in irgendeiner Form durch Anmerkungen oder Fußnoten kenntlich zu machen". Im Wesentlichen stützte sich der Autor demnach auf ein Einführungsbuch zu den europäischen Institutionen, einen Bericht eines konservativen Europaabgeordneten sowie die Webseite des EP.

Das Portal hatte die Arbeit zwei Professoren zur Lektüre gegeben. Das Ausmaß des Plagiats sei "zu groß, um noch zumutbar zu sein", befand Nicolas Sauer von der Pariser Hochschule Sciences Po. Das Werk sei auch inhaltlich dürftig und bestehe aus einer "Aneinanderreihung von Fakten, die eigentlich nichts mit dem Thema zu tun haben".

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Laut der Luxemburger Politologin Anna-Lena Högenauer lassen sich die Plagiate nicht mit "Zitierfehlern" erklären. "Man kann nicht aus Versehen mehrere Seiten abschreiben." Bettel hatte für die Arbeit eine gute Note erhalten ("tout à fait honorable"). Der damalige Betreuer der Arbeit sagte dem Portal, man sei heute eben strenger als früher, Plagiate hätten sich damals nicht so leicht entdecken lassen.

(Foto: N/A)

Bettel war zunächst Bürgermeister der Hauptstadt Luxemburg und wurde 2013 Premier. Die Gambia-Koalition seiner liberalen Demokratesch Partei mit Grünen ( Déi Gréng) und Sozialdemokraten ( Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechterpartei) wurde 2018 wiedergewählt. Ob die Sache Konsequenzen hat, ist die Frage. Luxemburger Politiker halten es für möglich, dass die Politik schnell wieder zur Tagesordnung übergeht.

Bettel glänzt mehr durch seine sympathische Art als durch Sachkenntnis

Das würde dem üblichen Muster in dem Kleinstaat entsprechen, in dem jeder jeden kennt und auch die Medien bisher nicht durch besondere Hartnäckigkeit oder gar Bissigkeit aufgefallen sind. Hinzu kommt, dass Titel und universitäre Abschlüsse außerhalb von Deutschland oder Österreich weniger wichtig genommen werden. In Luxemburg würde kaum jemand prominent auf seine Promotion hinweisen, außer sie ist medizinischer Natur.

Trotzdem wird das Ausmaß an Schludrigkeit und Missachtung wissenschaftlichen Vorgehens, das Bettel offensichtlich an den Tag legte, der politischen Karriere des Liberalen nicht förderlich sein. Bettel gilt als Politiker, der sich noch immer als "Bürgermeister von Luxemburg" fühle, der vor allem durch eine sympathische Art und weniger durch Sachkenntnis glänzt. International wird er gern mit pointierten Aussagen auf EU-Gipfeln zitiert, als Homosexueller erklärt er sich oft zu LGBTQ-Themen. Im Sommer machte die Nachricht die Runde, Bettel habe sich offenbar in einem Nachtclub mit dem Coronavirus infiziert.

"Politiker müssen das Vertrauen für ihre Arbeit jeden Tag aufs Neue erarbeiten", sagte Sven Clement von der Piratenpartei der SZ. "Wenn man dieses Vertrauen enttäuscht, ist das ein Problem." Das Mindeste, was von Bettel nun kommen müsse, sei "eine aufrichtige Entschuldigung". Die Affäre werde vermutlich keine hohen Wellen schlagen im Land, sagte die Linken-Politikerin Nathalie Oberweis. Die Plagiate seien aber "sehr problematisch" angesichts der Tatsache, dass "Desinformation" der Gesellschaft zunehmend zu schaffen mache.

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