Ex-Präsidentschaftsbewerber:Bernie Sanders: "Mehrheit der Amerikaner weiß, dass Klimawandel real ist"

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Der sozialistische Senator von Vermont Bernie Sanders bei seiner Buchpräsentation in Berlin: Trump ist "der Gegensatz von Robin Hood". (Foto: dpa)

So oder so werden viele US-Amerikaner den Umweltschutz nicht aufgeben - und gegen Trump auf die Straße gehen, sagt der ehemalige Präsidentschaftsbewerber.

Interview von Matthias Kolb, Berlin

SZ: Senator Sanders, direkt nach dem Wahlsieg Donald Trumps gab es einen Funken Hoffnung, dass er etwas für Arbeiter und die Mittelschicht machen wird. Davon ist nichts zu sehen. Ist dies die größte Enttäuschung seiner Präsidentschaft?

Bernie Sanders: Im Wahlkampf hatte Trump versprochen, ein "Champion für die amerikanische Arbeiterklasse" zu sein. Das waren nur leere Worte. Sein Haushaltsentwurf bedroht die Arbeiter und Angestellten in nie gesehener Form. Mit der "Reform" von Obamacare würden 23 Millionen Bürger ihre Krankenversicherung verlieren. Er plant drastische Kürzungen in der Bildung und der Unterstützung von Armen und Alten. Zugleich will er den Reichsten über zehn Jahre hinweg Steuererleichterungen in Höhe von zehn Billionen Dollar geben. Sein Ansatz ist der Gegensatz von Robin Hood: Er nimmt den Armen etwas weg und gibt es den Reichen.

Seit der Wahl reisen Sie ununterbrochen durch die USA und werben auch in Staaten wie Montana, West Virginia oder Alabama für Ihre Ideen. Wie reagiert das sogenannte Trumpland auf Sie?

Die Menschen zeigen starke Reaktionen, aber natürlich haben nicht alle, die dort zu meinen Events kommen, für Trump gestimmt. Wenn die Leute die Folgen seiner Politik auf ihren Alltag sehen, werden sie nachdenken. Wenn er den Mindestlohn nicht erhöht oder Essensprogramme für Kinder streicht, dann schadet das auch seinen Wählern. Je mehr sie Trump in action sehen, umso mehr wird die Unterstützung für ihn nachlassen. Wir haben bei mehreren Nachwahlen gesehen, dass sich viele Republikaner schwerer tun als gedacht - auch in traditionell konservativen Staaten. Die Opposition gegen Trump wächst.

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Von Matthias Kolb, Berlin

Kann der Schaden, den Präsident Trump in Sachen Umweltschutz oder für das Image der USA in der Welt anrichtet, repariert werden, wenn er das Weiße Haus verlässt?

Ja, das ist möglich. Das war der Punkt, den ich in meiner Rede an der Freien Universität in Berlin betont habe: Ich will nicht, dass die Menschen in Deutschland und Europa denken, dass Trump für alle Amerikaner spricht. Die große Mehrheit von uns und eine überwältigende Mehrheit der jungen Amerikaner weiß natürlich, dass der Klimawandel real ist, schwere Schäden verursacht und dass Menschen dafür verantwortlich sind. Wir wissen, dass wir der Öl- und Gasindustrie die Stirn bieten und unser Energiesystem umstellen müssen. Es braucht mehr erneuerbare Energien. Ich gratuliere den Deutschen, dass ihr Land hier Vorreiter ist. Aber auch in den USA tut sich viel. In meiner Heimat Vermont beispielsweise verbrauchen die Städte viel weniger Strom als noch vor Jahren.

Es gibt also Hoffnung?

Natürlich. Trump kann sagen, was er will. Er mag denken, wie es im 20. Jahrhundert üblich war, oder vielleicht sogar im 19. Jahrhundert, aber die Welt bewegt sich unaufhaltsam voran. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn Trump heute bekannt gibt, dass die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, wäre das sehr sehr schlimm. Aber ich wünsche mir, dass die Menschen im Rest der Welt wissen, dass den meisten Amerikaner bewusst ist, wie wichtig dieses Thema ist. Und dass wir den Kampf gegen die Folgen des Klimawandels nicht aufgeben.

Seit der Amtseinführung haben sich Millionen Amerikaner an Märschen und Demonstrationen beteiligt - nicht nur in Großstädten an den Küsten, sondern auch in kleinen Orten. Ist diese Trump-Resistance stark genug, um vier Jahre Widerstand zu leisten?

Was wir bei den "Women's Marches" gesehen haben, war spontan und außergewöhnlich. Vermont ist sehr klein, aber auch dort gingen 15 000 Frauen und Männer auf die Straßen. Früher kamen zu den Townhall Meetings der Republikaner nur wenige Bürger; heute protestieren Hunderte oder Tausende bei ihren Abgeordneten gegen die Abschaffung von Obamacare. Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Widerstand anhält. Die Amerikaner haben wegen Trump verstanden, dass sie sich selbst engagieren müssen.

Ihr neues Buch hat den Titel "Unsere Revolution". Damit ist gemeint, dass sich möglichst viele unterschiedliche Bürger politisch beteiligen: junge Leute, ärmere Leute, Schwarze oder Latinos. Ist Präsident Trumps Präsidentschaft unter dem Gesichtspunkt etwas Gutes?

Nein, das ist schlecht für die Demokratie. Okay, Sie meinen vielleicht, dass sich viele aus Protest gegen ihn nun engagieren. Mir ist wichtig zu betonen, dass es nicht ausreicht, nur "anti-Trump" zu sein. Wir müssen eigene progressive Vorschläge machen. Momentan befinden wir uns im Senat in diesem Kampf gegen die desaströse Gesundheitsreform. Es ist aber nicht genug, diese zu stoppen. Mit dem Status Quo sind wir immer noch das einzige Industrieland, das Krankenversicherung als Privileg ansieht - und nicht als Recht wie in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich.

Sie haben in Ihrer Rede gesagt, die USA sollten von Deutschland lernen.

Ja, an der Freien Universität in Berlin beispielsweise gibt es keine Studiengebühren - so etwas brauchen wir auch. Der Mindestlohn in den USA beträgt momentan 7,25 Dollar. Davon kann niemand leben. 30 Senatoren unterstützen meinen Vorschlag, ihn auf 15 Dollar anzuheben. Es gibt auch Gesetzesentwürfe, die unsere Energieversorgung umbauen und auffordern, die USA zum Vorreiter im Kampf gegen Erderwärmung zu machen.

Sie haben Ihren Wahlkampf 2016 mit Kleinspenden finanziert. Kann die Partei der Demokraten, die Ihnen so nahe steht, glaubwürdig sein, wenn sie weiter Großspenden annimmt und mit Super Pacs zusammenarbeitet?

Das ist die entscheidende Frage. Die Demokraten haben die Wahl: Wollen sie weiter abhängig sein von Wall-Street-Banken, Corporate America und reichen Einzelspendern oder wirklich für die Bedürfnisse der Arbeiter kämpfen? Wenn sie eine progressive Partei sein wollen, dann muss sie diesen Gruppen die Stirn bieten. Wir haben im Wahlkampf 2016 gezeigt, dass man mit einem Programm, das die Leute begeistert, Millionen Bürger überzeugen kann, durchschnittlich 27 Dollar zu spenden. Das Gute ist auch: Wer 27 Dollar für etwas spendet, der engagiert sich anders. Dieser Ansatz ist die Zukunft der Demokraten.

Im Januar waren es allerdings auch demokratische Senatoren wie Cory Booker, die ein Gesetz zu Fall brachten, mit dem billigere Arzneimittel aus Kanada importiert werden sollten. Das klingt nicht nach einer Partei, der die Anliegen der Normalbürger am Herzen liegt.

Das stimmt, aber Sie werden sich freuen zu hören, dass mehrere Demokraten wie Senator Booker dieses Anliegen nun unterstützen. Damals ging es um ein Teil des Budgets, wir haben nun ein eigenes Gesetz geschrieben. Aber die Gier der US-Pharmaindustrie beschäftigt mich schon lange: Ich bin sicher, dass ich in jeder Apotheke hier in Berlin die exakt gleiche verschreibungspflichtige Medizin für den halben Preis werde kaufen können.

Sie haben gestern gesagt, dass Sie kein Fan von Präsident Trump sind ...

... das war untertrieben ...

.. und nennen seinen Budgetentwurf "unmoralisch". 2010 haben Sie eine berühmte Filibuster-Dauerrede gehalten aus Protest gegen Obamas Steuersenkungen für Reiche. Die dauerte 8,5 Stunden - wie lange müssten Sie reden, um der Ungerechtigkeit von Trumps Budget gerecht zu werden?

Gestern hat mich ein Reporter gefragt, ob ich etwas Positives über Trump sagen kann. Ich habe lange überlegt: Ab und an hat er die Preise für Arzneimittel kritisiert oder versprochen, in die Infrastruktur zu investieren. Aber schon bei Trumps schrecklichen Vorschlägen und politischen Überzeugungen gebe es genug zu kritisieren. Er ist noch dazu der erste Präsident, der versucht, die amerikanische Demokratie zu untergraben. Keiner hat vor ihm gesagt: "Alle Mainstream-Medien lügen, glaubt denen kein Wort." Ich habe genug auszusetzen an den Reportern, aber seine Aussage ist nicht nur absurd, sondern gefährlich. Er attackiert einen Grundpfeiler der Demokratie, denn wenn die Bürger den Zeitungen nicht mehr glauben, wem dann? Trump hätte es wohl am liebsten, dass alle nur auf ihn hören.

Der Präsident hat auch die Gerichte scharf attackiert.

Genau, das ist ebenso erschreckend, wenn er sie "so genannte Richter" nennt. Hinzu kommt, dass er ein Lügner ist. Er behauptet, dass mindestens drei Millionen illegale Stimmen bei der Wahl abgegeben wurden. Niemand glaubt das, es gibt keine Beweise, aber Trump hat ein anderes Ziel: Die republikanischen Gouverneure sollen weiter dafür sorgen, dass die Wahlgesetze verschärft werden. Wie hoch ist die Wahlbeteiligung in Deutschland?

2013 waren es 73 Prozent, bei Landtagswahlen fällt der Wert auf 50 Prozent.

Bei der Präsidentschaftswahl waren es in den USA knapp 60 Prozent, aber bei der Kongresswahl 2014 nur 37 Prozent. Das ist skandalös, wir müssen mehr Leute zum Wählen motivieren.

Sie haben mit Republikanern zusammengearbeitet - etwa mit John McCain, um Veteranen besser zu versorgen. Schockiert es Sie, dass konservativen Kollegen Trump nicht klarer kritisieren, wenn er Einwanderer stigmatisiert oder die Presse attackiert?

Die Republikaner haben die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus und damit eine große Verantwortung. Ich kann verstehen, dass es schwer ist, sich gegen den Chef der eigenen Partei zu stellen. Wenn ich privat mit Republikanern rede, dann äußern sich viele sehr besorgt über Trump. In der Öffentlichkeit schweigen sie aber - das müssen sie ändern. Immerhin haben es Republikaner unterstützt, den Sonderermittler Robert Mueller einzusetzen, um die Verbindungen des Trump-Lagers mit Russland zu untersuchen. Im Senat arbeitet Richard Burr, der Chef des Geheimdienstausschusses, gut mit uns Demokraten zusammen. Es gibt also etwas Hoffnung, dass diese Untersuchung auf überparteiliche Art voran geht.

Sie haben kürzlich das Buch "Shattered" gelesen, in dem Insider über den Wahlkampf 2016 sprechen. Gab es etwas, das Sie besonders überrascht hat bei der Lektüre und denken Sie heute manchmal: "Das hätte ich anders machen soll in der Vorwahl"?

Ich versuche nicht an die Vergangenheit zu denken, das bringt wenig. Wir hatten damals keine Ahnung, wie man einen Präsidentschaftswahlkampf organisiert. Vermont ist sehr klein, die USA riesig. Ein Problem mit diesem Buch ist auch, das es auf anonymen Quellen beruht - man darf also nicht alles glauben. Aber die Art, wie Hillary Clinton ihre Kampagne organisiert und wie viele Leute sie angeheuert hat, war ganz anders als bei uns. Anfangs bestand unsere Kampagne aus mir, meiner Frau Jane und einem alten Vertrauten. Sie fing schon an mit Hunderten Mitarbeitern.

Manche würden sagen: Sie hatten eine Botschaft und keine Leute, während Clinton viele Leute hatte, aber eben keine Botschaft.

(klatscht in die Hände und lacht) Ja, so in der Art war es.

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