Berlin:Parteivorsitzende hektisch gesucht

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Schlechte Stimmung: Beim Landesparteitag gelang es den Berliner Grünen um Renate Künast (li.) und Bettina Jarasch (Zweite v. li.) nicht, eine neue Parteivorsitzende zu wählen. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Am Mittwoch wollen die Berliner Grünen eine neue Führung wählen. Es ist der zweite Anlauf nach dem Parteitag vom Wochenende, der spektakulär schieflief. Klappt es diesmal?

Von Jan Heidtmann, Berlin

Wenn man so will, hat der Fachkräftemangel nun auch die Berliner Grünen erreicht. Derzeit wird dort jedenfalls recht hektisch eine Frau gesucht, die wegen der Trennung von Amt und Mandat weder im Bundestag noch im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt; die sich identitätsmäßig den Realos unter den Grünen verbunden fühlt; und die - ganz wichtig - ab sofort verfügbar ist. "Es wäre im Interesse der Partei, dass bis Mittwoch eine Kandidatin gefunden wird, die von der Breite der Partei mitgetragen wird", sagt Antje Kapek, ehemalige Fraktionschefin der Berliner Grünen.

Denn am kommenden Mittwoch soll nun gelingen, was am vergangenen Wochenende spektakulär misslang: die Wahl eines neuen Landesvorstands. In einem fast demütigenden Wahlmarathon wurde die Kandidatin der Realos Tanja Prinz am Samstag klar abgelehnt. 28 Prozent der Voten waren das Maximum, das die 44-Jährige in drei Wahlgängen erzielte.

Die Frage ist nur, wer es machen soll

Am Ende verließ Prinz den Saal unter Tränen. Das Schicksal der Kandidatin "tut mir menschlich wirklich leid", sagt Antje Kapek. Tanja Prinz sei aber "schlecht beraten gewesen, in den dritten Wahlgang zu gehen". Und da damit schon der erste Akt der Wahl der Doppelspitze, der sogenannte Frauenplatz, schiefging, wurde gleich die ganze Abstimmung auf Mittwoch verschoben.

Kapek, die in Berlin zu den Parteilinken gezählt wird, geht fest davon aus, dass die Realos bis dahin mit einer neuen Kandidatin aufwarten. "Das Ganze auszusitzen, die quotierte Doppelspitze aufzuheben oder was da sonst noch so spekuliert wird - das wird nicht passieren."

Die Frage ist nur, wer es machen soll. Der noch amtierende Landesvorstand und die Fraktionsvorsitzenden suchen nach geeigneten Kandidatinnen. Doch selbst guten Kennern der Partei drängt sich nicht sofort ein Name auf. Vor drei Jahren gab es eine ähnliche Situation. Da konnten sich Fraktionschefin Antje Kapek und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop nicht darauf einigen, wer von ihnen Spitzenkandidatin bei der Wahl 2021 werden sollte; zur Überraschung vieler wurde es dann Bettina Jarasch.

Wie dramatisch die Lage der Partei nun einzuschätzen ist, hängt offenbar sehr vom Betrachter ab. Während Antje Kapek am Samstag mit der Aussage zitiert wird, "so etwas habe ich noch nie erlebt", sagte der amtierende Fraktionschef Werner Graf, es gehe durchaus schlimmer. Denn das Scheitern der Kandidatin Prinz war ein Scheitern mit Ansage.

Sind die Grabenkämpfe zurück?

Tanja Prinz zählt zu einer Gruppe von Ultra-Realos bei den Berliner Grünen, die sich Gr@ms (Grüne Real@ Mitte) nennen und ihren Hauptsitz eben im Bezirk Mitte haben. Sie streben einen weitaus bürgerlicheren Kurs an als die Realos alter Prägung, also wenig Kreuzberg und viel Baden-Württemberg. Dabei hätten sie aber durch einen recht ruppigen Umgang viele Parteimitglieder verprellt, heißt es. Dennoch war es Tanja Prinz in einer Vorabstimmung innerhalb des Realo-Flügels gelungen, sich gegen die amtierende Parteivorsitzende Susanne Mertens durchzusetzen.

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Das Ergebnis war jedoch äußerst knapp, und je näher der Parteitag rückte, desto stärker wurde der Widerstand bei den Realos gegen die Kandidatin Prinz und den Ultra-Flügel. Einen Tag vor der Abstimmung veröffentlichte der grüne Bezirksverband Neukölln einen offenen Brief, den neun von zwölf Kreisvorständen unterschrieben hatten. Darin hieß es, man wolle die Praktiken der Gruppierung Gr@ms nicht länger unkommentiert lassen: "Mitglieder werden eingeschüchtert, andere werden psychisch unter Druck gesetzt, Falschbehauptungen als Totschlagargument vorgebracht und eine Kultur des Misstrauens gesät."

So manchen in der Partei erinnert das an die Zeit vor mehr als zehn Jahren, als sich die einzelnen Gruppierungen bei den Berliner Grünen hart bekämpften. "Aber diese Zeit haben wir überwunden", sagt einer, der damals mit dabei war. "Vielleicht war diese Abstimmung nötig, um das noch mal klarzustellen."

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