Landwirtschaft:Warum der Grund für die Wut der Bauern in Brüssel liegt

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Die EU will Biodiversität fördern, die Klimakatastrophe bremsen und die Existenzgrundlagen der Landwirtschaft erhalten - mit den Mitteln sind viele Bauern aber nicht einverstanden. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die EU sichert mit ihren Milliarden die Existenz der meisten Betriebe - aber der Zwang zur Ökologisierung der Landwirtschaft hat alles, was "grün" ist, zum Feindbild gemacht.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Von Brüssel aus betrachtet ist es sehr angenehm, dass die deutsche Ampelregierung mit einer vergleichsweisen Kleinigkeit die Wut der deutschen Landwirtschaft auf sich gezogen hat. Denn eigentlich müssten die Bäuerinnen und Bauern mit ihren Traktoren die belgische Hauptstadt lahmlegen. Dort wird seit den Anfängen der europäischen Einigung über das Schicksal ihrer Branche entschieden, dort wird die Politik gemacht, die dieser deutschen Wut-Woche zugrunde liegt.

Die "Gemeinsame Europäische Agrarpolitik", kurz GAP, sichert durch das Verteilen von vielen Milliarden Euro die Existenz der meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Europa. Zugleich fühlen sich die meisten Landwirte gequält von Brüssel. Denn der Umbau der Landwirtschaft, den die EU mit ihren Reformen vorantreibt, stellt nicht nur das Geschäftsmodell, sondern auch das Selbstverständnis der Menschen in der Landwirtschaft immer wieder aufs neue infrage. Mit Bauernwut, wie sie sich nun in Deutschland Bahn bricht, war jeder Strukturwandel verbunden.

Mehr als ein Drittel des Haushalts wendet die Europäische Union für die Landwirtschaft auf

Die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) versuchte mit der Gründung der GAP 1962, die europäische Landwirtschaft vom Weltmarkt abzuschotten und den Betrieben Abnahmepreise zu garantieren. Das endete im Fiasko riesiger Überschüsse, man sprach von "Butterberg" und "Milchsee". Und die Ausgaben für die Landwirtschaft erreichten immer neue Rekorde, in den 1980ern betrugen sie bis zu 70 Prozent des EWG-Haushalts. Zudem wurde der Druck auf Europa immer größer, sich dem Weltmarkt zu öffnen.

Deshalb leitete man Anfang der 1990er-Jahre den Systemwechsel ein. Immer weniger wurden die Abnahmepreise und immer mehr die Einkommen der Bauern subventioniert. Im Jahr 2000 kam als zweite Säule der Brüsseler Agrarhilfen die "Förderung des ländlichen Raums" hinzu. Aus dem Topf werden strukturschwache Gebiete aufgepäppelt.

Nach wie vor ist die GAP eine gigantische Geldverteilungsmaschine. 386,6 Milliarden Euro und damit mehr als ein Drittel ihres Haushalts der Jahre 2021 bis 2027 wendet die Europäische Union für die Landwirtschaft auf. Es ist der zweitgrößte Posten im EU-Haushalt, und als in der EU vor Weihnachten nach Einsparpotenzialen gesucht wurde, um die Ukraine-Hilfen zu finanzieren, kam niemand auf die Idee, daran zu rühren. Die Wut der Landwirtschaft fürchtet man überall.

Viele Bauern klagen über Regulierungswut, Bürokratisierungswahn, Überwachungsorgien

Mit 95,5 der Milliarden Euro wird im aktuellen Haushalt die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert, die restlichen 291,1 Milliarden gehen direkt an die Landwirte. Deutschland ist hinter Frankreich und Spanien der drittgrößte Profiteur dieser Geldverteilungsmaschine, knapp sieben GAP-Milliarden fließen jedes Jahr aus Brüssel nach Berlin. Zum Größenvergleich: Auf rund zwei Milliarden belaufen sich die nationalen deutschen Subventionen, darunter fallen die Vergünstigungen für Agrardiesel, die nun Zug um Zug entfallen sollen. Zusätzliche vier Milliarden wendet die Bundesregierung für landwirtschaftliche Renten und Krankenkassen auf.

Bis zu 50 Prozent des jährlichen Einkommens der deutschen Landwirte stammen Schätzungen zufolge aus Brüssel. Die Direktzahlungen sind im Prinzip nach wie vor abhängig von der Größe des Betriebs. Der bäuerliche Familienbetrieb gilt zwar weiterhin als Leitbild der GAP, aber immer mehr kleine Betriebe müssen aufgeben. Allerdings sind die direkten Zahlungen im Laufe der Jahre immer mehr an ökologische Leistungen gekoppelt worden - etwa an Flächenstilllegungen oder das Anlegen von Blühstreifen oder Altgrasflächen.

So will die EU die Biodiversität fördern, die Klimakatastrophe bremsen und damit die natürlichen Existenzgrundlagen der Landwirtschaft erhalten. Viele Landwirte sprechen dagegen von Regulierungswut und Bürokratisierungswahn, zum Feindbild aufgebaut wird: angebliche grüne Ideologie. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Agrarpolitik gerade.

Die Verhandlungen der 27 Mitgliedsregierungen über die aktuelle GAP gestalteten sich derart zäh, dass sie erst 2023 in Kraft treten konnte, obwohl sie formell für den Zeitraum von 2021 bis 2027 gilt. Die Umweltmaßnahmen heißen nun nicht mehr "Greening", sondern "Eco-Schemes". Über deren Ausgestaltung, und die über die Verwendung der Gelder generell, dürfen mehr als zuvor die nationalen Regierungen bestimmen. Allein der deutsche "Strategieplan" dafür hat fast 2000 Seiten. Die teilweise Renationalisierung der Agrarpolitik kann man auch als Kapitulationserklärung der EU interpretieren. Die GAP, dieses Regulierungsmonster, lässt sich nicht mehr aus Brüssel steuern.

Die Konservativen behaupten, sie schützten die Landwirte vor ökologischer Verbohrtheit

Weil absehbar war, dass die EU mit der aktuellen GAP ihre Umwelt- und Klimaziele nicht erreichen wird, schob die Kommission einen Strategieplan namens "Farm to Fork" nach. Die Ziele bis 2030: 50 Prozent weniger Pestizide, 50 Prozent weniger Antibiotika, 25 Prozent weniger Düngemittel, Ökoland-Anteil von 25 Prozent aller Flächen. "Farm to Fork" ist ein Kern des Grünen Deals, Markenzeichen der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Als "Strategie" klang das auch verlockend. In der Umsetzung kam es in den vergangenen Monaten jedoch zum Kulturkampf in Brüssel.

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Die Europäische Volkspartei, der CDU und CSU angehören, hat das Pestizidgesetz so lange bekämpft, bis es im Chaos einer Parlamentsabstimmung unterging. Ein Renaturierungsgesetz, das zum Beispiel die Wiedervernässung von Mooren vorsah, kam mühevoll ans Ziel, gestrichen wurden so gut wie alle Anforderungen an die Landwirtschaft. Auch einige Ökoregeln aus der GAP wurden ausgesetzt mit der Begründung, man müsse auf dem Weltmarkt die Ernteausfälle kompensieren, die durch Russlands Angriff auf die Ukraine entstehen.

Das alles sei ein Sieg der aggressiven Agrarlobby und der Großkonzerne, die sich an der traditionellen Landwirtschaft dumm und dämlich verdienen, schimpfen Linke und Grüne. Die EVP nimmt für sich in Anspruch, die Landwirtschaft vor ökologischer Verbohrtheit zu schützen. Nun hat die Ampel mit einer - vergleichsweisen - Kleinigkeit einen Aufstand entfacht, dessen politische Folgen sich auch im Ergebnis der Europawahlen im Juni 2024 niederschlagen dürften. Brüssel wird nicht verschont bleiben vor der Bauernwut.

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Von Constanze von Bullion (Text), Friedrich Bungert (Fotos)

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