Wären dies normale Zeiten, man könnte für den 27. Januar 2015 einen feierlichen Akt des Gedenkens mit Beteiligung der wichtigsten Staatsführer Europas erwarten. An diesem Tag vor 70 Jahren wurde das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das die Nazis im besetzen Polen errichtet hatten, durch die sowjetische Armee befreit. Es versteht sich von selbst, dass daran würdig zu erinnern ist. Die Frage ist nur, wo? Und wie? Und ob bei einer denkbaren Zentralveranstaltung auch Russlands Präsident Wladimir Putin zugegen sein und das Wort ergreifen solle.
Vor zehn Jahren war das kein Problem. Gemeinsam mit der polnischen Regierung veranstaltete der Europäische Jüdische Kongress in Krakau ein internationales Forum mit dem Motto "Let my people live!" (Lass mein Volk leben), bei dem Polens damaliger Präsident Aleksander Kwaśniewski mehr als 30 Delegationen und mehr als ein Dutzend Staatsoberhäupter begrüßen konnte. Darunter waren Wladimir Putin, US-Vizepräsident Dick Cheney, Israels Präsident Mosche Katsav und Bundespräsident Horst Köhler.
Instrumentalisierung befürchtet
Das Aufgebot schien dem Anlass angemessen zu sein. Schließlich war Auschwitz-Birkenau das größte der Vernichtungslager, die die Nazis während des Zweiten Weltkriegs nach dem deutschen Überfall auf Polen in diesem Land betrieben hatten. Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden hier fabrikmäßig vergast, unter ihnen eine Million Juden aus ganz Europa, die Übrigen waren Roma sowie polnische oder sowjetische Gefangene. Der Name Auschwitz wurde zum Symbol des Holocaust, der fast sechs Millionen Juden das Leben kostete.
Vor diesem Hintergrund erklärte Putin vor zehn Jahren in Krakau, sowjetische Soldaten hätten bei der Befreiung am 27. Januar 1945 als erste die Stätten der Nazi-Verbrechen erblickt. "Sie löschten für immer die Verbrennungsöfen von Auschwitz und Birkenau, Majdanek und Treblinka, und sie retteten Krakau vor der Vernichtung. 600 000 Sowjetsoldaten haben ihr Leben gegeben, und das war der Preis, den sie zahlten, um das jüdische Volk und viele andere Völker vor der totalen Vernichtung zu retten." Nachzulesen auf der Website des Kreml.
Im Januar 2005, als diese Worte gesprochen wurden, herrschte in Europa Frieden. Im Januar 2015 aber ist die Lage verdüstert durch Russlands Militäraktionen gegen die Ukraine, die Verletzungen der Grenze und die Annexion der Halbinsel Krim. Vor diesem Hintergrund schien der Führung Polens eine Wiederholung der Zeremonie von 2005 nicht angebracht zu sein. Sie wollte mitten in der Krise kein business as usual und fürchtet offenbar, Putin könnte das Ereignis instrumentalisieren.
Folglich richtet am 27. Januar nicht die Warschauer Regierung, sondern das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau eine Gedenkfeier aus, zu der Gäste aus aller Welt erwartet werden, unter ihnen 250 bis 300 einstige Insassen des Lagers. "Dies ist der letzte runde Jahrestag, den wir mit einer größeren Gruppe von Überlebenden begehen können", wird der Museumsdirektor Piotr M. A. Cywiñski auf der eigens eingerichteten Website 70.auschwitz.org zitiert. Andere Länder wurden von der Planung über ihre Botschaften informiert. Wer genau kommt, ist nicht bekannt.