Zweiter Weltkrieg:Putin verteidigt Stalins Pakt mit Hitler

Vladimir Putin's working visit to Mongolia

Seit 2000 Russlands starker Mann: Wladimir Putin

(Foto: dpa)

Was Russlands Präsident bei einem Treffen mit jungen Historikern von sich gibt, offenbart ein krudes Geschichtsverständnis. Putin verteidigt die Aufteilung Polens 1939 - und macht Frankreich und Großbritannien indirekt für den Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich.

Von Oliver Das Gupta

Der Kreml bietet Journalisten, die des Russischen nicht mächtig sind, einen netten Service. Über die Website der Moskauer Machtzentrale kann die ausländische Presse Ansprachen und andere Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putins in englischer Sprache nachlesen.

Besonders ausführlich ist das Transkript von einem Treffen Putins mit "jungen Akademikern und Geschichtslehrern", das am Mittwoch im Kreml stattgefunden hat. Es ist ein denkwürdiges Dokument, das im Internet präsentiert wird.

Schwadronieren über die Krim und Grausamkeiten

Was der russische Staatschef von sich gibt, offenbart eine krude Sicht auf die Geschichte.

Putin weist mit Blick auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim darauf hin, dass die Christianisierung Russlands dort ihren Ursprung hatte. Die Krim sei demnach russische Keimzelle, also heiliger Boden der Nation. Putin nennt den Namen Wladimirs des Großen, der sich kurz vor dem Jahr 1000 taufen ließ. Allerdings erwähnt Putin nicht, dass Wladimir Großfürst von Kiew war und auch den Ukrainern als ein Stammvater gilt.

An anderer Stelle schwadroniert Putin über das rücksichtlose Vorgehen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg, die Zigtausende eigene Soldaten auch dann in die Offensive schickte, wenn ein taktischer Rückzug sinnvoller gewesen wäre. Es sei schwer zu sagen, "ob wir den Krieg gewonnen hätten, wenn die Armeeführer weniger grausam gewesen wären" wie Heerführer im Ersten Weltkrieg, erklärt Putin und schiebt noch mal nach: "Es ist wirklich schwer zu sagen"

Wenn die Sowjetunion den Krieg verloren hätte, hätte Nazi-Deutschland die Slawen ausgerottet "und nicht nur die Russen, sondern viele andere Volksgruppen wie Juden, Roma und die Polen".

Damals herrschte Stalin über das Sowjetreich. Unter ihm als Kremlchef fungierte eine brutale Verfolgungsdiktatur, die auch unter den eigenen Bürgern wütete. Millionen starben infolge von Unterernährung und Zwangsarbeit oder wurden bei "Säuberungen" ermordet.

"Was soll falsch daran sein?"

Auf Stalin selbst scheint Putin eine relativ milde Sicht zu haben. Selbst dem im August 1939 mit dem Nazi-Reich ausgekungelten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt erteilt Putin seinen Segen. In einem geheimen Zusatzprotokoll vereinbarten damals Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und sein sowjetischer Amtskollege Wjatscheslaw Molotow die Aufteilung Osteuropas in Einflusssphären Berlins und Moskaus.

Daran kann Putin auch 75 Jahre später nichts Verwerfliches finden: "Solche Methoden" seien in der damaligen Außenpolitik üblich gewesen. Stalins Nichtangriffspakt mit dem Slawen- und Kommunistenhasser Hitler will Putin nicht kritisieren: "Was soll falsch daran sein, wenn die Sowjetunion nicht kämpfen will?"

Putins Darstellung ist falsch: Denn Stalin ließ die Rote Armee - wie mit Hitler abgemacht - in Ostpolen einmarschieren, es kam auch zu Gefechten, bei denen es Tote gab. Etwa 180000 polnische Soldaten wurden Kriegsgefangene der Sowjets. Etwa 22000 polnische Offiziere und Intellektuelle ließ Moskau in Katyn und anderen Orten ermorden und verscharren. Davon erwähnt Putin nun bei seinem Historikertreffen aber nichts.

Dass es überhaupt zum Zweiten Weltkrieg kommen konnte, liegt nach seiner Auffassung an den westlichen Großmächten Frankreich und Großbritannien. Sie hätten den Nazi-Diktator mit ihrer Appeasement-Politik ermuntert, seine offensive Politik zu forcieren.

Putin behauptet, westliche Wissenschaftler würden das Münchner Abkommen von 1938 "totschweigen" - eine unsinnige Behauptung des Kremlchefs. Bei der Münchner Konferenz gaben der britische und französische Regierungschef den territorialen Ansprüchen Hitlers in Bezug auf die Tschechoslowakei nach, auch weil Hitler erklärte, sein Expansionsdrang sei nun gestillt.

Die Regierung in Prag wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, die Deutschen annektierten wenig später große Gebiete des Landes, die Slowakei machte sich selbständig. Zurück blieb ein tschechischer Rumpfstaat um Prag, den Hitler vertragswidrig wenige Monate später besetzen ließ (hier mehr dazu).

Putin sagt weiter, man beschuldige Moskau wegen des Hitler-Stalin-Paktes, für die Teilung Polens verantwortlich zu sein. Dabei habe sich Polen ein Jahr zuvor doch auch Teile der Tschechoslowakei angeeignet, nachdem Deutschland seine Territorialansprüche bei der Münchner Konferenz durchgesetzt habe.

Rückgriff auf Churchill

Der spätere britische Premier Winston Churchill habe mit Blick auf das Münchner Abkommen gesagt, dass ein Krieg "nun unvermeidlich ist", so Putin nun im Kreml und fügte hinzu: "weil das Appeasement des Aggressors, das Nazi-Deutschland war, zu einem großen militärischen Konflikt in der Zukunft führt".

Putin gibt damit dem Westen die Mitschuld daran, dass Hitler nach der Besetzung Prags das Nachbarland Polen überfiel und damit den Zweiten Weltkrieg auslöste. Zur Rolle Stalins und seines Nichtangriffpakts mit Hitler wenige Tage vor Kriegsausbruch sagt Putin nichts. Bis 1945 wurden durch direkte Kriegsfolgen weit mehr als 50 Millionen Menschen getötet, die meisten waren Sowjetbürger.

Ob Putin sich mit diesen Äußerungen einen Gefallen getan hat, darf bezweifelt werden. Politiker wie Wolfgang Schäuble (hier) und Hillary Clinton (hier) hatten mit Blick auf die Ukraine-Krise ebenfalls an die Appeasement-Politik 1938 erinnert - und Putin (indirekt) mit Hitler verglichen.

PS: 2009 hatte Wladimir Putin den Hitler-Stalin-Pakt noch als "unmoralisch" bezeichnet (hier mehr dazu). Allerdings warf er damals dem Westen vor, Hitlers Aggressionen gegen Osteuropa gelenkt zu haben. Putin scheint entgangen zu sein, dass Hitler bereits in seinem Pamphlet "Mein Kampf" (1924) einen neuen "Lebensraum" forderte und nach der Machtergreifung (1933) vor hohen Militärs über seinen Plan zur "Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung" sprach (hier mehr dazu).

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