Attentäter:Wenn Brüder zu Terroristen werden

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Berüchtigte Brüder - von links: Khalid und Ibrahim El Bakraoui, Tamerlan und Dschochar Zarnajew (Foto: AP, Reuters)
  • Bei islamistischen Anschlägen im Westen in den vergangenen Jahren spielten Brüderpaare eine entscheidende Rolle.
  • Ein Gutachter sieht asymmetrische Beziehungen der Brüder als Ursache.
  • Im arabischen Raum haben Brüder eine besondere enge Beziehung.

Von Werner Bartens

An den Terroranschlägen in Brüssel waren die Brüder El Bakraoui beteiligt. Die Brüder Abdeslam gehörten zu den Tätern vom 13. November in Paris: Brahim sprengte sich am Café Comptoir Voltaire in die Luft, Salah mietete den VW Polo, mit dem die Terroristen zur Konzerthalle Bataclan fuhren, und war ebenfalls als Selbstmordattentäter vorgesehen. Im Januar 2015 stürmten die Brüder Kouachi die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Die Anschläge auf den Boston-Marathon 2013 verübten die Brüder Zarnajew. Bei fast allen großen islamistischen Anschlägen im Westen in den vergangenen Jahren spielten Brüderpaare eine entscheidende Rolle.

Doch warum Brüder? Weshalb sind es nicht Schwestern oder Vater und Sohn oder Mutter und Tochter, die sich und andere in den Tod reißen? "Man muss die ältesten brüderlichen Archetypen in Erinnerung rufen - Kain und Abel", sagt Franz Joseph Freisleder, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Heckscher-Klinikum München. "Der eine ist stärker, der andere schwächer, der eine älter, der andere jünger, der eine dominanter, der andere zurückhaltender. Und dann will der eine dem anderen imponieren und ihm beweisen, dass er mithalten kann."

Als Gutachter hat Freisleder jugendliche Straftäter beurteilt, die als Brüderpaar gemeinsam Banken ausgeraubt oder Taxifahrer überfallen hatten. "Das waren über Jahre gewachsene asymmetrische Beziehungen, und immer ging es um Gewaltdelikte und Aggressionen", erinnert sich der Jugendpsychiater. "Auf den ersten Blick wirkten die Brüder wie eine verschworene Gemeinschaft. Sah man genauer hin, gab es jedoch eine absolute Abhängigkeit des Jüngeren. Er folgte seinem großen Bruder willenlos, den er seit Langem als Vorbild hatte."

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Im arabischen Raum haben Brüder eine besondere enge Beziehung, "Da gibt es zwar auch Rivalität zwischen Geschwistern, je nach Rangfolge in der Familie, aber wenn es drauf ankommt, ist die Kooperation der Brüder intensiv", sagt Karl Heinz Brisch, Bindungsforscher am Uniklinikum München. "Das ist von einer anderen Dimension als bei uns."

Die kulturelle Prägung spielt eine große Rolle. Die Dominanz des Mannes im Islam legt nahe, dass er es ist, der zur Tat schreitet - und nicht die Schwester. "Schaut man Jahrzehnte zurück sowie in ländlich geprägte Regionen, ist es aber auch in Deutschland nicht ungewöhnlich, dass Brüder trotz aller Konkurrenz im Ernstfall zusammenhalten", sagt Brisch, der die Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie am Haunerschen Kinderspital leitet. "Wenn es darum geht, den Hof oder das Geschäft zu retten, entwickelt sich auch in unseren Breiten eine erstaunliche Dynamik."

Dabei gilt die Beziehung unter Brüdern als zwiespältig. Da ist nicht nur Zuneigung, sondern das Verhältnis kann zu einer Hassliebe werden. "Welche zwischenmenschliche Beziehung ist anfälliger für Abhängigkeiten und für diese ambivalente Konkurrenz als jene unter Brüdern?", fragt Freisleder. "Dann kommt es irgendwann zur furchtbaren Tat, und der Kleinere will dem Größeren beweisen, dass er der Mutigere ist."

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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